Drei Debütantinnen im Krimigenre

Drei neue Sisters in Crime

25. Januar 2018
von Nils Kahlefendt
Ein fescher Kommissar am Ammersee, starke Frauen an der Kiosktheke und ein toter NVA-Major, der in einer Datsche liegt – davon erzählen die Debüts drei bemerkenswerter Autorinnen. Wir stellen vor: Inga Persson, Christiane Antons und Claudia Rikl.

Eine Mordsaussicht: Wenn Inga Persson, Betreiberin der traditionsreichen Gastwirtschaft Schatzbergalm, vom Schreibtisch aufblickt, schaut sie direkt auf den Ammersee und die schneebedeckten Tölzer Alpen. Persson ist ein Nordlicht, "protestantisch bis in die Molekularstruktur". Was katapultiert eine wie sie, promovierte Geisteswissenschaftlerin und versierte Ghostwriterin, nach Bayern, in ein zweites Leben als ­Gastronomin – und nun auch noch als Krimiautorin?

"Wie die meisten Dinge", sagt sie, "passiert so etwas aus Liebe." Die Großmutter ihres Manns baute die Schatzbergalm am Westufer des Ammersees vor 60 Jahren auf; Persson traute sich zu, den Laden zu schmeißen. Gastronomie allein ist schon harte Arbeit, aber dann noch ein Krimi? Herrschaftszeiten! Geschrieben hat die langjährige Inhaberin einer Kommunikationsagentur ihr ganzes Berufsleben  lang – "aber eben für andere". Dass sie nun im Krimi­fach ein spätes, aber extrem charmantes, stimmiges Debüt hinlegen kann, ist für sie "höchstes Vergnügen", besser: "der ultimative Luxus".

Fundus sind zuallererst die Geschichten der Gäste, die sie täglich zu hören bekommt. "Eigentlich", sagt Persson, "betreibe ich keine Wirtschaft, sondern eine psychotherapeutische Tagesklinik." Dort reibt sich der neugierige Blick des Nordlichts am schlitzohrig weiß-blauen Weltbild. Eines, das Wendungen wie "A Hund is er scho" nicht als Beleidigung, sondern als Ausdruck höchster Wertschätzung versteht.

Als Perssons Mann bei Dachdecker­arbeiten unter den obersten Firstziegeln eines Hauses zufällig eine Pistole findet, wirft die Autorin ihre Fantasiemaschine an: Zwei Winter schreibt sie an der Geschichte über die reing'schmeckte Berliner PR-Frau Carola Witt, den ewig grantelnden, doch durchaus feschen Kommissar Meisinger und einen ehrgeizigen Provinzpolitiker, der womöglich über Leichen geht. Klar, das Schießeisen aus dem wirklichen Leben kommt natürlich auch vor. "Schreiben kann ich nur im Winter, in der Zeit, in der Oberbayern im Tiefschlaf versinkt." Nachdem die Entscheidung, nicht nur für die Schublade arbeiten zu wollen, gefallen war, nahm Persson die Verlagssuche selbst in die Hand. Vom Kölner Emons Verlag, Spezialist für Regionalkrimis, kam schließlich das Jawort.

Einziger Schönheitsfehler: "Tod am Ammersee" (304 S., 11,90 Euro), Perssons Debüt, wird im April erscheinen – wenn die Schatzbergalm gerade so richtig brummt. Hilft nix, sagt die Autorin lachend: "Wenn Sie ein Kind kriegen, können Sie auch nicht sagen, dass Sie gerade wahnsinnig viel zu tun haben." Die gute Nachricht: Inga Persson sitzt bereits an einem zweiten Fall mit Meisinger & Co.: "Ich habe einen strengen Schreibplan. Am Ende des Winters, wenn die Saison losgeht, muss ich fertig sein."

Das Krimifestival "Mord am Hellweg" gehört zu den Projekten, die Christiane Antons für das Westfälische Literaturbüro in Unna betreut – ein Umstand, der – messerscharf kombiniert – ihrem eigenen Krimi-Coming-out nicht eben im Wege gestanden haben dürfte. Allerdings: "Die Lust am Schreiben begann viel früher – mit der Passion fürs Lesen." Schon als Schülerin war Christiane Antons Dauergast in der heimischen Bibliothek im ostwestfälischen Spenge. Ein schöner Ort für eine Meditation zum Thema: Wie entwickeln sich Figuren – und wie lebt man mit ihnen?

Im Fall von Antons' Debüt "Yasemins Kiosk" (Grafit, März, 224 S., 9,99 Euro) waren zuerst die Protagonistinnen präsent: die Polizistin Nina, die ihr Sabbatjahr nicht wie geplant an fernen Stränden verbringt, sondern ihre schwierige Mutter pflegt. Die junge Kiosk­besitzerin Yasemin, der die Briefe eines Verehrers zunehmend unheimlich werden. Und Vermieterin Dorothe Klasbrummel, die seit 15 Jahren die eigenen vier Wände nicht verlassen hat.

