Interview mit Alexander Elspas

"Die Mühen der Ebenen"

9. Juli 2018
von Börsenblatt
Vor vier Jahren wurde die Büchergilde zur Genossenschaft umgewandelt. Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender Alexander Elspas will mehr junge Mitglieder für die Buchgemeinschaft und die Genossenschaft begeistern.

Beunruhigen sie die Zahlen aus der Börsenvereins-Studie zum Leserschwund?

Nein. Unser Ziel ist es ja nicht in irrsinniger Geschwindigkeit groß zu werden. Unser Ziel ist es, die Entwicklung der Mitgliederzahl der Büchergilde in eine positive Richtung zu bringen. In den vergangenen Jahren war es so, dass wir jährlich saldiert einige hundert Mitglieder verloren haben. Unsere Mitglieder verabschieden sich aber nicht in die digitalen Welten, sondern weil das Zeitliche sie segnet. Wir haben aber 1 000 neue Mitglieder im laufenden Jahr gewonnen, bei ihnen ist die Altersstruktur sehr gut: Sie sind eher 30 als 50 Jahre. Auf diese Entwicklung wollen wir uns konzentrieren.

Welche Rolle kommt dem Buchhandel bei der Mitgliederwerbung zu?

Die Büchergilde lebt und praktiziert den Schulterschluss mit den Buchhandlungen von Anfang an. Am Anfang waren das büchergildeeigene Buchhandlungen, dann Büchergilde-Treffpunkte in den Jahren, als die Büchergilde gewerkschaftseigen war. Wir werden Ende des Jahres bei rund 100 Partnerbuchhandlungen stehen. Das ist dann noch nicht das Ende der Fahnenstange. Aber auch hier geht es nicht um in erste Linie um die Quantität, sondern die Qualität der Partnerschaften. Diese wollen wir intensiver leben.

Wie soll das konkret aussehen?

Einen noch intensiveren Austausch zum Beispiel durch Regionaltreffen. Vor wenigen Wochen gab es etwa ein zentrales Treffen bei unserer Auslieferung Prolit. Austausch über programmatische oder vertriebliche Entwicklungen, Material zur Ansprache von Neumitgliedern bis hin zum viel beschworenen Thema Eventmarketing, z.B. in Form von Werkstattgesprächen. Zu unserem »Hawaii-Kochbuch« veranstaltet die Literaturhandlung Moths in München etwa vier Hawaii-Wochen mit unserer Beteiligung. Unsere Mitglieder kommen gerne in ihre Büchergilde-Buchhandlung und wollen ihre Gemeinschaft leben. Schauen Sie mal, das alles hier ist Post von heute Morgen von unseren Mitgliedern, die noch vor dem Frühstück lange Briefe oder E-Mails mit Programmanregungen an mich oder die Büchergilde schicken.

Im Editorial des aktuellen Büchergilde-Magazins haben Sie angekündigt, dass es mehr Originalausgaben geben soll. Exklusivität ist ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit: Jetzt im Programm haben wir zwei Originalausgaben im Kinderbuch. Die Zielgruppe der Kinder ist mir eine ganz, ganz wichtige – und die derjenigen, die Kinder zu beschenken haben. Nach Rückmeldung vieler Neumitglieder gelingt es uns in sehr vielen Fällen hin, Lizenztitel noch schöner und hochwertiger zu produzieren als die Originalausgaben, am Beispiel von Max Frisches „Fragebogen“ etwa, viel Lob gab es auch für „Tschick“, das mit dem Gestalterpreis 2016 ausgezeichnet wurde. Dieses Lob ist ein Ansporn und große Herausforderung zugleich: Es ist ja nicht so, dass die Büchergilde heute noch alleine schöne Bücher machen würde. Der Aspekt der Exklusivität aber ist ein sehr wichtiger: Unsere Buchhändler werden durch die Originalausgaben gestärkt. Programmatisch ist für uns die größte Herausforderung, den Spagat zwischen Tradition und Moderne zu meistern, um auch ein neues, junges Publikum anzusprechen. Mit unserem illustrationsgetriebenen Hawaii-Kochbuch wollen wir eine Zielgruppe ansprechen, die eher mal auf etwas verzichtet, um sich dafür etwas Vernünftiges leisten zu können, die Spaß an der Idee und Gestaltung hat. Es gibt aber auch einen merkantilen Aspekt: Bei der Preisgestaltung der Originalausgaben sind wir frei, bei Lizenztiteln hingegen müssen wir im Rahmen mit der Preisbindung und des Potsdamer Abkommens preislich unter dem Original liegen.

 

Wo werben Sie eigentlich die meisten Mitglieder? Auf Events oder im Buchhandel?

Im hohen Maß in Buchhandlungen und durch Mundpropaganda. Empfehlungen spielen eine immense Rolle für uns, auch beim Thema Programmgestaltung. (Zeigt auf ein Schwarz-weiß-Plakat mit einer historischen Aufnahme: Ein Bücherbus-Oldtimer vor dem Eisernen Steg in Frankfurt). Diese historische Aufnahme steht nicht von ungefähr hier. Unser Motto war immer: Die schönen Bücher zu den Menschen zu bringen. Früher waren es die Betriebsobleute, die mit den Neuerscheinungen in die Betriebe gefahren sind oder hier eben der Büchergilde-Bus der 50er Jahren. Für uns heute heißt das: Wo sind die Literaturfestivals, die Bücherschauen, die Messen, wo es interessant sein könnte, als Büchergilde vor Ort sichtbar und vertreten zu sein?

Es geht aber nicht um die Wiederbelebung eines solchen Busses, oder doch?

Mit dieser Dieselschleuder dürfte ich wohl gar nicht fahren. Es kann aber schon eine Überlegung sein, auf einen vergleichbaren Blickfänger zu setzen, mit dem wir beim Harbour Front oder auf der Münchner Bücherschau vertreten sind.

Seit Sommer 2014 ist die Büchergilde eine Genossenschaft. Ist es schwierig, dieses Modell heute noch zu vermitteln?

Von rund 62.300 Mitgliedern sind 1.090 Genossen. Diese Unternehmensform ist genau die richtige für eine Institution wie unsere. Ich bin sehr glücklich, dass wir heute eine Genossenschaft sind. Schwierig ist die Kommunikation: Es ist ja nicht so, dass jeder, den man heute auf der Straße fragt, sofort weiß, was die Büchergilde ist, beziehungsweise lautet die nächste Frage: "Gibt‘s die noch?" Das ist uns bewusst, daran müssen wir arbeiten. Das Brecht-Zitat: "Wir haben die Mühen die Berge hinter uns. Vor uns liegen die Mühen der Ebenen", beschreibt unsere Situation ziemlich genau. 

Die Büchergilde in Zahlen

  • Mitglieder: 60 000 in Deutschland; 2 300 in der Schweiz
  • Genossen: 1 090
  • Partnerbuchhandlungen: 92 in Deutschland, 3 in der Schweiz, je eine in Österreich und Belgien

Büchergilde Gutenberg:

  • 23 Mitarbeiter
  • 20 Publikationen pro Quartal (plus je 2-4 Koch- und Kinderbücher plus 2 englischsprachige Titel)
  • 25 CDs und DVDs
  • 8 – 12 Nonbooks