Allein schon, wenn ich mir die aktuellen Vorschauen durchschaue, kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass zunehmend Masse vor Klasse geht: Dutzendware mit den ewig selben Themen von der Suche nach Mr. Right über düstere Familiengeheimnisse und schmerzhafte Trennungen bis zu Rückblicken in die Zeit der 50er Jahre. Und inflationär sind in den Vorschauen Romancover mit Lavendelfeld vertreten: Da tendiere ich instinktiv dazu, das Buch nicht einzukaufen. Die Provence bietet so viele schöne Motive – warum also so einfallslos?
Dann gibt es eine überbordende Anzahl von Autoren, deren Namen kein Mensch zuvor gehört hat und die über Themen schreiben, in denen sie sich nicht auskennen. Die Auswahl also ist riesig, die Qualität nicht. Wie schon Karl Valentin sagte: "Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von allen ..." Die gehaltvolleren Romane und Erzählungen haben es in dieser Masse schwer, zumal die Werbeetats der Verlage immer mehr für Spitzentitel (aus Sicht des Verlags) eingesetzt werden.
Da werden in den Vorschauen vier bis sechs Seiten aufgewendet, ohne dass wirklich mehr Information über den Roman vermittelt wird. Manchmal erfahre ich dort vom Lieblingsbuch eines Lektors und ich denke mir: Schade, dass da die Werbung endet. Wobei ich genauso selbstkritisch fragen muss, ob die Mehrheit der Buchhändler eher risikoarme Titel in den Fokus stellt oder auch Schaufenster für die eigenen Herzenstitel macht. So müssen die Perlen immer mehr von selbst am Markt durchschimmern, werden von Buchhändlern und Lesern entdeckt wie Dörte Hansens "Altes Land" oder Brigitte Glasers "Bühlerhöhe". Sortimenter bekommen so eine immer wichtigere Funktion, als Trüffelsucher diese Schätze zu entdecken und sie ihren Kunden anzubieten.
Neben runden Preisen (weil Kunden inzwischen nur noch genervt von den 99-Cent-Preisen sind) würde ich mir von Verlagen mehr Mut wünschen, jenseits des scheinbar risikolosen Mainstreams mehr zu wagen. Und warum nicht junge Autoren aufbauen, deren Potenzial forcieren und deren Titel pushen? Der Buchmarkt muss sich mehr trauen, um Geschichten zu vermitteln, die die Leser überraschen – genau das suchen die Kunden doch verstärkt.
Realistischerweise findet der "Erstkontakt" zwischen Kunde und Roman aber zunächst einmal über das Cover, die Rückseite und den Klappentext statt. Wer immer diese Texte schreibt: Sie sind selten zielführend. Entweder wird die Stimmung, die Sprache eines Schriftstellers – die viel zum Lesegenuss beiträgt – nicht getroffen, oder es wird bereits zu viel vom Ende des Romans verraten. Noch häufiger wird gerade einmal die Ausgangssituation zweier handelnder Personen geschildert und der Kunde bleibt völlig im Dunkeln. Auch die Lobpreisungen früherer Romane eines Autors nerven viele Kunden: Was sagt das über das aktuelle Buch aus? Nichts, und es nutzt auch nichts für die Entscheidungsfindung, ob der Kunde es kaufen will oder nicht.
An dieser Stelle kommt umso stärker der Buchhändler ins Spiel, der den Roman kennt, im Idealfall gelesen hat und im Gespräch mit dem Kunden meist ziemlich eindeutig ausloten kann, ob die Geschichte und die Sprache dem künftigen Leser gefallen wird. Das ist die Kernkompetenz unseres Berufs. Wenn ich die strahlenden Gesichter von Kunden sehe, wenn sie mir erzählen, wie toll dieser oder jener Roman war: Dann hat es sich gelohnt.
prima Gedanken, die Sie da äußern!
Wussten Sie eigentlich, dass es das, was Sie suchen, schon gibt?
Ja, nur nicht oder kaum bei Verlagen, denn die ... Aber das haben Sie schon treffend beschrieben!