Drei Frauen, drei Generationen – und ein Mord, denn im Altpapier-Container des Kiosks wird eine Leiche gefunden. "Ich fand die Idee der starken Frauen­figuren spannend", erklärt Antons. "Wobei 'stark' nicht bedeutet, dass die drei keine Ecken und Kanten haben dürfen." Nina, die Polizistin, bringt es an einer Stelle so auf den Punkt: "Jeder hat seine Geschichte. Die Hauptsache ist, man findet einen Weg, mit ihr umzugehen." Der titelgebende Kiosk ist Ort der Begegnung, hier kreuzen sich diverse Leben – nicht wenige der Charaktere glaubt man aus der eigenen Nachbarschaft zu kennen.

In Christiane Antons eigenem Leben war das "Büdchen" wichtig – viele Jahre lebte sie im Ruhrgebiet, in Dortmund, später in Köln. "Ich habe die Kiosk-­Kultur geliebt", sagt Antons, die inzwischen längst wieder in Bielefeld lebt – der Stadt, in der auch der Roman spielt. Anderthalb Jahre hat sie an ihrem Debüt gearbeitet, Grafit war der erste Verlag, an den sie herantrat. Es funkte. Das Lektorat durch Ulrike Rodi hat Antons als "absolut bereichernd" empfunden. Und nicht zuletzt als "gutes Korrektiv gegen die eigene Betriebsblindheit. Ich kenne meine Figuren aus dem Effeff, aber die Leserinnen und Leser?" Chris­tiane Antons, die ursprünglich beim Hörfunk volontierte, hat die Entscheidung getroffen, ihr Schreiben ernst zu nehmen – und weiter am Ball zu bleiben.  

16 Jahre war Claudia Rikl zu Wendezeiten – alt genug, um die Zerrissenheit von Familien in der implodierenden DDR mitzubekommen, die Erzählungen über Schikanen, denen junge Wehrpflichtige bei der NVA ausgesetzt waren. 1991 kam sie aus ihrer Heimatstadt Naumburg nach Leipzig, um Jura zu studieren. Eine Vernunftentscheidung, keine Herzens­angelegenheit; erst sehr viel später, als Mutter, hat sie diese Wahl korrigiert und Literaturwissenschaft an der Fern-Uni Hagen studiert.

2011, in der Bewerbungsphase für einen Job, kam ihr beim Laubharken im Wochenendhaus die Idee für einen Kriminalroman: Ein ehemaliger NVA-Major und Menschenschinder wird in seiner Datsche tot aufgefunden, die Zunge liegt abgeschnitten neben der Leiche. Ein Fall für Kommissar Herzberg, der einst im berüchtigten Stasi-Gefängnis Bautzen II einsaß – und sich nun wohl oder übel noch einmal mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen muss.

Nach einem halben Jahr Schreib­arbeit wurde Rikl klar, dass der ausformulierte Plot noch kein Roman ist. Sie schrieb das Manuskript um, einmal, zweimal, experimentierte mit Erzählstrukturen, lernte, wie man Szenen baut und Handlungsbögen spannt.

Auf einem Seminar der Textmanu­faktur wurde Dozentin Gisa Klönne, selbst Krimiautorin und bei den "Mörderischen Schwestern" engagiert, auf Rikl aufmerksam. Sie glaubt an das Talent der jungen Frau. Eine vierte Fassung von "Das Ende des Schweigens" (Kindler, März, 528 S., 14,99 Euro), wird von der Agence Hoffman (München) angenommen; Agenturchefin Andrea Wildgruber begeistert den Kindler Verlag für das Buch. Ein später Start, doch dafür ein perfekter.

Es scheint was dran zu sein an Thomas Alva Edisons flapsigem Spruch, demzufolge Genie ein Prozent Inspira­tion, aber 99 Prozent Transpiration sei: "Es lohnt sich, Texte wieder und wieder zu bearbeiten", sagt Rikl. Auch heute ist ihr Arbeitstag – früh Schreibtisch, mittags Pause, nachmittags Schreibtisch – eher eine Büroexistenz, wenig auf­regend. Doch inzwischen hat die genau formulierende Frau, die Bücher von ­Hakan Nesser, Åsa Larsson und Fred Vargas mag, schon den nächsten Fall für ihren Kriminalhauptkommissar Michael Herzberg unter den Händen. Wird Neubrandenburg, die ehemalige DDR-­Bezirksstadt, am Ende noch das Ystad Mecklenburgs? Eines weiß Claudia Rikl gewiss: "Es ist eine wunderbare Location."