Diskussionsrunde „Zum Lesen hat man immer Zeit“

Warum Bücher zum Leben gehören (sollten)

15. Oktober 2017
von Börsenblatt
„Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor“, meinte einst der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire. Unter diesem Grundsatz stand am Samstag eine Diskussionsrunde auf der Frankfurter Buchmesse. Moderator Thomas Böhm sprach mit der Politikerin Anne-Marie Descôtes und dem Schauspieler Wolfram Koch darüber, warum Bücher zu ihrem Leben gehören.

„Zum Lesen hat man immer Zeit“, lautete der Titel einer Veranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse am Samstagmittag, bei der neben den individuellen Lesegewohnheiten der Teilnehmer auch Frankreich zum Gegenstand der Diskussion gemacht wurde. Anne-Marie Descôtes, Botschafterin der Französischen Republik in Deutschland, debattierte mit dem Darsteller Wolfram Koch („Tatort“) über französische und deutsche Bücher am Stand des deutsch-französischen Fernsehsenders Arte. Mehr Parallelen zwischen dem Gastgeber Deutschland und dem Gastland Frankreich hätten kaum gezogen werden können.

Descôtes, die in Lyon geboren wurde und in Berlin Germanistik studierte, gestand im Gespräch mit Moderator Thomas Böhm, dass sie in ihrer Jugend keinen Zugang zum Lesen hatte. „In den sechziger Jahren gab es auf dem französischen Buchmarkt keine sonderlich umfangreiche Auswahl an Kinder- und Jugendbüchern. Und die Wenigen, die es gab, waren schwere, belehrende Titel, die mich nicht angesprochen haben.“ Erst später, auf dem Gymnasium, habe sie eine Leidenschaft für das Debattieren und damit einhergehend für Literatur von unter anderem Sartre, Balzac und Flaubert entwickelt.

Wie viel Zeit zum Lesen bleibt?

Bei Koch war es umgekehrt: „Ich las schon früh sehr viel. Mein Vater war eine richtige Leseratte. Das hat abgefärbt.“ Heute lese er aus beruflichen Gründen seltener und auf eine andere Art. „Die Vorbereitung auf eine Rolle erfordert ein analytisches Lesen. Mit Genusslesen hat das weniger zu tun“, bedauerte der Schauspieler. Descôtes gab ebenfalls zu, dass sie zurzeit hauptsächlich Fachliteratur und diplomatische Notizen lese und dass privates Lesen in ihrem Alltag zu kurz käme. „Also findet man nicht immer Zeit zum Lesen?“, hakte Böhm nach. Nein, aber manchmal müsse man sie sich erkämpfen, waren sich die Politikerin und der Schauspieler einig.

 Und wie wählen sie die richtigen Bücher für ihre knapp bemessene Zeit aus? „Per Zufall – und über Empfehlungen von Kollegen“, erzählte Koch. Descôtes lässt sich in der Buchhandlung ihres Vertrauens beraten. „Ich mag es, mich über Bücher auszutauschen“, sagte sie. Sie sei zudem ein haptischer Mensch und genieße es, durch den Laden zu streifen und einzelne Bände in die Hand zu nehmen. „Das kann Amazon nicht leisten“, findet die Politikerin. Der Gang in die Buchhandlung bleibe für sie der „schönste Weg zu Büchern“.

 

Gute Literatur leistet Vermittlungsarbeit

Für das Publikum am Samstag hatten die beiden Diskutanten ihre ganz persönlichen Buchempfehlungen mitgebracht. Descôtes stellte unter anderem einen deutschen Titel vor. Sie zeigte sich begeistert von Wolfgang Herrndorfs Jugendroman „Tschick“. „Gelungen finde ich die Sprache, die den richtigen Ton trifft. Es wird authentisch aus Sicht eines 14-jährigen Jungen erzählt.“ Außerdem sage das Buch viel über das heutige Deutschland aus. „Für mich leistet gute Literatur Vermittlungsarbeit. Sie schafft es, die Geschichte, die Politik und die Kultur eines Landes auf unterhaltsame Weise einem breiten Publikum zugänglich zu machen.“

Koch wiederum brachte den Roman eines französischen Schriftstellers mit: „Der Fremde“ von Albert Camus. „Ich bin ein großer Freund des Antihelden“, erklärte er. Und ein ebensolcher sei Meursault, der Protagonist des 1942 erschienenen Romans. „Ich mag die Kälte seines Charakters und das Provokante in seiner Geschichte“, so der Schauspieler. Descôtes stimmte ihm zu: „Es sind diese Stimmungen und Eindrücke, die nach der Lektüre eines guten Buches in Erinnerung bleiben und das eigene Leben bereichern.“