Interview mit dem Bachmannpreis-Gewinner 2017

"Im Wirtshaus sind die Leute an denselben Problemen dran"

11. Juli 2017
von Börsenblatt
Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz hat den diesjährigen Bachmann-Preis gewonnen. Ein Gespräch über den diesjährigen Wettbewerb, Humor am Abgrund und die großen Lebensfragen.

Die Jurorin Sandra Kegel hat verraten, dass Sie erst der dritten Einladung nach Klagenfurt gefolgt sind. Warum so zögerlich?

Neben meiner Tätigkeit fürs Theater hat einfach die Zeit gefehlt, an einem Prosatext zu arbeiten. Es sind ja doch in den letzten Jahren vier Stücke von mir herausgekommen. Ich hoffe, dass sich das jetzt ein wenig ändert.

Heißt das, dass die Prosa mehr Gewicht bekommt?

Das Theater wird wichtig bleiben. Aber 'mein lieblingstier heißt winter' ist ein Teil aus einem längeren Text, der wächst kontinuierlich und soll einmal zu einem Roman werden. Diese verschwundene Leiche, diese kalte Leere wird der rote Faden sein beim weiteren Weg durch die Vorstadt. Es kommen da noch ein paar seltsame Figuren hinzu.

Sie haben ganz offen gesagt, dass Sie in Klagenfurt auch etwas gewinnen wollten. So freimütig ist nicht jeder.

Es wäre doch unnötig, herzufahren und sich das Ganze antun, wenn man nicht auch Lust hätte mitzuspielen. Aber ich habe bis zum Schluss nicht wirklich gewusst, wie das Ganze ausgehen würde. Ich kenne das auch von Theaterpreisen, solche Jurysitzungen sind einfach unberechenbar. Am Ende war ich dann schon sehr nervös.

Am Anfang des Wettbewerbs – nach der Lesung von John Wray – waren sich viele sicher: Das ist der Gewinner. Dann kamen Sie und plötzlich gab es zwei mögliche Preisträger. Wie haben Sie das erlebt?

Das Ganze wurde ja ein bisschen zu einem Duell zwischen uns beiden stilisiert. Als John Wray und ich einmal beieinander standen, haben wir überlegt, dass wir vielleicht einen Boxkampf austragen sollten, um den Gewinner zu ermitteln, Tai Chi-Schattenboxen.

Sie haben als Dramaturg viel Bühnenerfahrung. Hat Ihnen das hier geholfen?

Ich glaube schon. Ich lese einfach gern. Ich möchte nicht als Schauspieler jeden Abend auf der Bühne stehen, aber ab und an einen Auftritt – das mag ich. Trotzdem war ich nervös am Morgen vor meiner Lesung. Aber als ich dann auf dem bequemen Stuhl saß und meinen Text vor mir hatte, wurde ich sehr ruhig. Es war aber auch so: Es wurde an den richtigen Stellen gelacht – das gibt einem natürlich Sicherheit.

Sie schreiben vor allem fürs Theater. Wie leicht oder schwer fiel Ihnen die andere Form, mit der Sie weniger vertraut sind?

Bei den Theatertexten denkt man das Publikum mit. Da gibt es einfach eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne, so eine Aufführung dauert vielleicht zwei Stunden. Das ist ein sehr konzentrierter Zeitraum. Diese Spanne mit Dramaturgiebögen zu füllen und Figuren zu führen, ist allerdings – anders als viele sich das vorstellen – gar nicht so leicht. Prosaschreiben ist für mich dagegen eine Befreiung von ein paar Konventionen. Ich habe den Sprachfluss viel freier laufen lassen können. Dass sich dann doch starke Figurenkonstellationen entwickelt haben, hat mich selbst gewundert. Ich war wahrscheinlich einfach zu trainiert vom Theater.

"mein lieblingstier heißt winter" ist ein sehr rhythmischer Text, der mit allerlei Sprachverdrehungen arbeitet. Die Konzentration auf die Sprache – das ist sehr österreichisch.

