Was ist mit unserer Diskussionskultur passiert?

Trollt euch!

24. Juli 2017
von Börsenblatt
Ist die Distanz zwischen Diskussion von Angesicht zu Angesicht und Diskussion im Web unüberbrückbar geworden? Marcel Hinderer und Alexander Haneke sind sich einig: Es muss sich etwas ändern! Begegnungen im Rahmen des Jugendcamps „Du hast das Wort“.

„Bei der Argumentation seiner Meinung ist es wichtig über das persönliche Empfinden hinauszugehen", erläutert Marcel Hinderer, Rhetoriktrainer bei Jugend Debattiert. Doch ganz schnell wird im Gespräch mit den Teilnehmern beim Rhetoriktraining am mediacampus frankfurt klar, dass das Zuhören mindestens genauso wichtig ist wie kritisches Nachfragen.

Man stelle sich folgende Situation vor: Der Lehrer macht während des Unterrichts den Witz: „AfD Wähler drehen bei Tetris auch das Quadrat um“, die Klasse lacht. Rein prozentual sind in der Klasse aber mindestens zwei Kinder, deren Eltern die AfD wählen. Für diese wäre ein Austausch über Politik an dieser Stelle schon zu Ende, da sie sich persönlich angegriffen fühlen. Das zeigt, wie wichtig es ist sich jede Meinung anzuhören und sich auf eine offene Diskussion einzulassen, ohne sofort in die Offensive zu gehen. Zu dieser Erkenntnis kamen auch die Teilnehmer, die schnell feststellten, dass durch Zuhören viele Missverständnisse vermieden werden können. Während die Jugendlichen anfangs noch hitzig und laut diskutierten, tauschten sie am Ende des Seminars ihre Meinung sachlich und überlegt aus. 

Das Internet und die neuen Medien haben die Diskussionskultur in unserer Gesellschaft verändert. Durch Kommentarfunktionen unter Artikeln, Twitter und Internetforen ist es sehr viel einfacher, die eigene Meinung zu veröffentlichen und diese so mit anderen zu teilen. Einerseits wird dadurch die Menge der öffentlichen Meinungen größer. Andererseits führen die größere Anonymität und die Schnelligkeit des Internets aber auch zu mehr unüberlegten, undifferenzierten Meinungen, welche auch schnell zu Hasskommentaren werden können. Alexander Haneke, Journalist für das Ressort Politik der „F.A.Z.“, sieht auch eine Veränderung der Art der Kommentare unter im Internet publizierten Artikeln. Während zu Anfang die Kommentare unter Artikeln der „F.A.Z.“ noch bereichernd waren, durchaus zu guten Diskussionen geführt und neue Sichtweisen eröffnet haben, musste nun die Kommentarfunktion unter Artikeln zu Themen wie z. B. Homosexualität, Flüchtlingen und Russlandkonflikt abgestellt werden, da diese zum Teil von starkem Hass geprägt waren. Aus diesem Grund zieht Haneke Leserbriefe den Kommentaren im Internet vor. Ihm zufolge sind diese überlegter, da der Verfasser mehr nachdenkt und sich mehr Mühe gibt.

Die Aufgabe der Journalisten ist es Debatten anzustoßen“ – Alexander Haneke, Ressort Politik der F.A.Z. 

 

Ein anderes Problem sind laut Haneke Foren, in denen es keinen Moderator gibt und in denen eine Meinung mehrheitlich vertreten ist. Dadurch kann es geschehen, dass die Teilnehmer dieser Plattformen sich nur innerhalb „ihrer Wahrheit“ bewegen, aber andere Meinungen oder Auslegungen von Ereignissen sowie Fakten nicht wahrnehmen.

Haneke betont auch, wie wichtig es ist, andere Meinungen zuzulassen und sich mit ihnen auseinander zu setzen, um nicht immer in der eigenen Filterblase zu verweilen. Tut man dies nicht, übersieht man schnell die Sichtweisen anderer. Diese wiederum können dann das Gefühl bekommen, dass ihre Meinungen sowieso nicht wahrgenommen und vor allem nicht als solche ernstgenommen werden. 

Da die Veränderungen in der Diskussionskultur immer auffälliger werden, stellt sich die Frage, was für eine differenzierte und argumentative Diskussionskultur getan werden kann.

Hinderer sieht es deshalb als ausgesprochen wichtig an, alle Meinungen ernst zu nehmen und bei Unklarheiten nachzufragen. Auf keinen Fall sollte jemand aufgrund seiner Meinung als Person abgewertet werden, da dann kein Dialog mehr zustande kommt. Stattdessen sollte immer davon ausgegangen werden, dass der Gesprächspartner gute Gründe für seine Meinung hat. Wenn die eigene Meinung abweicht, sei es daher sinnvoller, die Argumente des Gegenübers sachlich zu widerlegen. Leichter gesagt als getan! Das Zuhören sollte nicht nur für die Platzierung des nächsten eigenen Arguments genutzt werden, sondern tatsächlich auf echtem Interesse beruhen.

Auch wenn eine differenzierte Auseinandersetzung mit anderen Meinungen zunächst schwierig wirken kann, ist sie unabdinglich für unsere Demokratie. Denn sie fordert Meinungsfreiheit – welche nicht nur ein Recht sondern auch eine Pflicht ist.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Jugendcamps Du hast das Wort / Tu as la parole entstanden. Hier finden Sie alle Artikel der Teilnehmer: Du hast das Wort.

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