Interview mit Patrick Oelze

"Das historische Sachbuch passt sehr gut zu Herder"

28. Juni 2018
von Börsenblatt
Herder will das Sachbuch stärken – und bündelt die Themenfelder Geschichte und Politik in einem neuen Verlagsbereich. Programmleiter Patrick Oelze über das Konzept.      

Sie haben bei Herder den Verlagsbereich Geschichte & Politik aufgebaut, der im Herbst mit seinem ersten Programm startet. Was erwartet die Buchhändler?
Im Vordergrund steht die klarere Konturierung der Kompetenz und die Steigerung der verlegerischen Nachhaltigkeit, für die Herder in diesen Segmenten bereits seit Jahren steht. Politische Sachbücher bei Herder haben schon seit längerem einen starken Auftritt, und auch historische Sachbücher sind Teil des Programms. Aktuelle Beispiele auf der Bestsellerliste sind das Buch von Manfred Lütz, "Der Skandal der Skandale – Die geheime Geschichte des Christentums", oder die Autobiografie von Hans-Werner Sinn, "Auf der Suche nach der Wahrheit". Ab Herbst bündeln wir die Titel im neuen Bereich Geschichte & Politik. Unsere ersten historischen Sachbücher werden dann im August ausgeliefert. Die bisherigen Rückmeldungen aus dem Buchhandel sind sehr positiv und unterstreichen, dass Geschichte und Herder zusammengehören.

Mit Sachbüchern zu Politik und Geschichte befinden sie sich im Wettbewerb mit Verlagen, die sich auf diesen Gebieten ebenfalls Renommee erworben haben. Was wollen Sie besser, was wollen Sie anders machen als die Mitbewerber?
Geschichte und Politik gehören zu den stärksten Segmenten der Warengruppe Sachbuch, das sehen natürlich auch andere Verlage. Es ist immer interessant und anregend, was die Kollegen machen, der zentrale Punkt bei der Programmarbeit für mich ist aber, was die Leser an historischen und politischen Themen interessiert. Und wie diese Themen angesichts veränderter Konsumgewohnheiten aufbereitet werden müssen, dass Leselust und Kaufinteresse entsteht. Es kommt aber noch etwas Entscheidendes dazu: Das historische Sachbuch passt sehr gut zu Herder. Der Verlag hat ein Profil und eine anerkannte Kompetenz im Bereich Glaube, Werte, Bildung und Orientierung, und genau da spielt die Geschichte in der öffentlichen und politischen Diskussion eine immer größere Rolle: Sie dient als Orientierungswissenschaft und als Sinnstifterin in einer als immer unübersichtlicher und komplexer wahrgenommenen Zeit. Deshalb gehört die Geschichte neben der Theologie, neben der Psychologie und neben der Pädagogik – wo Herder traditionell stark vertreten ist – unbedingt als Leitwissenschaft unserer Zeit ins Verlagsprogramm.

In einer Zeit der „Vogelschiss“-Vergleiche ist die Bedeutung der Geschichte als Leitwissenschaft jedenfalls nicht zu unterschätzen …
Politische und historische Sachbücher zu machen, war noch nie so wichtig wie im Augenblick und noch nie so interessant! Die öffentliche Debattenlage ist extrem polarisiert. Das Buch sollte hier seine besonderen Stärken gegenüber anderen Medien noch viel selbstbewusster ausspielen: In der konzentrierten, ablenkungsfreien Vermittlung von sicheren und langlebigen Informationen sind wir unschlagbar.

Welche Themen in Politik und Geschichte wollen Sie besetzen? Wo setzen Sie die Schwerpunkte?
Eine gewisse Schwerpunktbildung ergibt sich dadurch, dass wir den Verlagsbereich „Geschichte &Politik“ genannt haben. Wir sind stark in der Zeitgeschichte unterwegs und haben den Bereich bewusst in Berlin angesiedelt, wo der Zusammenhang von Politik und Geschichte greifbar ist, und die Vergangenheit immer in die Gegenwart hineinragt. Mittel- und langfristig planen wir aber ein historisches Vollprogramm – von der Antike bis zur Gegenwart. Zunächst mit dem Schwerpunkt auf dem populären Sachbuch, aber auch mit der Möglichkeit, Fachpublikationen zu verlegen.

Mit welchen Büchern wollen Sie die Kunden überzeugen?
Die Käuferstudie des Börsenvereins zeigt, dass die Leser mit einem Buch verschiedene Versprechen verbinden. Diese kann man unterschiedlich aufschlüsseln. Das sind zum Beispiel Bücher, die angesichts fragmentierter medialer Konsumgewohnheiten und wachsenden Zeitdrucks eine Auszeit oder Entschleunigung ermöglichen; Bücher, die man auch in kleineren Einheiten konsumieren kann. Das ist das eine Versprechen, ich nenne es mal das „Flow-Versprechen“. Dafür steht in unserem neuen Geschichtsprogramm ein Buch wie „Die ersten 100 Tage: Reportagen vom deutsch-deutschen Neuanfang 1949“ von Wolfgang Brenner. 15 historische Reportagen, die leicht zugänglich den Alltag während der Staatsgründungen der Bundesrepublik und der DDR beschreiben. Das sind Einzelgeschichten, die man sukzessive lesen kann, und in die man sich versenken kann.

Ein anderes Versprechen, das man mit Büchern geben kann, sind verständliche Analysen, zu einem komplexen Sachverhalt oder einem strittigen Thema – eine Art Navigationsversprechen. Auch da bieten wir im historischen Sachbuch ganz konkret Bücher an, wie beispielsweise einen großen Essay von Gerd Krumeich über das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Entstehung einer Kultur des Hasses in der Weimarer Republik: "Die unbewältigte Niederlage“.

Des Weiteren kann ein Buch Teil eines größeren Projekts oder Ereignisses sein, mit dem der Autor seine Themen in die Öffentlichkeit bringt – ein Erlebnisversprechen sozusagen– etwa so wie das neue Buch "Dresden 1919" von Freya Klier, einer Autorin mit großer Fangemeinde, die viele Lesungen macht. Auch hier, in diesem Buch über eine Umbruchzeit, wird im Hintergrund mitverhandelt, was die erzählte Geschichte für unsere Gegenwart bedeutet.

Wollen Sie die Titelzahl ausbauen?
Im Herbst werden wir mit sechs Neuerscheinungen für den Allgemeinmarkt in der Geschichte starten, in der Politik liegen wir aktuell bei acht populären Sachbüchern. Insgesamt werden wir uns auch in Zukunft in dieser Größenordnung bewegen, vielleicht sogar hier und da die Titelzahl mal konzentrieren, um dann für die einzelnen Bücher besondere Maßnahmen zu ergreifen.

In welchen Formaten bringen Sie die Bücher heraus – überwiegend als Hardcover, oder auch broschiert?
In der Geschichte haben wir alle Neuerscheinungen als gebundene Bücher angelegt – auch, weil mit historischen Sachbüchern häufig ein gewisses Leseerlebnis verknüpft wird und sie gern verschenkt werden. In der Politik, wo wir auch auf aktuelle Ereignisse eingehen und versuchen, kurzfristig Entwicklungen abzubilden, variieren wir das Format stärker. Bei aktuellen politischen Themen finden Sie auch mal die Klappenbroschur vor, dann zu einem niedrigeren Ladenpreis.

Artikel zu weiteren Themen lesen Sie in unserem Spezial Sachbuch & Wissen (Börsenblatt 26/2018), das am 28. Juni erschienen ist.