Interview mit Arnd Roszinsky-Terjung

"Das Drama beginnt im Einkauf"

28. Juni 2017
von Börsenblatt
Individuelle Beratung, ausgesuchtes Sortiment, kulturelles Engagement - Buchhändler leisten viel. Lohnt sich der Einsatz auch? Unternehmensberater Arnd Roszinsky-Terjung über Literaturförderung, Autorenlesungen, Beratung und verödende Innenstädte.


Buchhandel zwischen kulturellem Engagement und Kostendruck: Können sich die Sortimenter den Einsatz für die Literaturförderung überhaupt noch leisten?
Literaturförderung assoziiert, dass hier vom Buchhandel etwas ohne eigenes Interesse geleistet wird. Aber das altruistische Mäntelchen passt nicht. Die kulturpolitische Rolle, die dem Buchhandel zugewiesen wird, stärkt seine Position. Leseförderung gehört zu den originären Aufgaben des Buchhandels. 

In ländlichen Gebieten gehört die Buchhandlung zu den letzten verbliebenen sozialen Orten. Ist diese Rolle denn auch lukrativ?
Buchhändler kultivieren auf dem Land einen hohen Anteil des kulturellen Angebots und der Vernetzung. Der Bedarf, literarisch ambitionierte Veranstaltungen zu erleben, ist auch dort groß. Dafür könnten die Buchhändler getrost einen angemessenen Eintritt erheben.

Trotzdem lohnen sich Autorenlesungen nur selten. Hätten Sie Alternativvorschläge?
Als erstes sollten Buchhändler ihre Preispolitik einmal überdenken: fünf bis zehn Euro für Veranstaltungen zu nehmen, ist doch sehr zögerlich. Außerdem gibt es Alternativen zur Wasserglaslesung alter Art, die doch oft aus der Zeit gefallen wirkt. Es geht darum, die Kunden mit Gleichgesinnten zusammenzubringen. Dafür braucht es nur einen kleinen Anlass. Ein schönes Beispiel ist die Reihe Abendbrot der Hamburger Buchhandlung Stories – Buchvorstellungen mit handgeschmierter Schnitte, so einfach und so erfolgreich.

Gute Beratung gehört im Buchhandel zum Service. Wie lange darf ein Beratungsgespräch für ein Taschenbuch dauern?
Wenn Taschenbücher mit Mund- zu-Mund-Beatmung verkauft werden müssen, stimmt mit der Präsentation und mit den Büchern selbst etwas nicht. Das Drama beginnt im Einkauf: Es wird zu viel eingekauft und dadurch entsteht diese drangvolle Enge. Wo finden Sie zum Beispiel im Buchhandel Bilder? Stattdessen werden Streifenplakate mit noch mehr Information aufgehängt. Bücher müssen so präsentiert werden, dass die Beratung quasi miteingebaut ist. Wenn Produkte zur Geltung kommen, werden sie auch gekauft.

Spielt Beratung denn dann überhaupt noch eine tragende Rolle?
Zweifellos ja, aber die Beratungsleistung ist eine andere geworden. In den Köpfen der Buchhändler heißt Beratung immer noch Eins-zu-eins-Beratung. Das ist zu aufwendig und auch intellektuell zu wenig. Die Beratung besteht in der Inspirationsleistung und dazu gehören ständige Inszenierungswechsel. Zum Beispiel jeden Tag einen Büchertisch mit den Titeln, die in den Feuilletons des Tages besprochen wurden – das inspiriert. Die reine Beschaffung von Büchern jedenfalls ist von vorgestern, die Funktion des Buchversorgers ist obsolet. Damit gewinnen Buchhändler keinen Blumentopf mehr.

Hugendubel stattet seine Buchhändler mit Tablets aus – ein Vorbild für alle Sortimenter?
Das ist jedenfalls eine Investition mit hoher Symbolkraft. „Die Buchhändler sind ja doch auf der Höhe der Zeit“, dieser Aha-Effekt dürfte bei den Kunden ausgelöst werden. Buchhändlerempfehlungen präsentieren oder dem Kunden als Wegbegleiter durch den Laden mitgeben – was man mit den Tablets in der Buchhandlung alles anstellen kann, wurde noch längst nicht erschöpfend ausgelotet. Und: Hugendubel ist mit den Tablets nach langer Abwesenheit wieder auf dem Innovationsmarkt angekommen.

Lässt sich auch gegen verödende Innenstädte und den Rückgang der Kundenfrequenz etwas ausrichten?
Das Problem ist riesengroß und schwer zu handhaben. Aber das Thema ist in den Köpfen der Politiker, der Einzelhändler und manchmal auch der Vermieter angekommen. Buchhändler können formulieren, vor Publikum sprechen, kennen Intellektuelle und V.I.P.s, sie müssen als Epizentrum an ihrem Ort wirken. Ihre natürliche Führungsrolle sollte der Handel nutzen, um die Kräfte am Standort zu bündeln. Denn soviel ist klar: Mehr Attraktivität für Kunden ist am Standort kaum im Alleingang zu schaffen.