Bewegende Sozialreportagen

Bilder, die anklagen

21. Juni 2018
von Stefan Hauck
Alltag in der DDR, frühe Kinderabeit in den USA, der Verfall des jüdischen Erbes in Osteuropa: Diese Fotobände erzählen vom Gestern – und legen den Finger in die Wunden der Gesellschaft.

Im Land der geschlossenen Türen
Telefonzellen, Altenheime, Staatskarossen, FDJ-Pfingsttreffen: Dieser Band versammelt erhellende Momentaufnahmen, die Einblicke in den DDR-Alltag vermitteln – vor allem in den der 80er Jahre. Unterteilt in Kapitel wie "Neugier", "Lügen", "Macht", "Sehnsucht", "Heiterkeit" ordnet Historiker Stefan Wolle die von Harald Hauswald festgehaltenen Szenen erweiternd ein.

Harald Hauswald, Stefan Wolle: "Voll der Osten. Leben in der DDR", Jaron Verlag, 128 S., 12 €

Fotografie wirkt
Ein Nachschlagewerk, ein Bildband, ein Geschichtsbuch? Paul Lowe, Leiter des Masterstudiengangs Fotojournalismus und Dokumentarfotografie der University of the Arts London, hat mit 23 Kuratoren 1.001 Fotografien ausgewählt, die die Welt abbilden. Berühmt gewordene und völlig unbekannte Bilder aus den Bereichen Gesellschaft, Mode, Politik, Kunst, Wissenschaft und Natur, in denen auch politische Sprengkraft steckt. Tom Hunters Foto etwa, im Stil von Vermeer gehalten, zeigt eine Frau, die den Bescheid für Zwangs­räumung liest – es führte dazu, dass das Haus nie geräumt wurde.

Paul Lowe (Hrsg.): "1001 Fotografien, die Sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist", Edition Olms, September, 960 S., 29,95 €

Das jüdische Erbe Osteuropas
Viele Synagogen, die auf diesen Bildern zu sehen sind, verfallen und werden bald verschwunden sein, andere haben durch die Umwidmung in Sport- und Kulturhallen noch eine Zukunftschance. Christian Herrmann hat die Synagogen zusammen mit früheren jüdischen Wohnhäusern und überwucherten Friedhöfen in Moldawien, Polen, Rumänien und der Ukraine mit der Kamera festgehalten – ebenso Brachland, auf dem einst das jüdische Leben blühte, oder Mauern, die aus Grabsteinen gebaut wurden. Die Fotografien bewahren das jüdische Erbe Osteuropas zumindest auf dem Papier.

Christian Herrmann: "In schwindendem Licht", Lukas Verlag, September, 168 S., 30 €

Die Ausbeutung der Kinder
Bei den Bildern von Lewis W. Hine stockt dem heutigen Betrachter der Atem: Sie zeigen Kinder, die in Bergwerken, Fabriken und auf Feldern schuften – Mädchen, die in einer Konservenfabrik Austern aufbrechen, einen siebenjährigen Jungen, der sich beim Sardinenzerteilen fast den Finger abtrennt. Der Pionier sozialdokumentarischer Fotografie hielt die oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen fest und musste sich dafür tarnen und verstecken. Die Auswahl aus Hines 5.000 Abzügen samt Notizen ist auch nach 100 Jahren noch ein große Anklage.

Wilfried Kaute (Hrsg.): "The boss don't care. Kinderarbeit in den USA 1908 – 1917", Emons, Oktober, 320 S., 39,95 €

Zeitreise durch China
Er legte 30.000 Kilometer in Indien zurück, begleitete mit dem Luftschiff eine Arktis-Expedition, überflog mit dem ersten Postflugzeug die Mongolei und berichtete von 1931 bis 1939 für die Ullstein-Presse aus China und der Mandschurei: In diesen Jahren zeigte sich Walter Bosshard als scharfsichtiger Beobachter und Kommentator politischer Entwicklungen – etwa beim Machtkampf zwischen Tschiang Kai-sheks Nationalisten und der Roten Armee unter Mao Zedong oder im chinesisch-japanischen Krieg. In beeindruckenden Texten und Bildern hielt er damals das Leben zwischen den Wüsten Zentralasiens und den Hafenstädten am Yangtse fest.

Walter Bosshard: "China brennt", Limmat Verlag, September, 290 S., 68 €