Forderungskatalog für 2018 von Rainer Moritz

2018 muss sich anstrengen

4. Januar 2018
von Börsenblatt
Auch dieses neue Jahr soll nicht glauben, ihm blieben die Forderungen erspart, die Rainer Moritz hier stets in Kalenderwoche 1 an neue Jahre richtet. Hier sind sie – in aller Unbescheidenheit und 28 an der Zahl.

Wenn wir als Kinder unsere Mutter nach ihren Weihnachtswünschen fragten, blickte sie scheu zu Boden und gab sich sehr zurückhaltend. Nein, sie brauche nichts, "liebe Kinder" seien das Einzige, was sie sich zum Fest und fürs neue Jahr wünsche. Diese Bescheidenheit hat sich auf mich nur zum Teil übertragen, sodass ich an das Jahr 2018 mit dezidierten Erwartungen herangehe. Konkret fordere ich eindringlich, dass:

  1. uns niemand mehr einen simplen Handkreisel als "Fidget Spinner" andreht, um sich damit dumm und dämlich zu verdienen;
  2. die "Lindenstraße" ihre Schwächeperiode hinter sich lässt und mich auch die nächsten 32 Jahre erfreut;
  3. Mehmet Scholl, Andrea Nahles, Boris Becker und Hans-­Ulrich Jörges Ruhe geben;
  4. in einem Remake von "Zeugin der Anklage" Alice Weidel die Rolle Marlene Dietrichs übernimmt;
  5. der TSV 1860 München in der vierten Liga souverän Burghausen, Pipinsried, Unterföhring und all die anderen Spitzenclubs hinter sich lässt;
  6. das Zweite Deutsche Fernsehen seinen Weg konsequent weitergeht und sich nach Thomas Gottschalk nun Howard Carpendale, Iris Berben oder Frau Antje vom niederländischen Molkereiverband als Gäste ins "Literarische Quartett" einlädt;
  7. das mit den Versuchen, eine Bundesregierung zu bilden, ganz aufhört – es geht ja auch so;
  8. sich Horst Seehofer nach einer kurzen Übergangszeit hauptberuflich seiner Märklin-Eisenbahnanlage widmet;
  9. der Hype um all die Wald-, Wiesen-, Bienen-, Kohlmeisen- und Kraken-Bücher in der "Was der Peter Wohlleben kann, können wir auch"-Nachfolge abflaut und mich kein Verlag mit dem Titel "Die Seelenregungen des Pfifferlings" behelligt;
  10. diejenigen, die ganz genau wissen, wer sexistisch, rassistisch oder ­populistisch ist, sich ihrer Sache nicht ganz so selbstgefällig ­sicher sind;
  11. Martin Schulz im Weihnachtsgeschäft bei notleidenden Buchhandlungen aushilft, auf die Gefahr hin, dass sich deren Not dadurch vergrößert;
  12. Terézia Mora nun aber wirklich den Georg-Büchner-Preis erhält;
  13. die Überschätzung des Münsteraner "Tatorts" ein Ende findet und häufiger "Kommissar Bienzle"-Wiederholungen zu sehen sind und
  14. wenn wir schon dabei sind, die Überschätzung von Rote-Bete-Gerichten ebenfalls ein Ende hat;
  15. die Wörter "Narrativ" und "Achtsamkeit" wieder abgeschafft werden;
  16. Smartphone-Produzenten es endlich hinbekommen, Akkus zu erfinden, die sich nicht schon nach ein paar Stunden entladen;
  17. der Butterpreis sinkt;
  18. Herr Dobrindt etwas Sinnvolles tut und, falls er Verkehrsminister bleibt, keine neuen Kreisverkehre in Kleinstädten zulässt;
  19. es in Hamburg unter Strafe gestellt wird, die Stadt als "schönste der Welt" zu bezeichnen;
  20. fußballferne Übersetzer aufpassen und nicht, wie geschehen, "Kopfballtreffer" mit "Kopfschuss" übertragen;
  21. der in meiner Studentenzeit so beliebte Beaujolais Primeur nicht mehr so geächtet wird;
  22. nicht tätowierte Fußballer das Bundesverdienstkreuz oder Ähnliches bekommen;
  23. Buchhändlerinnen und Buchhändler ein sorgenfreies Leben haben;
  24. meine Heimatstadt Heilbronn bald ein Literaturhaus bekommt;
  25. Gegenwartsautoren ihre Romane seltener im Präsens schreiben und sich häufiger wieder als raunende Imperfektbeschwörer hervortun;
  26. Jupp Heynckes die Comeback-Tür für Otto Rehhagel, Rudi Gutendorf, Frank Elstner und Erich Ribbeck weit aufgestoßen hat und somit der Erfahrungsschatz älterer Mitbürger mehr gewürdigt wird;
  27. sich meine Mutter konstanter Gesundheit erfreut;
  28. meine Forderungen wie im letzten Jahr vorrangig behandelt werden, von wem auch immer.