Interview mit Ute Nöth über Influencer-Marketing

"Ein persönliches Verhältnis ist extrem wichtig"

12. Juli 2018
von Börsenblatt
Ute Nöth weiß um die Bedeutung von Blogger-Relations und Influencer-Marketing. Seit März 2016 ist sie mit einer Kollegin Ansprechpartnerin für Blogger im Carlsen Verlag, davor arbeitete sie als selbstständige Projektmanagerin und verwirklichte vor allem für Hoffmann und Campe digitales Marketing. Grund genug, sie zu fragen: Wie können Verlage digital mehr Menschen erreichen?

Was genau sind "Influencer" überhaupt? Wodurch zeichnen sie sich aus?
Der Begriff kommt eindeutig aus dem Mode- und Lifestylebereich und bedeutet, kurz gesagt, dass man mit dem eigenen Geschmack die persönliche Meinung anderer beeinflusst. Insofern kann sich eigentlich jeder, der anderen etwas empfiehlt, als Influencer verstehen. Rein praktisch aber gilt man wohl als Influencer, wenn man reichweitenstark speziell auf Kanälen wie Instagram oder YouTube Einfluss auf das Konsumverhalten seiner Follower nimmt.
In der Buchbranche ist unserem Eindruck nach das klassische Zuhause eines Influencers, also Dreh- und Angelpunkt seiner Online-Aktivitäten, immer noch der eigene Blog. Für uns einer von vielen Gründen, weshalb wir in unserer Arbeit den Begriff "Buchblogger" dem allgegenwärtigen "Influencer" vorziehen – auch wenn Buchblogger fraglos Influencer sind.

Welche Reichweite sollten Influencer bestenfalls haben? Kann man in der Buchbranche überhaupt von "Influencern" sprechen, wenn die Reichweite im Vergleich zu Lifestyle, Technik, Mode und Reise so überschaubar ist? Oder ist die Reichweite nicht allzu relevant, solange die "richtigen" Menschen erreicht werden?
Meiner Meinung nach ist der Begriff "Influencer" nicht an die Reichweite gekoppelt, sondern vielmehr daran, ob man in seinem eigenen Netzwerk – und sei es noch so überschaubar – eine solche Bedeutung hat, dass die Follower maßgeblichen Wert auf die Empfehlungen legen. Im Zweifel ist ein Influencer mit wenigen Fans, die allerdings jeder seiner Empfehlungen folgen, interessanter als ein Influencer, der vielleicht eine große Reichweite, aber wenig Interaktion mit seinen Fans hat. Und solche Personen gibt es im überschaubaren Kosmos der Buchblogger einige.
Was die Reichweite der Buch-Influencer angeht, so führen diese im Vergleich zu anderen Themen sicher ein Nischendasein. Wobei, so ganz klein ist diese Nische gar nicht: Um die 30.000 Follower verzeichnen die großen Booktuber und Bookstagramer. Interessant daran ist übrigens, dass bei den meisten das Wachstum offenbar in diesem Größenbereich endet – ob es schlicht nicht mehr als 30.000 junge Vielleser in Deutschland gibt? Zu beobachten ist bei einigen aus dieser Liga eine Neuorientierung hin zu offeneren Lifestyle-Themen, möglicherweise um auch abseits dieser Vielleser neue Abonnenten zu gewinnen. Bei Carlsen kooperieren wir übrigens in der Regel nur mit Influencern, die auf einem ihrer Social-Media-Kanäle mindestens 1.000 Follower haben.

Was können Verlage bei der Zusammenarbeit mit Influencern tun?
Die Königsdisziplin ist, bei allen Aktionen auch die Perspektive der Bloggerinnen und Bloggern einzunehmen, diese im Bestfall gut und persönlich zu kennen – und damit möglichst passende Empfehlungen auszusprechen. Die nachhaltigste Maßnahme in Sachen Influencer-Marketing ist in meinen Augen deshalb auch, in Personal zu investieren, um ein möglichst verbindliches Verhältnis zu Bloggern zu schaffen. Bei Carlsen versuchen wir, auf möglichst jede E-Mail zu antworten und nicht kommentarlos nur Rezensionsexemplare zu verschicken. Auch fotografierbarer Content ist gern gesehen, beispielswiese für Unpacking-Storys auf Instagram; oder auch Verlosungsexemplare.
Anfang des Jahres haben wir zwei Blogger zu sogenannten Representatives von Carlsen ernannt, die jeden Monat alle Neuerscheinungen von uns bekommen und diese präsentieren – nachverfolgbar unter dem Hashtag #CarlsenREP. Die Blogger sind zufrieden damit und wir ebenso, für beide Seiten ein schöner Deal.

