Solveig Pöhland über die belletristische Novitätenflut

Lieber Klasse statt Masse

14. Juni 2017
von Börsenblatt
So viel Roman war nie: Beim Blättern der Vorschauen stößt man auf viel Überflüssiges – Perlen müssen immer mehr von selbst durchschimmern. Beobachtungen der Buchhändlerin Solveig Pöhland.

Allein schon, wenn ich mir die aktuellen Vorschauen durchschaue, kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass zunehmend Masse vor Klasse geht: Dutzendware mit den ewig selben Themen von der Suche nach Mr. Right über düstere Familiengeheimnisse und schmerzhafte Trennungen bis zu Rückblicken in die Zeit der 50er Jahre. Und inflationär sind in den Vorschauen Romancover mit Lavendelfeld vertreten: Da tendiere ich instinktiv dazu, das Buch nicht einzukaufen. Die Provence bietet so viele schöne Motive – warum also so einfallslos?

Dann gibt es eine überbordende Anzahl von Autoren, deren Namen kein Mensch zuvor gehört hat und die über Themen schreiben, in denen sie sich nicht auskennen. Die Auswahl also ist riesig, die Qualität nicht. Wie schon Karl Valentin sagte: "Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von allen ..." Die gehaltvolleren Romane und Erzählungen haben es in dieser Masse schwer, zumal die Werbeetats der Verlage immer mehr für Spitzentitel (aus Sicht des Verlags) eingesetzt werden.

Da werden in den Vorschauen vier bis sechs Seiten aufgewendet, ohne dass wirklich mehr Information über den Roman vermittelt wird. Manchmal erfahre ich dort vom Lieblingsbuch eines Lektors und ich denke mir: Schade, dass da die Werbung endet. Wobei ich genauso selbstkritisch fragen muss, ob die Mehrheit der Buchhändler eher risikoarme Titel in den Fokus stellt oder auch Schaufenster für die eigenen Herzenstitel macht. So müssen die Perlen immer mehr von selbst am Markt durchschimmern, werden von Buchhändlern und Lesern entdeckt wie Dörte Hansens "Altes Land" oder Brigitte Glasers "Bühlerhöhe". Sortimenter bekommen so eine immer wichtigere Funktion, als Trüffelsucher diese Schätze zu entdecken und sie ihren Kunden anzubieten.

Neben runden Preisen (weil Kunden inzwischen nur noch genervt von den 99-Cent-Preisen sind) würde ich mir von Verlagen mehr Mut wünschen, jenseits des scheinbar risikolosen Mainstreams mehr zu wagen. Und warum nicht junge Autoren aufbauen, deren Potenzial forcieren und deren Titel pushen? Der Buchmarkt muss sich mehr trauen, um Geschichten zu vermitteln, die die Leser überraschen – genau das suchen die Kunden doch verstärkt.

Realistischerweise findet der "Erstkontakt" zwischen Kunde und Roman aber zunächst einmal über das Cover, die Rückseite und den Klappentext statt. Wer immer diese Texte schreibt: Sie sind selten zielführend. Entweder wird die Stimmung, die Sprache eines Schriftstellers – die viel zum Lesegenuss beiträgt – nicht getroffen, oder es wird bereits zu viel vom Ende des Romans verraten. Noch häufiger wird gerade einmal die Ausgangssituation zweier handelnder Personen geschildert und der Kunde bleibt völlig im Dunkeln. Auch die Lobpreisungen früherer Romane eines Autors nerven viele Kunden: Was sagt das über das aktuelle Buch aus? Nichts, und es nutzt auch nichts für die Entscheidungsfindung, ob der Kunde es kaufen will oder nicht.

An dieser Stelle kommt umso stärker der Buchhändler ins Spiel, der den Roman kennt, im Idealfall gelesen hat und im Gespräch mit dem Kunden meist ziemlich eindeutig ausloten kann, ob die Geschichte und die Sprache dem künftigen Leser gefallen wird. Das ist die Kernkompetenz unseres Berufs. Wenn ich die strahlenden Gesichter von Kunden sehe, wenn sie mir erzählen, wie toll dieser oder jener Roman war: Dann hat es sich gelohnt.