Krimi-Buchhändler Robert Schekulin

"Vielleicht hätten wir die Probleme schon viel früher thematisieren sollen"

22. Januar 2018
von Börsenblatt
Robert Schekulin arbeitet als Krimibuchhändler in Berlin, als Krimi-Lektor und seit Kurzem auch als Krimi-Übersetzer. Hier erzählt er über seinen Alltag, warum ihn das Genre so fasziniert und wie es gerade wirtschaftlich läuft.

Der Krimimarkt scheint aus allen Nähten zu platzen, sogar Verlage sagen jetzt, dass sie ihn kaum noch überblicken. Übertreiben sie?
Als "alter Hase" tendiert man vielleicht zu nostalgischer Rückschau. Seit über 20 Jahren als Krimibuchhändler einerseits, als Krimikritiker andererseits unterwegs, wage ich aber doch die Behauptung, dass der Krimimarkt früher übersichtlicher, überschaubarer war. Es waren insgesamt weniger Titel, vor allem weniger deutsche Regional- und Lokalkrimis, und überhaupt weniger deutschsprachige Originalausgaben.

Eine gute Entwicklung?
Wenn Sie die wachsende Zahl deutschsprachiger Originalausgaben meinen, dann ja. Es existiert heute viel mehr "Lesbares" von deutschsprachigen Autoren, und was man vielleicht böse als einen Wust an Mittelmaß beschreiben könnte, könnte man auch wohlwollend sehen – als einen handwerklich einigermaßen soliden Mittelbau, den es so bis in die 90er Jahre in Deutschland einfach noch nicht gab. Ich finde: Diese Masse an Durchschnittlichem geht erfreulicherweise einher mit einer höheren Ausbeute an wirklich guten bis sehr guten Kriminalromanen. Das hält uns Genre-Spezialisten bei der Stange – man sichtet die 150 oder mehr Krimineuheiten jeden Monat, um jeden Monat ein paar Perlen zu entdecken.

Reden Verlage mit Ihnen darüber?
Seit zwanzig Jahren jammern Verlage über die Bücherschwemme und kündigen dann an, ihren Output etwas mäßigen zu wollen – na ja, damit haben wir Buchhändler uns mittlerweile abgefunden, darüber lächeln wir nur noch müde. Kein Verlag will freiwillig zurückstecken, und es ist offenbar auch zweitrangig, dass wir die Neuheiten aufgrund der schieren Masse gar nicht mehr im Laden angemessen präsentieren können.

Ärgert Sie das?
Nach einer Reduzierung zu rufen, ist eine zweischneidige Sache. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass ein Weniger an Krimis … Also angenommen, es würde jetzt plötzlich nur noch die Hälfte oder ein Viertel auf den Markt geworfen, dann verschwänden als erste wahrscheinlich die, für die wir Fans uns das gar nicht wünschen – die guten, die interessanten. Und dann?

Was sagen Ihre Kunden dazu, dass Krimis immer größere Kreise ziehen? 
Die sind von der riesigen Auswahl erst mal begeistert, erleben das Angebot mit der Zeit aber immer öfter auch als Überforderung.

Und verlassen sich dann gern auf Ihre Empfehlungen? 
Ja, absolut. Das ist ja wie bei Musik oder Kinofilmen, man braucht Empfehlungen von Freunden, Gleichgesinnten oder eben vom Fachmann, der gleichzeitig Fan ist und nicht etwa das Genre als Kritiker von oben herab beurteilt. Freude am Trash und Thrill gehört dazu – und dass man den Kunden auch mal verrät, womit man neulich wider besseres Wissen eine Nacht durchgelesen hat. Man teilt den Spaß am Genre, das ist schön, das entschädigt für die im Einzelhandel ja generell extrem bescheidene Bezahlung.

Allgemeine Sortimente verlieren Käufer und Umsatz. Wie geht es einer Spezialbuchhandlung wie der Ihren? 
Uns geht es wohl wie den Krimibuchhandlungen generell, wie dem Buchhandel generell, wie den selbstständigen Einzelhandelsfachgeschäften generell – bescheiden. Es gibt immer irgendwelche erfreulichen Erfolgsgeschichten, klar, doch kein Mensch weiß, wie es weitergeht und womit die Leute zu wie viel Prozent ihre Freizeit verbringen werden. Wir machen mit Freude in jedem Fall so lange weiter, wie es geht und sinnvoll ist, wagen aber gegenüber der Kundschaft derzeit eine neue Offenheit: Wir machen deutlich, wie prekär die Lage im Handel ist – und dass es tatsächlich eine Krise gibt. Die Resonanz der Kunden auf diese Offenheit ist ermutigend. Vielleicht hätten wir die Probleme schon viel früher thematisieren sollen.

Ende November 2017 hatten sich Krimiautoren in Berlin auf den Weg gemacht, um unabhängigen Krimi-Buchhandlungen zu helfen – Hammett gehörte dazu. Rainer Wittkamp sagt, mit der Aktion "Das Buch wird laut" habe man das Publikum aufrütteln wollen (Archiv: Alle sitzen im selben Boot). Freut Sie diese Solidarität? 
Es war eine sehr positive Aktion, für die wir den ganzen beteiligten Autorinnen und Autoren und den Initiatoren Oliver Bottini und Rainer Wittkamp herzlich dankbar sind. In unserem Fall, Krimibuchhandlung Hammett, haben sechs tolle Autoren am selben Abend gelesen, was ja an sich schon ein schönes Event war. Zwischendrin und anschließend hat Hammett-Chef Christian Koch erstmals ganz offen dem Publikum gegenüber, natürlich überwiegend interessierte Stammkundschaft, dargelegt, wie prekär die Lage im stationären Buchhandel geworden ist.

