Cleveres Marketing für eine Lesung

Wie "Das Meer" zum Publikumsmagneten wurde

6. Juli 2018
von Börsenblatt
„Bei diesem sperrigen Thema werden nicht mehr als 50 Leute kommen“, prophezeite Autor Wolfram Fleischhauer schon während eines Telefonats mit Ulrike Sowa, Inhaberin von “Die Buchhandlung” in Homberg Ohm. Doch er wurde eines Besseren belehrt: Von 4.000 Einwohnern in der Kleinstadt fanden sich am 18. Mai sogar 136 zusammen, um der Lesung aus Fleischhauers aktuellstem Werk "Das Meer" zu lauschen. Der Grund: eine ausgefuchste Marketingstrategie der Buchhändlerin.

"Klappern gehört zum Handwerk". Diesen Spruch beherzigte die Buchhandlung auf vielen Kanälen. "Schon vier bis fünf Monate vorher haben wir mit Werbung angefangen", erzählt Ulrike Sowa. Die Buchhandlung gab hochwertige Lesezeichen in einer Druckerei in Auftrag und bewarb darauf die Veranstaltung. Diese Werbeaktion war eigentlich aus der Not geboren: Da die Kleinstadt auf einer Landkreisgrenze liegt, hätte "Die Buchhandlung" in mehreren Tageszeitungen inserieren müssen, um tatsächlich ihren Kundenkreis zu erreichen. Ulrike Sowa entschied sich stattdessen für die Werbung in Lesezeichenform – und das mit langem Atem. "Diese Lesezeichen haben wir über Monate jedem Buch beigelegt, das hier über den Verkaufstresen ging."

Doch damit nicht genug: "Zum Welttag des Buches luden wir mit Zustimmung des Droemer Verlages unsere Kundinnen und Kunden zum Schaufensterlesen ein." Alle Fenster waren leergeräumt und statt Büchern stand dort ein Stuhl. Jeder Vorleser hatte eine Lesezeit von 10 Minuten mit dem Buch "Das Meer". Über Mikrofone wurden die Lesungen auf Außenlautsprecher übertragen. Viele Bürger und Touristen blieben neugierig vor der Buchhandlung stehen und lauschten. Das änderte sich auch nicht, als angesichts der hochsommerlichen Temperaturen die Buchhandlung die Veranstaltung von den Schaufenstern auf den Hof verlagerte. "Es war eine Aktion, die viel Interesse und Aufmerksamkeit erzielte", sagt Ulrike Sowa. "Insgesamt lasen an diesem Tag 30 verschiedene Personen aus dem Buch vor, darunter auch die Bürgermeisterin."

 

Dieser aufsehenerregenden Aktion ließ die Buchhandlung noch eine weitere folgen: Da das Buchcover mit seinem blutroten Meer und dem bedrohlich grauen Himmel an sich schon ein "Hingucker" ist, ließ Sowa Folien mit dem Motiv drucken und klebte die untere Hälfte des Schaufensters in transparentem Blutrot ab, die obere in Grau. Darauf prangte der Schriftzug "Das Meer" in rot. Im freiliegenden Spalt dazwischen reihte sie mehrere Exemplare des neuen Fleischhauer-Buches in der gleichen Farbgebung auf. "In den folgenden drei Wochen hat dieses Schaufenster viel, viel Aufmerksamkeit erregt", so Ulrike Sowa. Passanten kamen eigens in die Buchhandlung, um zu fragen, was denn das für ein Buch sei.

So las der Autor schließlich vor komplett ausverkauften Reihen aus seinem Politthriller "Das Meer". Den passenden Raum dazu stellte der Caterer zur Verfügung, der – zugeschnitten auf den Anlass – ein veganes Menü kredenzt hatte. "Auch das war eine von uns geplante Überraschung für die Gäste", sagt Sowa. "Aber ich fand, bei diesem Thema geht das einfach nicht anders." Schließlich handelt das Buch von den brutalen Auswirkungen der globalen Fischereimafia auf Umwelt und Menschen. Das vegane Menü sei auch gut bei den Leuten angekommen. Die meisten von ihnen hatten die Eintrittsvariante mit Catering gewählt, für die Ulrike Sowa 15 Euro berechnete. "Dabei bin ich, was die Kosten für den Caterer angeht, mit einem Nullsummenspiel herausgekommen, aber das war in Ordnung so." Wer lediglich in den Genuss der Lesung kommen wollte, bezahlte zehn Euro Eintritt. "Für Lesungen berechne ich immer das gleiche, egal ob nur wenige Gäste kommen oder viele", sagt Sowa.

Wolfram Fleischhauer war bereits zum dritten Mal in Homberg Ohm zu Gast. 2001 hatte er Abschnitte aus "Drei Minuten mit der Wirklichkeit" im Zusammenspiel mit einer Tango-Perfomance vorgetragen. Im Jahr 2003 fand eine weitere Veranstaltung mit Fleischhauer statt, diesmal zu "Das Buch, in dem die Welt verschwand". "Und natürlich war auch diese Lesung mit dem fantastischen Autor wieder eine runde Sache", so das Fazit von Ulrike Sowa.

Kontakt zum Ideengeber:
Die Buchhandlung
Inhaberin: Ulrike Sowa
Frankfurter Straße 49
35315 Homberg Ohm
Tel. 06633 7271
BuchHomberg@gmail.com