AfD-Politiker beim Vorlesetag?

Jugendbuchverlage fordern Rückzieher

9. August 2017
von Börsenblatt
Dass die Stiftung Lesen, "Zeit" und Deutsche Bahn auch AfD-Politiker wie Björn Hocke aufgefordert haben, sich am Bundesweiten Vorlesetag zu beteiligen, hat unter den Jugendbuchverlagen hohe Wellen geschlagen. Die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen avj fordert auf, die Einladungen wieder zurückzunehmen und künftig kritischere Maßstäbe anzusetzen.

In einer Masseninfo-Sendung ohne persönliche Anrede hatte die Stiftung alle demokratisch gewählten Abgeordneten der Länderparlamente und des Bundestags mit Ausnahme der NPD eingeladen, am Bundesweiten Vorlesetag am 17. November teilzunehmen. Die Kindertagesstätten, Schulen und sozialen Einrichtungen entscheiden aber selbst, wen sie als Vorleser einladen oder nicht.

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen avj hatten wie die Öffentlichkeit durch einen Artikel in der "taz" von den Aufforderungen zur Beteiligung am Vorlesetag erfahren und daraufhin den avj-Vorstand gebeten, sich umgehend zu distanzieren. Die avj ist auch im Vorstand der Stiftung Lesen vertreten, die Vorstandsmitglieder hatten aber keine Kenntnis über die Aufforderungen an die Politiker, wie die avj-Vorsitzende Renate Reichstein auf Nachfrage mitteilte.

avj äußert ihr Befremden über die Einladungen

avj-Mitglieder und Vorstand haben heute ihr "Befremden über die unkritische bzw. undifferenzierte Einladung aller gewählten Politiker (m/w), die nur die der NPD ausschließt", geäußert. Einzelne Abgeordnete der AfD seien wiederholt mit Äußerungen in die Öffentlichkeit getreten, "die nicht mit den Grundwerten unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung in Einklang stehen. Antisemitische, rassistische Äußerungen disqualifizieren diese Mandatsträger, zum Bundesweiten Vorlesetag eingeladen zu werden."

Edmund Jacoby (Verlagshaus Jacoby & Stuart) bringt die Besorgnis der avj-Mitgliedsverlage auf den Punkt: "Ich glaube, dass es in diesem Fall darum geht, Sensibilität dafür zu wecken, dass die Maßstäbe der öffentlichen Moral auch in der Kulturszene sich schleichend zu verschieben beginnen und dass das unsere Aufmerksamkeit erfordert."

Vorstand und Mitglieder der avj haben deshalb die drei Initiatoren des Bundesweiten Vorlesetags aufgefordert, die Einladung an die AfD-Abgeordneten zurückzuziehen und für künftige Aussendungen kritischere Maßstäbe anzusetzen.

Reaktion der Initiatoren

Die drei Initiatoren Stiftung Lesen, "Zeit" und Deutsche Bahn reagierten umgehend auf die Stellungnahme der avj: "Wir nehmen die Kritik an dem breiten Verteiler für Politiker ernst." Die Initiatoren wollen die politische Entwicklung, besonders der AfD, beobachten und ihr Vorgehen 2018 überprüfen. Grundsätzlich solle der Vorlesetag "keine politische Plattform" sein, sondern die Begeisterung am Lesen und Vorlesen wecken.

Die Initiatoren verwiesen darauf, dass Teilnahme "jedem Bürger und jeder Bürgerin offen" stehe, ebenso die Registrierung einer Aktion auf der Website vorlesetag.de. Die Initiatoren des Vorlesetages steuerten die Leseaktionen nicht: "Leiter/innen von Kitas und Schulen üben ihr Hausrecht aus und entscheiden selbst, welche Vorleser/innen in ihre Einrichtungen kommen und lesen."

Kritik auch vom PEN

PEN-Präsidentin Regula Venske hatte bereits auf "Spiegel online" gewarnt, dass die Grundsätze der AfD in Bezug auf kulturelle Vielfalt und Toleranz nicht mit den an Schulen und Kitas vertretenen Leitbildern vereinbar seien. Die Aufforderung zur Beteiligung am Vorlesetag widerspreche selbst den eigenen Grundsätzen der Stiftung. In der Tat wird in den Leitlinien der Stiftung Lesen die "Zusammenarbeit mit Parteien, Institutionen und anderen Gruppen oder Einzelpersonen, die antidemokratisches, rassistisches, fremdenfeindliches oder diskriminierendes Gedankengut vertreten oder verbreiten" ausgeschlossen.