Wie erreicht man die Blogger am besten?
Indem man sie möglichst individuell, persönlich und wertschätzend kontaktiert. Wobei dies natürlich angesichts der großen Zahl an Buchbloggern eine zeitintensive Aufgabe ist. Bei Carlsen haben wir losen bis regelmäßigen Kontakt mit 600 bis 800 Bloggern. Wer nach einem zentralen Ansprechpartner sucht, für den könnte die Agentur von Booktuberin Sara Bow interessant sein, deren Agentur einige große Booktuber betreut – meines Wissens der erste professionelle Zusammenschluss mehrerer Buchblogger. Aber wie gesagt: Eine persönliche Beziehung aufrechtzuerhalten ist extrem wichtig und vor allem nachhaltig.

Welchen Vorteil haben Verlage oder Buchhändler von der Zusammenarbeit mit Influencern?
Buchblogger sind für die Verlage Touchpoints im Netz, ein Sprachrohr direkt in die Zielgruppe mit wenig Streuverlust. Man erreicht vielleicht nicht mehr als die genannten 30.000 Menschen, aber das sind wertvolle Vielleser und Multiplikatoren. Wir schätzen außerdem die Rückmeldungen über Rezensionen und E-Mails, zum Beispiel beim Thema Covergestaltung.
An Buchhändler haben wir bisher ein paar Mal Blogger für Events vermittelt, zum Beispiel zur Harry-Potter-Booknight, was allen Beteiligten großen Spaß gemacht hat. Aktuell haben wir eine Liste an Bloggern, die Buchhandlungen gern beim 20-jährigen Harry-Potter-Jubiläum unterstützen – sei es als Social-Media-Profi oder Potter-Experte.

Gibt es denn auch Nachteile?
Natürlich steht von Zeit zu Zeit die Frage im Raum: Was bringen Blogger-Relations eigentlich konkret? Verleiten Buchblogger Leser tatsächlich zum Kauf? Wie abgeschottet ist die Szene, wie weit dringt sie in andere Filterblasen vor? Erreichen wir nur jene Leute, mit denen wir ohnehin schon in Kontakt stehen, oder erschließt sich durch Influencer auch neues Publikum? Und ist das Maß, in dem wir als Verlag Blogger-Relations betreiben, richtig dimensioniert oder verschwenden wir Ressourcen? Genau wissen wir das nicht, ich persönlich bin mir aber sicher: Ohne geht es definitiv nicht.

Welche Fehler kann man bei der Zusammenarbeit mit Bloggern machen?
Die gute Nachricht lautet: So viel kann nicht schiefgehen. Der Klassiker ist natürlich, ohne persönlichen und thematischen Kontext einfach eine Massen-E-Mail ohne individuelle Ansprache zu verschicken. Das wird schnell peinlich. Besser sollte man sich vorher gut in die Szene einarbeiten, um sich beim Erstkontakt inhaltlich passend und sympathisch zu präsentieren. Niemand möchte wahlloses Mittel zum Zweck sein – und eben auch kein Buchblogger, der in der Regel seine Freizeit in den Blog investiert.
Übrigens: Blogger sind untereinander wahnsinnig gut vernetzt, man sollte sich bei Angeboten, Einladungen oder Honoraren bewusst sein, dass solche Infos schnell die Runde machen. Fühlt sich dabei jemand auf den Schlips getreten, wird das gerne schon mal öffentlich ausgetragen. Aber zum Glück ist das Netz ist schnelllebig, und ein Aufreger von heute ist morgen auch wieder vergessen.
Anders als bei der klassischen Pressarbeit beobachte ich bei Bloggern auch eine höhere Sensibilität bei Fragen des Umgangs und der Wertschätzung. Verständlich, Bloggen ist für fast alle ein Hobby, in dem viel Leidenschaft und Emotion steckt, so dass zuweilen Fingerspitzengefühl gefragt ist. Aber genau das macht auch den Reiz aus – nämlich persönlich und eng mit leidenschaftlichen Lesern zusammenzuarbeiten.