Ich schreibe erst seit fünf Jahren. Aber ich hatte eigentlich schon immer das Gefühl, dass es nicht so gerade heraus kommen kann. Ich habe lange gebraucht, bis ich mal den ersten Satz habe hinschreiben können, bis ich einen Sprachduktus fand, der für mich funktioniert. Dieses ganz und gar Bruchlose liegt mir nicht so. Freunde von mir sind Fans von Fantasy-Romanen. Ich hingegen habe mich schon beim Herrn der Ringe schwer damit getan, wenn Sprache so ganz gerade heraus kommt.

Ihr Text ist sehr komisch, aber verhandelt wird darin nichts weniger als der Tod, wie jemand sterben will. Über das Ernste mit Leichtigkeit zu schreiben – ist das ein Leitgedanke?

Ja. Das ist vielleicht auch etwa, was sehr österreichisch ist. Dieser Humor, der gerade am Abgrund ganz gut funktioniert. Man ist da immer in solch einer Verteidigungsrolle. Auch im Theater werden die Komödien nicht so geschätzt wie die großen Tragödien. Aber Komik hat schon einen großen Erkenntniswert – da wo das Hässliche, Unangenehme mit einem Humor gepaart wird. Gerade auch, wenn man es schafft, über sich selbst zu lachen. Oder wenn man sich in Texten selbst erkennt, die eigenen Schwächen gespiegelt findet.

Ihr Auftritt selbst war besonders: Mit Hut, dunklem Anzug, und Krawatte – gewissermaßen ein Gesamtkunstwerk. Haben Sie sich das speziell für Klagenfurt ausgedacht oder bewegen Sie sich auch sonst so durchs Leben?

Natürlich hat man mich hier als Figur wahrgenommen. Aber ich trage nun einmal gern Hüte, ziehe mich gern ordentlich an, wenn ich irgendwo lesen soll. Das war kein spezielles Kostüm. Gut, das Rehfüßchen, das ich mir umgehängt habe, das hat natürlich bestens gepasst. Aber es ist nicht so, dass mein ganzes Leben der Versuch ist, eine Kunstfigur darzustellen. Obwohl, heute bin ich hier über den Markt gegangen und habe gemerkt, jeder erkennt mich wieder. Aber ich weiß nicht, wenn der Hut alleine über den Markt gegangen wäre ... ob ich daneben unerkannt geblieben wäre.

Randständige Figuren, wie der Bofrostmann Schlicht aus Ihrer Klagenfurt-Erzählung, sind eher selten in der Gegenwartsliteratur. Woher rührt Ihr Interesse an solchen Charakteren?

Das kommt sicher aus dieser Volksstücktradition. Horváth wird ja anzitiert im Text. Das ist etwas, was mich interessiert, der Blick vom Rand der Gesellschaft rein ins Zentrum. Das sind Figuren, die schon im klassischen Wiener Volksstück auftauchen, wie der Hanswurst oder der Dumme Augustin, die  am Rand der Gesellschaft sind oder schon Ausgeschlossene – dadurch aber einen unverklärten Blick haben. Und dadurch, dass sie so eine inoffizielle Sprache haben, können sie dann auch wieder bittere Wahrheiten oft auf eine komische Weise ansprechen. Das ist etwas, was mich an einer Sprache, die vom Rand kommt, interessiert.

Ist das auch eine Erfahrung aus dem Alltag?

Ich habe Philosophie im Wahlfach studiert. Wenn man aus einem Agamben-Seminar kommt und zu mir in die Steiermark fährt und da irgendwo im Wirtshaus sitzt, bemerkt man, dass die Leute an denselben Problemen dran sind. Das Philosophieseminar hat einfach nur eine offizielle, besiegelte Sprache dafür.

 

Ferdinand Schmalz wurde 1985 in Graz geboren und heißt eigentlich Matthias Schweiger. Er hat Theaterwissenschaften und Philosophie in Wien studiert, wo er auch heute lebt. Ferdinand Schmalz schreibt vor allem für das Theater. 2014 wurde sein erstes Stück "am beispiel der butter" uraufgeführt. Für "mein lieblingstier heißt winter" erhielt er am Sonntag den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis.