Die Lage der Fachmedienhändler

Erfolgsfaktor Anpassung

30. November 2017
von Sabine Schmidt
Das politische Tauziehen um eine regierungsfähige Koalition hat Folgen für den RWS-Markt: Neue Gesetzesinitiativen dürften auf sich warten lassen. Dafür sorgen die Zielgruppen für Bewegung: Junge Anwälte lesen auf dem Handy. Und der Fachbuchhändler ist längst ein Fachmedienhändler.

Auch wenn der Digitalisierungsdruck im RWS-Segment hoch ist: Michael Kozinowski macht mit seiner Buchhandlung Klaus v. Mackensen in Wuppertal vor allem analoge Geschäfte – und ist mit der Umsatzentwicklung zufrieden. "Alles bestens", lautet sein überraschend positives Resümee. Seine Buchhandlung, die neben einem allgemeinen Sortiment mit Regionalia-Schwerpunkt auch viele Fach­bücher zu Recht, Wirtschaft und Steuern führt, hat einen festen Platz in der Einkaufslandschaft von Wuppertal.

"Für uns spielt eine Rolle, dass 'Buy Local'-Diskussionen in Wuppertal Wirkung zeigen und der Anteil des Firmenkundengeschäfts deshalb deutlich zugenommen hat", erklärt er. "Mittelständische Unternehmer, einige mit bis zu 1.000 Mitarbeitern, machen sich Gedanken darüber, wie sich eine lebendige Innenstadt erhalten lässt. Dazu gehört eine gute Buchhandlung, und deshalb beziehen sie ihre juristische Fachliteratur über uns."

Das gilt zumindest für den gedruckten Anteil, insbesondere für Fortsetzungen. Digitale Informationen beziehen die Firmenkunden dagegen in der Regel nur dann bei Kozinowski, wenn sie zusammen mit Büchern angeboten werden.

Natürlich: Hier geht es nicht um das Massen-, sondern um das Individual­geschäft in eher kleinem Rahmen. Rund 180 Quadratmeter Ladenfläche bespielt der Wuppertaler Buchhändler. Das Rechnungsgeschäft stellt einen Umsatz von 65 Prozent – dabei kommt der RWS-Anteil auf 30 Prozent. Mehr als zwei Drittel seiner Kunden in diesem Segment sind Rechtsanwälte, dazu kommen Steuer­berater, Wirtschaftsprüfer sowie Firmen und Bibliotheken.

Die Juris­tische Fachbuchhandlung am Land­gericht in Essen mit ihrem großen Fach­antiquariat ist ganz anders aufgestellt als v. Mackensen in Wuppertal – und das nicht nur, weil sie auf Rechtsangebote spezialisiert ist. Ralf Borowski beschäftigt sich intensiv mit der digitalen Transformation und ist darauf eingestellt, dass Kunden gedruckte durch digitale Titel ersetzen und von der Fachbuchhandlung einen elektronischen Workflow erwarten.

"Wir waren einer der ersten Vertriebspartner der beck-online-Datenbank und haben längst den Wandel vom Fachbuch- zum Fachmedienhändler voll­zogen", sagt Borowski. Heute verkauft er zwar immer noch Bücher und Loseblattwerke, doch darüber hinaus berät er über digitalen Content, über Zugangsmöglichkeiten zu den großen juristischen Datenbanken, verwaltet Abos, bietet Service rund um Recherche und Bestellung. Sein Beruf, so Borowski, weise nur noch kleine Schnittmengen mit dem klassischen Buchhandel auf.

Auch wenn der Fachmedienhändler selbst programmieren kann und sich technisch bestens auskennt: Online­module für seine Website kauft der Fachmedienhändler zu – das sei schneller umzusetzen als eine hauseigene Lösung. Zusammen mit seinen sieben Mitarbeitern hat er die veränderten Nutzungs­gewohnheiten der Kunden genau im Blick. "Vor allem junge Anwälte lesen und bestellen online, oft über das Handy."

Das Ladengeschäft spielt für ihn kaum noch eine Rolle. Borowski berät am Telefon oder auch über YouTube-Videos, entsprechend den Usergewohnheiten kurz und knapp in anderthalb Minuten.

Seine Kompetenz zeigt er ebenfalls auf der juristischen Nachrichtenseite judid.de, die von der Buchhandlung gegründet wurde und die Borowski als Redaktionsleiter betreut. Zudem hat er ein Buch geschrieben ("Juristische Datenbanken für Kostenbewusste") – und er denkt darüber nach, Seminare anzubieten.

