Fasziniert von der Entschiedenheit und Unbedingtheit seiner Hingabe für die kleinste und heikelste unter den literarischen Gattungen zeigte sich Heinrich Riethmüller in seinem Grußwort. Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels lobte besonders den genauen, aufmerksamen und geduldigen Blick des Ausgezeichneten auf die deutsche Gegenwartslyrik und stellte fest: „Wenn es also so etwas wie einen rechtmäßigen, überfälligen Träger des Alfred-Kerr-Preises für Literaturkritik gibt, dann ist es Michael Braun.“
Dr. Henning Ziebritzki, der selbst Gedichte schreibt und als Geschäftsführer im Tübinger Mohr Siebeck Verlag arbeitet, stellte Michael Brauns leidenschaftliches Interesse am Anderen in den Mittelpunkt seiner Laudatio – krankheitsbedingt wurde sie in Vertretung vom Leiter des Frankfurter Literaturhauses Hauke Hückstädt vorgetragen: „Auch wenn sich das professionell in die Form von Distanz, der genauen Beobachtung, des kundigen Diskurses kleidet, bleibt dieser Glutkern der Leidenschaft, den Anderen verstehen zu wollen, immer erkennbar.“ Ihm gehe es in seinen Kritiken nicht primär darum, ob etwas gut oder schlecht geschrieben sei, sondern darum, welche unverwechselbare Besonderheit in einem Gedicht, einem Roman oder Essay zum Ausdruck komme. Dabei sei er nie ironisch, sarkastisch, süffisant oder überheblich. „Es ist leicht, in einem Text schwache Stellen zu finden, aufzuspießen und triumphierend herumzuzeigen. Michael Braun sucht stattdessen das, was einen Text stark macht, was in seiner Struktur und Form, in seinen Motiven und Themen für ihn spricht“, erklärt der Laudator. In der Vielfalt der Stimmen, Formen und Themen der deutschen Lyrik der Gegenwart biete der Experte zuverlässig und unabhängig Orientierung.
Der Preisträger selbst nutzte die Gelegenheit, um in seiner Dankesrede auf die veränderten Rahmenbedingungen seines Berufsstands hinzuweisen. Zwar gäbe es eine rasante Ausdifferenzierung der Lyrikkritik in diversen Lyrikportalen im Netz, aber diese gehe mit einer euphorischen Selbstausbeutung der kritischen Akteure einher. Das professionelle Rezensieren von Gedichtbänden als Geschäftsmodell sei den meisten Erwerbstätigkeiten deutlich unterlegen. „Man müsste ein literaturkritischer Fließbandarbeiter unter enormen Beschleunigungsbedingungen sein, um angesichts der schrumpfenden Budgets in den alten Printmedien eine annehmbare Rendite für das eigene Tun einzustreichen“, so Michael Braun. Dabei seien aber gerade die Langsamkeit des Schreibens und der Verzicht auf Redundanz wichtige Voraussetzungen für eine anspruchsvolle Lyrikkritik. Hoffnung setzte der Preisträger schließlich in die Independent-Verlage, die seit etwa zehn Jahren die neuen Kraftzentren der Gegenwartslyrik bildeten.