Börsenverein: Jahrestagung des Landesverbands Bayern

Sind Bücher heute noch "Wahrheitsbringer"?

17. Mai 2018
von Börsenblatt
Michael Then (Elsevier) steht für weitere drei Jahre an der Spitze des bayerischen Landesverbands. Die Mitglieder haben am Mittwoch in München aber nicht nur einen neuen Vorstand gewählt, sondern auch Knut Cordsen zugehört: Der Kritiker sprach über Literatur in Zeiten von Fake News.

Bei der Sitzung im Münchner Literaturhaus wurde Michael Then fast einstimmig wiedergewählt – und kam in seiner Antrittsrede ohne große Umschweife auf die Probleme der Branche zu sprechen: Das Urheberrecht, also der Schutz geistigen Eigentums, bleibt für ihn weit oben auf der Agenda. Die PR- und Lobby-Arbeit rund ums Buch müsse weiter verstärkt werden, so der alte und neue Vorsitzende – ebenso müsse die Branche die Entwicklung der Innenstädte im Blick haben.

Doch Then richtete auch deutliche Fragen an die Mitglieder: Wie geht der Buchhandel mit seinen Kunden um? Setzt die Branche neben der Unterhaltung noch auf den Wert der Bildung? Menschen seien Geschichtenerzähler, so Then. Deshalb müssten Verlage und Buchhandlungen Impulsgeber sein für die Geschichten, die in Zukunft erzählt würden. Sprich: Sie haben es auch selbst in der Hand, ihre Zukunft zu gestalten.

Um die angerissenen Themen will sich der neue Vorstand des Landesverbands Bayern in den kommenden drei Jahren weiter kümmern. Der Aufwand, den Status Quo der Branche zu erhalten, werde immer kostenaufwendiger und zeitintensiver, sagte Then an die Adresse der Buchhändler und Verleger: "Insofern plädiere ich für Engagement und Einsatz, und wenn es nur in Form einer Mitgliedschaft ist. Die Zeichen stehen auf Entsolidarisierung, das finde ich nicht gut. Wenn es um den Erhalt unseres Produkts geht, dann müssen wir zusammenhalten."

Neben dem Vorsitzenden Michael Then wurden im Vorstandsamt bestätigt:

  • Nicola Bartels (Verlagsgruppe Random House)
  • Thomas Nitz (Buchhandlung Hugendubel)
  • Sebastian Zembol (Mixtvision Verlag)

Neu in den Vorstand wählten die Mitglieder

  • Lutz Nagler (Buchhandlung Kempter)
  • Rosemarie Reif-Ruppert (Gostenhofer Buchhandlung)

Nicht mehr angetreten sind Nicolas Greno (Buchhaus Greno, Donauwörth) und Ulrich Dombrowsky (Buchhandlung Dombrowsky, Regensburg). Weitere Wahlergebnisse für die Besetzung des Wahlausschusses und das Amt der Rechnungsprüfer sind hier abrufbar. Alle Kollegen, die sich im Landesverband ehrenamtlich engagieren, stellen sich hier ausführlich vor.

Bei der Mitgliederversammlung ging es auch um die Finanzen. Schatzmeister Thomas Nitz konnte für das Jahr 2017 bei der Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben ein leichtes Plus von knapp 4.000 Euro vermelden. "Die wirtschaftliche Stabilität bleibt gewahrt", so Nitz.

Doch der Mitgliederschwund macht auch dem Landesverband Bayern zu schaffen. Gab es 1998 noch 1.108 Mitglieder, so waren es 2017 nur noch 859. Das macht ein Minus von 22,5 Prozent. Es gibt allerdings auch positive Zahlen zu vermelden: Die Münchner Bücherschau (gemeinsam mit dem Literaturfest) konnte 2017 mit 180 000 Besuchern einen neuen Rekordwert verbuchen.