Gab es Reaktionen?
Ja, und die waren so erfreulich, dass wir seither offener mit bestimmten Teilen unserer Kundschaft reden können – darüber, wie es wirklich um uns stationäre Händler steht und wir uns weder als Krimi- noch als Kiezbuchhandlung eine goldene Nase verdienen, sondern jeden Euro gebrauchen können. Ein altes Lied, ja: Support your local dealer! Ladensterben, Fluktuation, Verödung der Innenstädte, undsoweiter – das geschieht schleichend seit Jahrzehnten überall. Im Moment haben wir das Gefühl, wenn wir die Buchkundschaft nicht dafür sensibilisieren, dann erwischt es in ein oder zwei Jahren auch das Hammett und viele andere Buchhandlungen. Dazu gleich noch was: Eine gescheite Solidaritätskampagne wünsche ich mir eigentlich auch vom Börsenverein, eine, die offen und ehrlich betont, Leute, unterstützt eure Buchläden, sonst machen sie zu! Nutzt deren unglaublichen Service, erhaltet die Einzelhandelsvielfalt in eurer Umgebung!

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von Verlagen?

Von den Verlagen erfahren wir sehr viel Unterstützung und Sympathie, sie wissen unser Engagement für bestimmte Titel, Autoren, Verlagsreihen zu schätzen. Vielleicht ein Punkt am Rande: Autorenlesereisen, besonders bei Nicht-Bestseller-Autoren aus dem Ausland, müssten eigentlich von den Verlagen finanziert werden. Wir veranstalten gerne Lesungen, aber wenn die jedes Mal ein Loch in unsere eh leere Kasse reißen ...

Wie entscheiden Sie, für welche Krimis Sie sich im Laden besonders starkmachen? 
Unser Geschäft verlagert sich ein bisschen von den Neuheiten weg – hin zu unseren ganz persönlichen Empfehlungen hier im Laden. Das spiegelt sich auch in unserer hausgemachten Top Ten wider – unserer Hammett-Krimi-Bestsellerliste, die wir jeden Monat neu aushängen, auf der Internetseite präsentieren und in Form der zehn Bücher prominent auf der Kassentheke liegen haben. So eine eigene Bestsellerliste kann ich jeder Buchhandlung nur empfehlen. Das gibt Kunden Orientierung, und daran herrscht großer Bedarf.

Wonach richten Sie sich beim Einkauf?
Gern nehmen wir Hinweise unserer Kunden auf, richten uns ansonsten natürlich nach den potenziellen oder vermutlichen Verkaufschancen. Von schlechten Covern oder nichtssagenden Buchtiteln lassen wir uns da kaum abschrecken: Dass 80 Prozent unterirdisch bis lächerlich sind, das sind wir im Krimigenre seit Jahrzehnten gewöhnt.

Erwarten Kunden von Ihnen, dass Sie ihnen in erster Linie die Perlen präsentieren?
Wir kennen unsere Kundschaft, können also relativ gut einschätzen, was wir in welcher Stückzahl brauchen – und haben deshalb auch Mut zur Lücke. Das ist das Schöne an einer unabhängigen Spezialbuchhandlung: Man kann beim Einkauf im Prinzip machen, was man will. Und wenn man’s drauf anlegt, entwickelt man daraus seine eigenen Bestseller.

Gibt es Verlage, für die Sie besonders gern Platz schaffen?
Von bestimmten Verlagen haben wir prinzipiell alle oder zumindest fast alle Titel da. Das sind naturgemäß kleinere Verlage abseits des Mainstreams, etwa Pulp Master, Alexander, Polar oder Liebeskind.

Sie sind Krimibuchhändler, lektorieren Krimis und übersetzen sie auch: Was fasziniert Sie so an diesem Genre, dass Sie ihm all Ihre Zeit widmen?
All meine Zeit nicht, ich lese auch völlig andere Bücher. Über Weihnachten habe ich zum Beispiel nur so zum Spaß ein berühmtes amerikanisches Gedicht übersetzt, das mich nicht mehr losgelassen hat. Mit dem bezahlten Krimi­Übersetzen ging es bei mir ohnehin erst vor Kurzem los – mit dem Buch »Krasse Killer« von Joe R. Lansdale, das seit September 2017 bei Golkonda lieferbar ist. Dass mich Krimis so faszinieren, liegt an der unglaublichen Bandbreite. Im Krimi hat fast alles Platz.

Welches Buch übersetzen Sie gerade? 
Wieder etwas von Joe R. Lansdale, die Story-Sammlung "Hap und Leonard". Sie soll im April auf Deutsch erscheinen. Das wird ein netter Band mit verschiedenen Geschichten um die beiden schrägen Krimihelden Hap Collins und Leonard Pine, gut geeignet als Kostprobe oder Einführung in diese Serie, und ein schönes Schmankerl für alle Fans der Serie. Mit enthalten: zwei Geschichten aus der Jugend dieser harten Helden, eine Chili-Geschichte incl. Rezept, ein lobendes Vorwort und ein launiges Nachwort und ein fiktives Interview des Autors mit seinen beiden Krimihelden. Das alles macht beim Lesen dann hoffentlich genauso viel Spaß wie mir beim Übersetzen!