Libri.Campus in Bad Hersfeld

Sortimenter springen nach vorn

22. Mai 2017
von Börsenblatt
Die eigene Buchhandlung und sogar den eigenen Standort voranbringen oder anders gesagt: Zum Epizentrum der Veränderung und zur Führungskraft der Einzelhändler vor Ort werden. Herausfordernde Aufgaben für die Sortimenter.

Es wird groß gedacht beim diesjährigen Libri.Campus. Das sei auch notwendig, wie Bertram Pfister, Leiter Vertrieb bei Libri, unterstrich. Der Buchhandel müsse „lauter“ werden, seine Leistungen besser herausstellen. „Wir sind zu bescheiden, man hört uns nicht“, so Pfister. Auf die schwierigen Rahmenbedingungen wie Leerstand in den Städten oder Verschiebung hin zum Online-Shopping verwiesen Andreas Meyer (Verlagsconsult) und Arnd Roszinsky-Terjung (Buchconsult), die den Campus konzipieren und moderieren.

„Unerwartetes zieht Blicke auf sich“, betonte auch Mari-Lisa Richter, die als Design-Consultant arbeitet, und auf Verlockung setzt. Neue Kontexte, ein anderer Fokus, mehr Qualität statt Quantität, waren einige ihrer Schlagworte. Mutige Händler kennt sie bislang vor allem aus anderen Ländern. Die locken dann schon mal mit Sprüchen wie: „We are open! And it’s really warm inside.“ Oder wahlweise auch kühl im Sommer. Ein Restaurant gibt kund: „This is a bad place for diet“. Und im Buchhandel heißt es: „Fiction – because real life is terrible“ oder ein anderer Eyecatcher, frei übersetzt: „Ich kann mich zwar nicht mehr an den Titel erinnern, aber das Buch war blau“ (so lautet der Text einer Tafel über einem Tisch mit ausschließlich blauen Buchcovern).

Genug Anregungen für die Sortimenter, die am morgigen Dienstag noch weiter kreativ sein werden. Dann geht die dritte und letzte Runde des Libri.Campus‘ für dieses Jahr zu Ende. 

Eine besondere Rolle komme in diesem Kontext der Ästhetik von Buchhandlungen zu. „Hässlichkeit verkauft sich nicht“, erinnerte Arnd Roszinsky-Terjung – und sieht Nachholbedarf für die Buchläden. Problematisch sei, dass man zu häufig durch seine eigene Brille statt durch die der Kunden schaue. Die Kunden wollten mit einem Buchkauf sich selbst oder andere beschenken, so Andreas Meyer. „Wir haben also auch Selbstbelohnungsläden.“ Aber sehen die Buchhandlungen wirklich danach aus?

Wie Buchhandlungen aussehen, zumindest die der rund 90 Teilnehmer des Campus, konnte in Bad Hersfeld besichtigt werden. Auf großen Postern war der Laden jedes Teilnehmers mit mehreren Fotos porträtiert – die schöne Seite zuerst. Auf einem zweiten Poster waren die Problemorte im Geschäft in Szene gesetzt. Praxismaterial genug, um ans Eingemachte zu gehen.

Dazu war unter anderem Wolfgang Gruschwitz gekommen, ein internationaler Ladendesigner, der sowohl Händler als auch Hersteller berät. Er pochte auf die „drei Ps“ (Produkt, Personal, Präsentation), die den stationären Handel einzigartig machten. Und brachte das Phänomen der „Serendipity“ mit, was nichts anderes ist als das Gefühl: „Ich suche nichts und finde etwas.“ Genau das, was in Läden auch passieren soll. Die meisten Kunden hätten heutzutage fast alles und kauften vor allem, „um ihr Leben zu verbessern“. Daher lautet die wichtigste Frage: „Was will der Kunde?“. Um die Kundenwünsche zu erfüllen, müsse man auch mal querdenken: „Think outside a box“, nennt Gruschwitz das.

Wie das genau geht, hat der Experte dann im Praxisteil gezeigt – als er die Fotos der Buchhandlungen in kleinen Workshopgruppen gemeinsam mit den Sortimentern analysierte. Da prasselte ein Ideenregen nieder, sowohl Gruschwitz als auch die Buchhändler zeigten sich äußerst kreativ: Mut zu knalligen Farben, ungewöhnliche Wegweiser, Düfte, Raumtrenner, schreiende Slogans, besondere Außenelemente, die die Kunden in den Laden locken sollen – es gab keine Denkverbote und manch einer musste ganz schön schlucken, welche Ideen für seinen Laden vorgetragen wurde. Als problematisch erweisen sich beispielsweise immer wieder Treppen in Buchhandlungen: Warum nicht den senkrechten Teil der Stufen mit Buchrücken bekleben? Ritter Sport macht für seine Schokolade auf diese Weise aufmerksamkeitsstarke Werbung am Frankfurter Hauptbahnhof. Oder einen flotten Spruch formulieren, weshalb es sich lohnt, nach oben zu gehen.