Neu im Regal: "Mordor kommt und frisst uns auf"

Im Osten wird's immer wilder

9. Juni 2017
von Börsenblatt
Ziemowit Szczerek hat mit „Mordor kommt und frisst uns auf“ einen irren Gonzo-Roman vorgelegt. Von Lemberg bis zur Krim durchstreift sein Held das polnische Nachbarland auf der Suche nach Anekdoten über den „wilden Osten“ und die postsowjeitsche Leere, um sie in Reportagen verächtlich zu machen. 

Da fahren die Polen in bester Wild-West-Stimmung in die Ukraine und dann wollen die "Russen-Polen" dort sich nicht volllaufen lassen? Ein Skandal! Dann muss es eben der Zaubertrank Vigor-Balsam richten – ein Mittel gegen Impotenz. In Szczereks Gonzo-Roman wimmelt es von Klischees: angefangen von korrupten Polizisten bis zu den Studentinnen, die Verse des polnischen Nationaldichters Mickiewicz zitieren und auf den heiligen Spuren von Bruno Schulz wandeln.

Die Fäden des Buchs werden nur lose zusammengehalten – durch Hauptfigur und Ich-Erzähler Łukasz und seine Reisen nach "Sowjetisch-Afrika", in die "Pseudo-Dörfer und Pseudo-Städte" des Ostens. In möglichst sensationslüsternen Reportagen versucht Łukasz die ukrainischen Erlebnisse, die er zum Teil bewusst herbeiführt, für Onlineartikel so reißerisch wie möglich auszuschlachten. "Ich habe schon lange den Verdacht, dass eine Reise in den postsowjetischen Osten eine Reise in die Tiefen dessen ist, was wir im eigenen Land hassen (…), weil es eine Reise in die Schadenfreude ist, auf die man sich begibt, um einen Anlass zur Rückkehr zu haben", sinniert Łukasz und so reist er mit Freunden und Zufallsbekanntschaften und von Lembarg bis nach Sewastopol, über Stadt und vor allem eine imposante Zahl von zungenbrecherischen Dörfern und er findet in bester orientalistischer Manier natürlich überall genau das, was er sucht: Kneipenschlägerereien, Zigeunersiedlungen, Reisebusse voller Schmuggler, von Schlaglöchern übersähte Straßen, Biznesmen, Separatististen, Russendisko, Exorzismen in der Kirche, heruntergekommene Straßenzüge und Fassaden und abgerockte Basare. "Die Damen trugen hüfthohe Nuttenstiefel. (…) Die Leute bewegten sich wie plumpe schwarze Bären, aber es war eine Fiesta. Eine schwerfällige Russenfiesta".

Szczereck, der gerade auf Lesereise in Deutschland war, weiß natürlich genau, dass dieses Spiel mit den Sterotypen sich leicht verpflanzen lässt – der überhebliche Blick der Deutschen oder Franzosen auf das geografisch zu Unrecht in Osteuropa verorteten Polens zum Beispiel, auf das Europa "zweiter Klasse" folgt ja demselben Prinzip. Und so bricht sein Roman diese Stereotype immer wieder – und zumindest Łukasz macht in bester Manier des Bildungsromans einen gewissen Reifeprozess durch. Vorher darf sich der Leser an zahllosen Exzessen, sprachlichen Trampolinsprüngen und irren Dialogen erfreuen. Liebhaber ausgestellter Bösartigkeit kommen hier besonders auf ihre Kosten.

Ziemowit Szczerek: Mordor kommt und frisst uns auf
Aus dem Polnischen von Thomas Weiler
Voland & Quist
240 Seiten, 20 Euro