Change Congress in Berlin

Wind of Change

26. Oktober 2017
von Börsenblatt
Was genau ist "Change"? Und warum ist die stete Wandlungsfähigkeit für Unternehmen so wichtig? Mit dieser Frage beschäftigen sich nicht nur unzählige Bücher, sondern gleich ein ganzer Kongress.   

Etliche Bücher wurden bereits geschrieben, doch die Erzählung vom Wandel in der Wirtschaft scheint nicht zu verstummen. Der Buch- und Weiterbildungsmarkt ist nach wie vor heiß auf "Change" und seine nobelste Form der Umsetzung: das Change Management. Gerade wieder hat die Verlagsgruppe Handelsblatt – im dritten Jahr in Folge – zum "Change Congress" in Berlin geladen. Zwei Tage lang referierten und diskutierten Wissenschaftler, Berater und Unternehmenspraktiker aus verschiedenen Branchen über die "Arbeitswelten von morgen".

Das Programm vermittelte eine gewisse Rastlosigkeit (nicht nur, weil am Morgen des zweiten Kongresstags ein optionales "Wake-Up Outdoor-Training" angeboten wurde). Aufgeteilt in vier Kategorien – Werte, Führung, Strukturen und Neugier – wurde offenbar, was Change, dieser viel zitierte Begriff aus dem Besteckkasten jedes Unternehmensberaters, ist – oder sein kann. Etwa eine neue Vertrauens- und Respektkultur bei Führungskräften, eine veränderte interne Kommunikation oder auch Kreativität als "neue Währung", um nur drei Beispiele zu nennen.

Die Arbeitswelten von morgen stehen für "höhere Flexibilität, weniger Planbarkeit und andere Anforderungen an Persönlichkeit und Verhalten", sagt Kongressleiterin Isabell M. Welpe, Professorin für Strategie und Organisation an der TUM School of Management der TU München. Letztlich sei Change ein "im Entstehen begriffener Prozess", bei dem keine spezielle Branche Vorreiter sei. Das wurde auch bei den Referenten des Kongresses sichtbar: Von Kliniken bis zum Outdoor-Ausrüster vollzieht gerade eine große Bandbreite an Unternehmen den jeweils individuellen Wandel. "Betroffen sind sicherlich vor allem jene Wirtschaftszweige, die als Erstes von der Digitalisierung erschüttert wurden", sagt Welpe. Auch die Buch- und Verlagsbranche. "Ein Großteil der Unternehmen in Deutschland hat verstanden, dass sie dringend die digitale Transformation von Geschäftsmodellen, von Arbeit, Führung, Kultur, Talentsuche, Management und Rekrutierung adäquat angehen müssen."

Die Frage aber ist, welche "Melodie" dieser Wandel hat, wie es der Chefredakteur der vom "Handelsblatt" herausgegebenen Fachzeitschrift "changement!", Martin Claßen, formuliert. Gerade aus Mitarbeitersicht werde "die Change-Story entweder einen positiven Ton haben oder von negativen Lauten bestimmt".

In der Tat muss man sich fragen, wie in bestimmten Branchen und Unternehmen die "Substitution von Arbeit durch Kapital infolge von Digitalisierung und Automatisierung" (Claßen) zu den gepredigten Empathie- und Menschlichkeitsfaktoren des Wandels passen. Denn letztlich steht hinter jedem Change kein Selbstzweck, sondern das Bestreben, Wertschöpfung zu steigern und Kos­ten zu senken. Gerade bei diesem "makroökonomischen Doppeleffekt" wird es laut Claßen in den kommenden Jahren massive Veränderungsprozesse geben, "zusätzlich zur Business Transformation in den einzelnen Unternehmen und Verwaltungen", die ohnehin passiert. Da nützt es dann auch nichts, wenn Mitarbeiter ihre Entlassung auf spielerische Weise mitgeteilt bekommen, gemäß dem "Gamification"-Ansatz, der ebenfalls auf dem Kongress verhandelt wurde und auch ein Element von Change sein kann.

Das Themenfeld ist ungeheuer spannend – aber für nicht ausschließlich ren­diteorientiert denkende Menschen durchaus zwiespältig. Die Gefahr des Change um des Changes Willen steht im Raum. Doch es gibt auch andere Stimmen: "Be a 'Mensch'" hat der norwegische Wirtschaftsphilosoph Anders Indset seinen Text zum Change Congress überschrieben. Er plädiert dafür, Ethik, Moral und Werte, die von Unternehmen so gern gepredigt und in Corporate-Social-Responsibility-­Erklärungen gegossen werden, nicht nur als Lippenbekenntnis zu verstehen, das zigfach missachtet wird, sobald der "Druck des Kapitalismus" zu groß wird. An VW und vielen andere Beispielen konnte man das zuletzt besichtigen.

Er fordert dazu auf, auch mal Schwäche zu zeigen. Wie bitte? Ja, genau – denn Verletzbarkeit sei, so Indset, der "Geburtsort von Kreation und Innovation". Auch das kann ein Element sein in diesem großen, rastlosen Gemischtwaren­laden namens Change.