"Anpassung ist entscheidend für den Erfolg in einem kaum wachsenden, aber sich permanent verändernden Markt", weiß Borowski. Doch trotz aller Pläne und Neuerungen: Verlagsunabhängige, kompetente Beratung über Werke und Autoren sei letztlich sein Kerngeschäft geblieben, lautet seine Bilanz – und auch das gedruckte Buch sei längst nicht tot.

Ob klein oder groß, die Herausforderung ist für alle dieselbe: Traditionelles und Neues zu verbinden. Schweitzer Fachinformationen hat die komplexen Anforderungen, die im RWS-Markt durch die Fülle an angebotenen Medien und Medienformen, deren Nutzungsmöglichkeiten und damit verbundenen Erwerbungsmodelle entstanden sind, schon früh erkannt und mit einer ständigen Weiterentwicklung des Angebots reagiert. "Zu unserem Portfolio zählen heute neben dem reinen Produktverkauf ein Strauß verschiedenster Dienstleistungen – wie zum Beispiel Beratung und Logistikleistungen – und das Angebot an Softwarelösungen zur Beschaffung, Verwaltung und Nutzung von Fachinformationen. Zahlreiche Fachveranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen runden das Angebot ab", erklärt Philipp Neie, Geschäftsführer von Schweitzer Fachinformationen.

Die Veränderung des Markts wird auch bei der Betrachtung des Umsatzes deutlich. Für den großen Fachinformationsdienstleister machen digitale Produkte bereits knapp ein Viertel des Umsatzes aus – "mit nach wie vor steigender Tendenz", so Geschäftsführer Philipp Neie. "Wir wachsen in einem insgesamt stabilen Marktsegment, weil wir durch unser ständig an die Bedürfnisse der Kunden angepasstes Angebot mehr Markt­anteile an uns binden können."

Nicht nur das Angebot an Produkten und Leistungen hat sich im RWS-Markt verändert – auch das Kaufverhalten hat Veränderungen erfahren. "Es ist nötig, auf allen Vertriebskanälen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse sehr unterschiedlicher Kunden eingestellt zu sein – seien es Kanzleien, Unternehmen, Behörden oder Bibliotheken", sagt Philipp Neie. Oft nutzen Kunden nicht nur einen Kanal, um sich über Fachinformationen zu versorgen, sondern kombinieren verschiedene Möglichkeiten. Kunden recherchieren zum Beispiel im Schweitzer Webshop, der über 35 Millionen Artikel bietet, bestellen dann aber per E-Mail oder Telefon. "Der direkte Anteil des Webshops am Umsatz liegt bei etwa 20 Prozent", so Neie – "insgesamt erfolgt aber die Hälfte des Umsatzes über andere Wege. Es gehen Bestellungen per E-Mail oder Telefon ein oder direkt über den Außendienst. Die 26 Ladengeschäfte, in denen auch die über 100 Informations-, ­Beratungs- und Fortbildungsveranstaltungen pro Jahr stattfinden, bringen genauso einen Teil des Geschäfts ein."

Die Tendenz im RWS-Segment ist eindeutig digital, bei den Tools wie bei den Inhalten. Persönliche Beratung vor Ort ist deshalb aber nicht passé – diese Erfahrungen macht auch das Team von Sack Fachmedien. Zum Unternehmen, einer Tochter des Verlags Dr. Otto ­Schmidt, gehören neun Ladengeschäfte und Vertriebsstätten mit zum Teil sehr langer Tradition – die Düsseldorfer Fi­liale hat gerade 90. Geburtstag gefeiert.

Programmierer zählen bei Sack längst zum Personalstamm, Buchhändler wandeln sich bei Recherche, Beschaffung und Verwaltung der Fachinformationen mehr und mehr zum technischen Dienstleister. Und auch hier gibt es eine Plattform, auf der Kunden ihre Vor­gänge und Geschäfte abwickeln können: SackOnline – zusätzlich zu den klassischen Buchhandelsangeboten und zum Außendienst. RWS-Kunden stellen die Kernzielgruppe. "Wir sind aber breit aufgestellt und beliefern zum Beispiel auch die Stadtbibliothek Köln mit allem, was sie braucht", erklärt Geschäfts­führer Hans-Jürgen Richters.

