Interview mit dem Leipziger Buchmessedirektor

"Auch friedliche Auseinandersetzungen können aus dem Ruder laufen"

19. März 2018
von Börsenblatt
Ein lautstarker Messesamstag, das Sicherheitskonzept für Besucher und Aussteller, das Wetterchaos: Oliver Zille ist an vielen Fronten im Einsatz. Im Gespräch zieht der Buchmessedirektor Bilanz und freut sich auch über die gute Stimmung bei den Verlegern und die Spannung bei der Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse.

Politische Kontroversen führen und aushalten, auch wenn sie schmerzhaft sind, bei gleichzeitiger Definition eigener roter Linien – ist dieses Messe-Konzept aufgegangen? 

In den vergangenen Tagen haben wir auf- und anregende Debatten geführt, Leipzig war so politisch wie kaum jemals vorher. Dabei wurden, wie zu erwarten, auch die Ränder des Meinungsspektrums abgebildet. Am Messesamstag wurde es sehr lautstark, es ist verbal eskaliert, es hat Rempeleien gegeben – die Sicherheit der Aussteller und Besucher ist aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. Unser Sicherheitskonzept hat gegriffen. Dass dabei teilweise unschöne Bilder entstanden sind, damit müssen wir leben. 

 

Haben nun auch deutsche Buchmessen ein "Hooligan-Problem", wie die "Welt" am Wochenende nahelegte? 

Auf jeden Fall haben wir deutlich mehr Aufwand, die Themen "freie Meinungsäußerung" und "Sicherheit für Besucher und Aussteller" ins richtige Verhältnis zu bringen. Wir haben Szenarien, wir haben einen Plan – aber auch friedliche Auseinandersetzungen sind Auseinandersetzungen und können aus dem Ruder laufen. Das ist emotional, das ist, auch für Unbeteiligte im Umfeld, extrem anstrengend. Das Phänomen wird nicht so schnell verschwinden. Wir sind ein lernendes System und werden die Erfahrungen der Buchmesse sorgfältig auswerten. Allerdings entwickeln die verschiedenen Seiten ihre Strategien ja auch weiter. Das ist eine langfristige Aufgabe, das war uns von Anfang an klar. 

 

Sie haben sich vor vier Tagen gewünscht, dass nicht nur die besonders Lauten zu hören sein sollen – Leipzig steht ja für ein viel breiteres Themenspektrum. Ist das angekommen?  

Uns ist wichtig, Kinder und Jugendliche zum Lesen zu bringen, Bücher sichtbar und politische Bildung auf der Messe stark zu machen, die Fachleute ins Gespräch zu bringen. Das ist gut aufgenommen worden. Die Verlage erwarten, dass sie die Investments, die sie in Leipzig leisten, direkt oder indirekt zurückbekommen. Die Stimmung war ausgezeichnet, die Gespräche waren gut. Die Messe hat in ihren Hauptlinien extrem gut funktioniert, sie hat sich weiterentwickelt, ihre Rolle als Impulsgeber für den Markt ausgespielt – und darüber freue ich mich.  

Facebook war voll von Abenteuergeschichten in den Wetterwirren gestrandeter Messe-Reisender; der vorhergesagte Wintereinbruch kostet die Messe am besucherstärksten Samstag den in den vergangenen Jahren schon routinemäßig verkündeten neuen Besucherrekord ...

Ich bin 28 Jahre bei der Leipziger Buchmesse, wir haben schon Schnee gehabt, aber solche Extreme habe ich noch nicht erlebt. Natürlich hat man das Wetter Mitte März immer mit auf der Rechnung; es war aber nicht klar, dass es so heftig wird. Und dann ist man natürlich immer von seinen Partnern bei der Bahn, beim öffentlichen Nahverkehr und bei der Stadtreinigung abhängig.  

Wird es da kritische Nachfragen von Ihnen geben? 

Fragen bleiben da schon. Ich persönlich habe mich schon gewundert, dass bei so einem Wettereinbruch der Bahnhof geschlossen werden muss. Das sollte doch ultima ratio sein. Immerhin haben die Leipziger Verkehrsbetriebe funktioniert. Setzt man das partielle Chaos mit der Begeisterung derer in Relation, die den Weg zu uns gefunden haben – dann bin ich hoch zufrieden. 

Ihr persönlicher Messe-Moment? 

Für Außenstehende mag es in der Wiederholung banal klingen, aber: Es ist und bleibt die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse. Wenn ich in der Glashalle vors Publikum trete, ich in die gespannten Gesichter von Verleger, Lektoren, Autoren und Übersetzern schaue – dann ist das ein schwer zu toppender Moment. Als Karl Schlögel für sein "Sowjetisches Jahrhundert" geehrt wurde, ist mir wieder einmal schlagartig klargeworden, wie wichtig das Verständnis der Sowjetunion für das Verständnis dessen ist, was wir heute mit Russland erleben. Schlögel lesen heißt auch, das System Putin zu begreifen.