Lesetipp

Horizont erweitern

29. Dezember 2017
von Stefan Hauck
Anders als in den meisten Geschichtsbüchern ist in Ewald Fries Weltgeschichte Europa nicht mehr Mittelpunkt der Welt: Der Leser erfährt von Regionen und hochentwickelten Kulturen, die er bislang noch nicht einmal dem Namen nach kannte.

"Wie die meisten Wissenschaftler weiß auch ich sehr viel über sehr wenig. Verglichen mit der Geschichte der Menschheit: sehr, sehr wenig", bekennt Ewald Frie und benennt als Problem die eurozentrische Sicht auf die Geschichte – Europa als Nabel der Welt. Der Professor für Neuere Geschichte in Tübingen erkennt die Geschichte der Kassiten, Sioux oder Reiternomaden in den Steppen Zentralasiens als gleichrangig an und reist in 20 Kapiteln mit dem Leser in unterschiedlichste Regionen. Wir betrachten von Barygaza aus das Handelsnetz des Indischen Ozeans im 1. Jahrhundert, das Leben der Millionenstadt Chang’an im 7. Jahrhundert, Byzanz, das aztekische Tenochtitlán und das afrikanische Swahili nach 1500, Berlin, St. Petersburg, den Volta-See, Kairo usw.: eine Horizonterweiterung im wahrsten Wortsinn.

Glänzend erzählt

Denn dieser multipolare Ansatz eröffnet dem Leser jenseits der durch die Schule vermittelten Zeitleiste von Ägypten bis zum Mauerfall einen neuen Zugang, der das Bild von Geschichte nachhaltig verändert. Unsere europäische Geschichte, so wird deutlich, kann nur im Zusammenhang mit anderen Geschichten verstanden werden. Frie entführt uns dabei in entfernteste Gegenden und vermittelt – glänzend erzählt – ein Feuerwerk an Informationen und Erkenntnissen. Die Regionen sind dabei zugleich jeweils thematische Schwerpunkte, etwa zur Handels-, Stadt-, Reformations-, Revolutions- oder Industrialisierungsgeschichte. Ansprechend illustriert, ist das Buch für Leser ab 14 geeignet, aber weit darüber hinaus für jeden Erwachsenen ein Erkenntnisgewinn.

"Die Geschichte der Welt. Neu erzählt von Ewald Frie", C. H. Beck, 464 S., 22,99 Euro