Doch wenn Sie Ihr Augenmerk vielleicht mal auf Selfpublisher legen würden, da könnten Sie die eine oder andere, von Ihnen so schmerzlich vermisste "Perle" finden.
Nicht alle (zugegebenermaßen, aber viele und die meisten der erfolgreichen) Selfpublisher klemmen sich nicht auf die gängigen Verlagskonventionen und -genres, sondern wagen neue Wege abseits des Mainstreams. Mit Genremixen, gewollten Brüchen hinsichtlich Stil, Plotstruktur und, ja auch Covergestaltung.
Geben Sie sich doch einmal einen Schubs und prüfen Sie das Angebot lokaler Selfpublisher bei Ihnen in der Region und behandeln Sie Autoren ohne Verlagsvertrag nicht grundsätzlich wie zweite Wahl (wie das viele Ihrer Kollegen tun).
Nicht jeder Autor wird zum Selfpublisher, weil er keinen Verlagsvertrag bekommen hätte.
Nein, manche schlagen den bewusst aus, weil sie ihr Werk nicht "marktkonform" umschreiben möchten.
vielen Dank für diese gelungene Zusammenfassung dessen, was schon seit geraumer Weile viele engagierte Sortimenter bewegt. Durch die aktuelle buchhändlerische Elefantenhochzeit und deren Auswirkungen auf die Programmgestaltung einiger Verlagshäuser wird alles nicht unbedingt einfacher und wir werden in Zukunft wohl noch mehr Zeit darauf verwenden müssen, die Spreu vom Weizen zu trennen.
In Sachen junger Autoren und deren Aufbau aber noch schnell zwei Anmerkungen:
• Viele Verlage bemühen sich sehr, agieren aber häufig auch sehr bemüht. Nach einem gelungenen Debüt wird vom Autor zu oft und zu schnell sofort die nächste Rakete erwartet. Und wenn die nächste Rakete dann eben zu schnell abgeschossen ist, dann entwickelt sich das Anschlussfeuerwerk leider recht oft als Rohrkrepierer und der Autor ist verheizt.
• Und was in vielen Vorschauen häufig marktschreierisch als DIE NEUE STIMME EINER GANZEN NEUEN GENERATION angepriesen wird, das entpuppt sich mehr als gelegentlich als Mogelpackung, weil ein Großteil der jungen vorgeblichen Talente auffällig oft aus Berlin kommt. Bei der Lektüre stellt der geneigte Leser dann ermüdet fest, dass der Text nur eine um sich selbst und das unmittelbar eigene Umfeld kreisende Suada ist, die außerhalb der Hauptstadt null Relevanz besitzt. Leander Steinkopf bringt dieses Denken in seinem Büchlein „Stadt der Feen und der Wünsche” wunderbar auf den Punkt: „Früher dachte ich, auf dem Land, in der Kleinstadt, werde man immer um seine Zeit betrogen (...). Und so bin ich in die Stadt gegangen, wo alle nach sich selbst suchen, aber in Wahrheit suchen sie nicht nach sich selbst, sondern nach den neuesten Regeln für das Sein. Individualität ist hier vorauseilender Gehorsam gegenüber den Mechanismen des Coolnesskalifats. Alle kommen mit so großen Erwartungen hierher, dass der Gedanke undenkbar wird, dass hier bloß Mittelmaß zu finden ist. Und alle Enttäuschten fühlen sich allein mit ihren Gefühlen, sie wagen sie nicht auszusprechen, sie wollen nicht klein sein in dieser großen Stadt.” Und nachschieben möchte ich gerne, dass einige älter und scheinbar weiser gewordene Hipster dann eben ein Buch darüber schreiben, wie es ist, aufs ländliche Umfeld Berlins auszuweichen und dort in der brandenburgischen Peripherie Karnickel zu züchten – diese Bücher sind in den aktuellen Vorschauen mehrfach zu finden, was ich ähnlich ermüdend wie die von Ihnen erwähnten Lavendelfelder finde. Aber ich schweife ab…
Herzlichst grüßt aus der Provinz
Jens Bartsch – Buchhandlung Goltsteinstraße in Köln