Martina Bergmann zu Buchhandel und Politik

"Es standen geruchsneutrale Alternativen zur Wahl"

4. Oktober 2017
von Börsenblatt
Man müsse aufpassen, "an welcher Stelle die Freiheit des Nichtwissens für andere gefährlich wird", meint Martina Bergmann, und fragt: Ist das die Aufgabe der Buchhändler? Teil 7 einer zehnteiligen Serie der Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen.

Hat so ein Buchladen mit Politik zu tun? Ist er in sich politisch, braucht er Politik, kann sie ihm schaden? Was mich betrifft: Ich verkaufe alle Bücher, solange sie nicht verboten sind. Aber in unserem Regionalverlag erscheinen Bücher von jüdischen Autoren, einige haben den Holocaust nicht überlebt. Als Verlegerin kann und will ich mir nicht leisten, auf dem rechten Auge blind zu sein. Es wäre unanständig. Deswegen habe ich am Wahlabend ein Schild an die Tür gehängt - Wenn Sie AfD wählen: Kaufen Sie woanders!

Ich war gespannt, was die Kunden sagen würden. Vielleicht: Was mischt Du dich ein? Du sollst Bücher verkaufen, das ist Dein Job. Politik ist nicht Dein Job. Aber die Kunden waren einverstanden. Es gibt keinen besseren Beleg für eine funktionierende Zivilgesellschaft als diesen Montagmorgen nach der Wahl. Fünfzehn oder zwanzig Personen waren da, um sich auszutauschen. Warum gibt es dieses Ergebnis? Was stört an der Politik, so wie sie war? Wie kommt man dazu, von einem "gärigen Haufen" repräsentiert werden zu wollen? Ich meine, der stinkt. Selbst wenn man die Bundeskanzlerin nicht mag, wenn man von der großen Koalition die Nase voll hatte - es standen geruchsneutrale Alternativen zur Wahl. Was muss einem passiert sein, dass man radikale Verweigerung wählt?

Es gibt hier auch ein Unbehagen, so ist das nicht. Das Leben sei unübersichtlich geworden, sagen viele. Die Welt sortiert sich neu, ständig, und was scheren uns die Konflikte ferner Kulturen? Das ist eine rhetorische Frage, denn die Opfer dieser Kriege leben als Flüchtlinge mit und unter uns. Ob die Integration gelingt, ob es möglich ist, in diese sich wandelnde Gesellschaft große Zahlen sehr fremder Menschen zu integrieren, sei dahingestellt. Meine persönliche Meinung: Das geht. Deutschland ist ein reiches Land, und die Strukturen sind einigermaßen flexibel. Ich sehe hier auch nicht so viele verdrossene Flüchtlinge. Unser Mitarbeiter, den wir Anfang 2016 als Minijobber beschäftigt haben, ist inzwischen nicht mehr Kunde im JobCenter. Er hat eine Vollzeitstelle und kauft sich bald ein Auto. Ich hatte gehofft, er lernt etwas Anständiges, bevor er Rinder zerlegt und durch die Gegend fährt. Aber das geht mich nichts an. Nicht als Ex-Chefin, nicht als Inhaberin meiner Ansichten zu qualifizierter Arbeit, einfach gar nicht. Ziemlich viele Leute investieren lieber in Fahrzeuge als in Bildung. Auch das ist Freiheit. Ich meine nur, man muss aufpassen, an welcher Stelle die Freiheit des Nichtwissens für uns andere gefährlich wird. Ist das die Aufgabe der Buchhändler? Wissens- und mithin Demokratievermittlung? Unser Berufsstand genießt einige Privilegien, die das nahelegen. Die Buchpreisbindung schützt uns, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ist eine Form von Subvention. Politik nimmt uns auf der Inhaltsebene wahr, immerhin.

Aber die Politik ignoriert uns seit Jahren als Betriebsform, als kleine und mittelständische Unternehmen. Ich ärgere mich jeden Monate über die Abbuchung der Knappschaft, denn das Geld ist einfach weg - ein Drittel der Lohnsumme immerhin. Die Mitarbeiter profitieren nicht, sie sammeln keine Rentenpunkte, sie sind dadurch auch nicht krankenversichert. Eine völlig anonyme Zwangsabgabe. Ich würde die Knappschaftsbeiträge lieber in eine private Altersvorsorge einzahlen, meinetwegen hälftig für den Mitarbeiter und für mich. Ich würde überhaupt begrüßen, es gäbe eine Diskussion über unsere Altersvorsorge. So wenig ich staatliche Intervention schätze, so sehr meine ich inzwischen, der Staat, die Politik müssen sich damit beschäftigen, dass sehr viele Selbständige dauerhaft weit unter Mindestlohn tätig sind. Das ist eine gefährlich unzureichende Selbstfürsorge, oft aus der Not geboren. Ich meine damit nicht prekäre Phasen wie die Existenzgründung. Ich meine auch nicht Zeiten von kurzfristig schlechter Liquidität wie die sprichwörtliche Baustelle vor der Tür oder einen langen harten Winter. Unsere Altersvorsorgemodelle sollten flexibel sein, sie müssten auf so etwas reagieren können. Und sie müssen pfändungssicher sein, denn Betriebe können in die Insolvenz gehen; das passiert einfach. Aber es muss sie verpflichtend geben, es darf nicht sein, dass wir sehenden Auges in die Altersarmut rennen, weil uns in dieser Dauerkrise des Einzelhandels nichts besseres einfällt als an der eigenen Rente zu sparen.

Wenn Politik will, dass wir Einzelhändler vor Ort zur Öffentlichkeit beitragen, wenn sie will, dass wir Strukturen aufrecht erhalten, die nicht ganzjährig gleich profitabel sind, wenn sie will, dass wir beschäftigen und ausbilden: Dann muss Politik sich anders für uns einsetzen. 7.000 Euro Buchhandlungspreisprämie sind nett. Aber sie lösen nicht das Vorsorgeproblem der kleinen Selbständigen. Meine Gedanken zur Altersarmut sind aber kein Grund, sich politisch zu radikalisieren. Aber ein gewichtiger Grund, sich politisch zu betätigen. Wenn es mir gut geht, heute und auf Sicht: Dann stresst mich vieles weniger, und ich habe Muße, mich für das einzusetzen, was gerade verdammt wichtig ist - Meinungsfreiheit, Demokratie, ein ganz entschiedenes Eintreten gegen völkisch verblasenen Unfug und selbstgefälligen Kulturchauvinismus.


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