Knut Cordsen über eine Wirklichkeit, die jede Satire übertrifft

Ein heißes Thema griff Gastredner Knut Cordsen auf, Literaturredakteur im Bayerischen Rundfunk und Jury-Mitglied beim Bayerischen Buchpreis: Fake-News, die auch Schriftsteller betreffen und an ihrer Reputation sägen könnten.Cordsen ging der Frage nach, ob es im Social-Media-Zeitalter noch so etwas wie überprüfbare Wahrheit gibt. Am Beispiel von Howard Jacobsons Donald-Trump-Satire "Pussy" machte Cordsen das Problem deutlich: Was ist, wenn die Wirklichkeit viel schriller ist als das, was Schriftstellern so einfällt? Anders formuliert: Was hat Literatur noch zu sagen, wenn der Alltag die Satire übertrifft?

Cordsen plädierte für "faction", also für literarisch verwandelte Reportagen. Romane und Sachbücher, so Cordsens Fazit, seien noch immer Wahrheitsbringer für den geplagten Menschen im World Wide Web.

Interview mit Michael Then, dem Vorsitzenden des Landesverbands Bayern

Welche Themen bleiben auch in Ihrer neuen Amtszeit auf der Agenda?

Etwa das Thema neue Geschäftsmodelle. Die junge Lesergeneration wird mit Streamingdiensten wie Spotify und Netflix groß.  Das Verhältnis zu Eigentum, zu Besitz verändert sich radikal. Diese neuen Kunden wollen durchaus etwas zahlen, allerdings für eine Dienstleistung, also für das Nutzen von Inhalten. Da sollten wir uns überlegen, welche Möglichkeiten die Buchbranche hier eröffnen kann. Man könnte etwa fragen: Was würde ein Mensch dafür zahlen, wenn er zwei Jahre seines Medizinstudiums Zugriff auf eine Bibliothek hat, die er später nicht mehr benötigt? Wir sollten also über neue Geschäftsmodelle nachdenken, weil die Kunden das von uns verlangen werden.

Kunden gewinnen, ist eine Sache, Kunden halten eine andere. Welche Rolle spielt das Thema Kundenbindung?

Wie sollten wir mit treuen Kunden umgehen? Auch diese Frage bleibt wichtig. Nehmen wir an, jemand geht zehn Jahre in seine Buchhandlung und kauft dort regelmäßig ein. Was hat er davon – außer einer guten Beratung natürlich? Gäbe es Möglichkeiten, solchen Kunden freien Eintritt zur Bücherschau oder zu den Buchmessen zu ermöglichen? Wie könnte man also Treue belohnen? Und würde eine solche Belohnung nicht eine vertiefte Beziehung erzeugen? Auch darauf sollten wir Antworten finden.

Apropos Münchner Bücherschau: Wenn man sich den Besucherrekord der Veranstaltung vor Augen hält, heißt das dann: Die Branche verkauft zwar weniger Bücher, aber gleichzeitig interessieren sich immer mehr Menschen für Bücher?

Eines ist allen gemeinsam, die auf die Bücherschau kommen: Sie wollen Geschichten hören und sich anregen lassen, ohne Kaufzwang. Ich weiß allerdings nicht, wie sinnvoll Diskussionen über den Verlust von Lesern und Käufern tatsächlich sind. Wir müssen uns einfach um die Menschen kümmern, die wir erreichen. Dabei sollten wir uns Geschäftsmodelle überlegen, mit denen wir sowohl ältere Leser als auch die junge Generation ansprechen, die gerade in die Schule kommt und mit Smartphones und Tablets aufwächst.

Sie haben auch PR- und Lobby-Arbeit auf Ihrer Agenda. In Bayern gibt es dabei eine Besonderheit: einen jour fixe mit der bayerischen Staatsregierung. Was bringt das Treffen?

Wir sind natürlich froh, dass uns so etwas gelingen konnte. Seit anderthalb Jahren treffen sich Buchhändler und Verleger regelmäßig, also viermal jährlich, mit Gesprächspartnern auf Ministerebene – um beim jour fixe Themen zu besprechen, die unsere Branche betreffen. Ich kann nur sagen, die Politik in Bayern ist durchaus daran interessiert, beispielsweise unsere Meinung in Sachen Datenschutz zu hören. Denn die Politiker haben gerade durch unsere regelmäßigen Treffen verstanden, welche Wirtschaftskraft Verlage darstellen. In der Medienbranche in Bayern arbeiten in etwa 100 000 Menschen. Wir sind also kein unerheblicher Wirtschaftsfaktor. Und das konnten wir der Politik klarmachen.