Auch wenn große Verlage wie C. H. Beck mit ihrem eigenen Außendienst den Weg zum Kunden suchen und der Direktverkauf insbesondere bei Datenbankangeboten zunimmt, sieht Richters den Handel im RWS-Geschäft keineswegs außen vor. "Gerade in dieser immer komplexer werdenden Fachwelt sind unsere Leistungen unverzichtbar, und natürlich beraten unsere Mitarbeiter die Kunden auch über Datenbankangebote. Darauf sind wir inzwischen spezialisiert."

Die klassische Beratungskompetenz des Handels sei wichtig, so Richters – aber das hochspezialisierte RWS-Segment benötige ebenso hohe Investi­tionen in IT – und Personal, das wie die Computer laufend "Updates" verarbeiten müsse. "Es ist eine Herausforderung, am Ball zu bleiben, insbesondere im ­E-Procurement, und sich kontinuierlich zu verbessern", so Richters. "Bei Sack haben wir in diesem Jahr damit begonnen, eine eigene Entwicklungsabteilung aufzubauen, die diesen Anforderungen gerecht wird."

Die politischen Rahmenbedingungen machen das Geschäft nicht gerade leichter: Die Gesetzgebung liegt auf Eis, weil die Berliner Politik seit Monaten mit Wahl und Regierungsbildung – mit aktuell offenem Ausgang – befasst ist. Eckart Schlapp, Geschäftsführer von Hugen­dubel Fachinformationen, prognostiziert deshalb für 2017 einen temporären Rückgang im eigentlich stabilen Markt: Mit verstärkter Nachfrage und steigenden Umsätzen rechnet er erst dann wieder, wenn in Berlin eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnimmt. Bei Hugendubel Fachinformationen steuert das RWS-Segment 30 Prozent zum Gesamtumsatz bei, mit einem Schwerpunkt bei der öffentlichen Hand.

"Inzwischen ist das Thema Digitalisierung bei allen Kunden, auch bei den kleinen Kanzleien, angekommen", so Schlapps Resümee. Das bedeute mehr Aufwand, aber nicht mehr Umsatz, wie auch aus anderen Häusern zu hören ist – "weil wir mehr mit den Kunden reden, passende Angebote heraussuchen oder den Wechsel von Print zu Online vorbereiten müssen", so Schlapp. Dazu komme, dass digitale Produkte oft güns­tiger als gedruckte seien – was sie für den Handel weniger attraktiv macht.

Wie die Wettbewerber sieht Schlapp Dienstleistungen als das große Thema: Ihr Umsatzanteil hat sich bei Hugen­dubel bereits verdoppelt, Tendenz steigend. "Das Einsortieren von Loseblattsammlungen wird natürlich weniger. Jetzt geht es darum, mit den Kunden herauszufinden, welche Produkte und Module für sie wesentlich sind." Ebenso gehören Nutzungskontrolle und Optimierung zum Service, etwa: Bei welchen Datenbank-Angeboten braucht eine Kanzlei eine teure All-User-Lizenz, bei welchen nicht?

Das sind Herausforderungen "in einem dynamischen, insgesamt aber stabilen, gestaltbaren Markt". So sieht es auch Detlef Büttner, Geschäftsführer von Lehmanns Media, dem großen Informa­tionsdienstleister mit 24 Niederlassungen, der Krankenhäuser, Kliniken, Unternehmen, die öffentliche Hand sowie Kanzleien beliefert – und wissenschaftliche Bibliotheken.

Diese für Lehmanns wichtige Kundengruppe sei aufgrund der politischen Entwicklungen unberechenbarer geworden, sagt Büttner. Der Grund dafür sind die Auswirkungen des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes und DEAL: die Verhandlungen zwischen den ­großen Verlagen Elsevier, Springer Nature und Wiley über den Zugang der Universitäten zu wissenschaftlichen Zeitschriften – Gespräche, bei denen der Handel außen vor bleibt. Die drei Verlage sind zwar vor allem in den Themenfeldern Medizin, Naturwissenschaft und Technik aktiv, die Verhandlungen haben aber auch Folgen für den RWS-Markt: "Die Frage ist, wie DEAL finanziert wird und wie viel Etat den Bibliotheken am Ende bleiben wird, um Monografien sowie Zeitschriften aus kleinen und mittleren Verlagen zu beziehen", meint Büttner.

Das bleibt erst einmal die große Unbekannte neben der nicht unbedeutenden aus Berlin: Dass die Gesetzgebungs­maschine auch nach dem geplatzten ­Jamaika-Projekt und womöglich vorgezogenen Neuwahlen wieder in Gang kommen wird, ist sicher; die Frage ist nur: wann?