Buchtage 2018 / Programm des Nachwuchsparlaments

Nicht in Büchern steckenbleiben

12. Juni 2018
von Isabella Caldart
Während die "Großen" auf den Buchtagen in Berlin Strategien für die Zukunft des Buches entwickeln, ist auch der Nachwuchs gefragt – schließlich hängt genau diese Zukunft vor allem von denjenigen ab, die frisch in die Buchbranche einsteigen.

Die diesjährigen Buchtage im Ellington Hotel in Berlin stehen ganz im Zeichen der Neugewinnung von Lesern. Wie soll dies zu bewerkstelligen sein, was können Verlage wie Buchhändler dafür tun? Ein möglicher Weg ist, die Blogger als digitale Literaturvermittler stärker einzubinden. 

Das hat die Branche inzwischen auch erkannt und zur Podiumsdiskussion, die im Rahmen des Nachwuchsparlaments stattfindet, neben Experten aus Verlagen auch die Booktuberin Sofie-Tamara Fischer (ihr Kanal "Reading Teabag" hat gut 17.000 Abonnenten) eingeladen, die als Buchhändlerin von Thalia beide Seiten kennt. Die Buchhändler, so Fischer, müssten die Distanz zu den Kunden überbrücken – als Bloggerin merke sie beispielsweise, dass die persönliche Ansprache mit "Du" gut ankommt. Allein: Eine Patentlösung dafür, wie das funktionieren soll, hat sie auch nicht.

Keine Patentlösung, aber zumindest den Versuch einer Antwort, präsentiert Bernhard Fetsch von Droemer Knaur: Der Verlag launche bald ein Projekt namens "Doors" mit Website, Quizzen, Social Media und Spielen, bei dem der Leser interaktiv vor Türen (richtig, daher der Name) lande und sich für verschiedene Bände, Serienstaffeln ähnlich, entscheiden müsste. Der Gedanke dahinter sei gewesen, diejenigen zu erreichen, die wenig lesen: "Kann man Netflix auf die Buchbranche übertragen?" Fetsch ist sehr gespannt auf "Doors": "Der Inhalt ist Granate!", verspricht er. Natürlich könne man nicht abschätzen, ob das auch wirklich funktioniert, bei Droemer Knaur glaube man aber fest daran. Um nach draußen zu gehen benötige es "Gesichter, authentische Menschen" und keine Absender. "Die Verlage müssen aus dem Elfenbeinturm der Kommunikation raus", konstatiert der Marketingchef.

Nach der von Bildungsdirektorin Monika Kolb-Klausch moderierten angeregten Podiumsdiskussion mit Fischer, Fetsch und Ellen Voráč vom Audio-Streaming-Anbieter Deezer verteilt sich der Nachwuchs auf verschiedene Workshops, in denen über innovative Strategien, die Kunst des Debattierens, die Zukunft der E-Books, Formen von Marketing und Social Media und die Zukunft der Buchhändler gesprochen und neue Konzepte erarbeitet werden sollen.

Çiğdem Aker vom Börsenverein leitet den Workshop, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Verlage und Buchhandlungen Innovationen der Medienwelt auf die Buchbranche ummünzen können. Zunächst erläutert sie, wie man neue Ideen entwickelt: Von der Identifikation des Problems wie Ursachenanalyse und Zielgruppendefinierung geht es zum Ideen sammeln; neben klassischem Brainstorming gibt es weitere Ansätze wie Kill Your Company: In diesem Gedankenspiel greift man sein eigenes Start-up an, um mögliche wunde Punkte ausmachen zu können. Dem folgt die Entwicklung des Produkts samt Tests, die Frage, wie man Wachstum generiere ("70 Prozent der Innovationen floppen", sagt Aker) und die Frage, wie man Sichtbarkeit generiere – und das, da es hier um die Buchbranche geht, mit so wenig Budget wie möglich.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops formulieren im Anschluss verschiedene aktuelle Probleme, die sie bei den Endkunden erkennen: zu wenig Zeit zum Lesen, Bestsellerplatzierung sei keine Qualitätsgarantie, die Frage, wie man das "richtige" Buch fände oder auch, ganz pragmatisch, in Zeiten von immer kleineren Wohnungen aber durchaus berechtigt: Was machen, wenn kein Platz ist für Bücher? Die zwei brennendsten Fragen ("Keine Zeit zum Lesen" und "Mein Kind liest nicht genug") werden schließlich in Gruppen bearbeitet.

Währenddessen geht es bei den Workshops zu "Buchhändler von morgen" und Social Media wuselig zu, beide finden nämlich im selben Raum statt. In der Social-Media-AG hat sich nach einem Impulsreferat von Bianca Krömer, Pressesprecherin des Kulturkaufhauses Dussmann, der Nachwuchs ebenfalls in Grüppchen gefunden, um mit (genau) so wenig Budget wie möglich einen Titel zu bewerben. Mehrere Bücher, von Murakami über "Feuchtgebiete" zum Berlin-Reiseführer, stehen zur Auswahl, und auch die Frage der Perspektive, ob als Verlag oder als Buchhandlung gedacht wird, steht jeder Gruppe offen.

Die noch jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des anderen Kurses denken schon heute an den Nachwuchs, der sich noch kaum am Horizont abzeichnet: Wie kann man den Allerjüngsten den Job des Buchhändlers schmackhaft machen? In drei Gruppen werden verschiedene Konzepte für kleine Imagefilme entwickelt, von denen, organisiert durch die AG Nachwuchsgewinnung, wenigstens einer wirklich gedreht und nach Möglichkeit bereits zur Buchmesse präsentiert werden soll. Das erste Filmkonzept zeigt auf überspitzte, leicht satirische, aber auch schwärmerische Weise den Alltag eines Buchhändlers, während das zweite dem Kunden in der Buchhandlung die Bedeutung und Kompetenz der Mitarbeiter näherbringt. Der dritte hat eine eher abstrakte, dafür umso idealistischere Herangehensweise: Ein leerer Rucksack soll durch die Ausbildung und Arbeit in der Buchhandlung nach und nach mit Menschenkenntnis, Welterfahrung und Kultur gefüllt werden. Seien wir gespannt, welchen dieser Filme wir zu sehen bekommen.

Zurück bei Çiğdem Aker haben die Teilnehmer ein sogenanntes Innovation Board mit mehreren Fragen ausgefüllt. Die Vorschläge zur Lesergenerierung reichen von WhatsApp-Kommunikation der Verlage über intermediales Lesen mit Buch, Hörbuch und Film (die allesamt derselben narrativen Struktur folgen) zu Geocaching mit einzelnen Kapiteln an den Stationen (als Art "Pokémon Go", wie gepitcht wird). Diese Ideen zeigen: Die Zukunft des Lesens wird sich zwangsläufig medial, interaktiv und digital weiterentwickeln müssen, um neue Leser zu erreichen. Oder, wie eine Teilnehmerin formuliert: "Die Buchbranche sollte nicht in Büchern steckenbleiben."