Über die Rückgewinnung von Lesern

Neue Jobs für uns

17. Juli 2018
von Börsenblatt
Wie kommen die Buchkäufer zurück – und wir zu ihnen? Eine der derzeit meistgestellten Fragen bewegt auch einen Medienprofessor in Leipzig und seine Studenten. Hier sind deren Antworten, notiert von Friedrich Figge.

6,4 Millionen verlorene Buchleser in fünf Jahren! Die Ergebnisse der exzellenten "Quo vadis"-Studie von GfK und Börsenverein lassen uns das Blut in den Adern gefrieren. Jetzt noch den Studienplatz wechseln? Nein, dann doch lieber die Buchbranche retten! Hier einige Lösungsansätze.

  1. Die 20- bis 49-Jährigen lesen immer weniger! Konzentrieren wir uns also auf die 50- bis 105-Jährigen: Diese Zielgruppe wächst, hat mehr Kaufkraft und mehr Zeit als die Jüngeren. Weiterhin sucht sie am sich nähernden Ende ihres Lebens nach Sinn und Ruhe. Infolge der steigenden Lebenserwartung stellt sie eine stark wachsende Zielgruppe dar. Leicht lesbare Buch­formate für Druck und Tablet sowie Lesehilfen, bis hin zu Daisy-Büchern für Sehbehinderte sind für sie attraktiv.
  2. Sollen wir die gehetzten, digitaleren 20- bis 50-Jährigen aufgeben? Nein! Wir nehmen die Gewinne aus den älteren und jüngsten Zielgruppen und investieren in die Zukunft. Wir entwickeln neu strukturierte Smartphone-Bücher, die Lesehäppchen ermöglichen, als Alternative zum schnellen Chatten, denn Geschichten sind Geschichten – in welcher Form auch immer. Und wenn diese jüngere Zielgruppe zwischen Kindern und Karriere ihre knappe Zeit zum Entschleunigen nutzen möchte, dann zum Beispiel mit Hörbüchern, mit mehr interaktiven Funktionen – ob zum "Blättern" oder "Binge-Hearing".
  3. Noch wächst der Umsatz bei den Unter-20-Jährigen. Entwickeln wir für sie in ihren gewohnten Leseformen zum Beispiel Mangas mit den Themen junger Erwachsener. Ob als Buch oder E-Book mit Formaten für Smartphone-Versionen.
  4. Auch Nichtbuchkäufer haben Sehnsucht nach Entschleunigung! Machen wir Buchhandlungen zu "Oasen der Entspannung": Lesesessel, entspannende Musik, Community-Treffen. Schaffen wir neue Umsatzquellen mit Eintrittsgebühren für Events, gerade auch für Nichtleser, sowie Kaffee-, Kuchen- und Merchandise-Verkauf. So wird die Buchhandlung in Zeiten zunehmender Einzelhaushalte für sozialen Kontakt und Umsatz sorgen – sofern dies nicht schon die Bibliothek übernommen hat.
  5. Wie müssten unsere Buchhandlungen dafür aussehen? Weniger Bücher, größere Übersichtlichkeit, bessere Leitsys­teme, gemütliche Leseecken und -räume, leichte Musik im Hintergrund, getrennte Zonen für Laufkundschaft und Buchgenießer bis hin zur Buchlounge. Außerdem: Die großen Anbieter wie Amzaon werden durch die immer leistungsfähigere KI bessere Kundenangebote machen können. Für Buchhandlungen liegt deshalb nahe, dass sie als Verbund im Börsenverein und gemeinsam mit den Barsortimenten Kundendaten sammeln und mittels KI analysieren, um immer besser individuell im Internet, aber auch vor Ort auf Kunden reagieren zu können. Durch Einlesen einer Kundenkarte könnten sofort passende Hinweise vor Ort gegeben werden. Dies wäre dann ein Wettbewerbsvorteil, den nur die teilnehmenden Buchhandlungen hätten.
  6. Dem Buch ein neues Image geben. Cool aber entschleunigt, ökologisch und nachhaltig: kostenlose Fahrten im ÖPNV für Buchkäufer, wie bei den niederländischen Buchtagen, Buchabteile im Zug, soziale E-Books mit Kommunikationsfunktion – nie mehr allein, denn der nächste Seelenverwandte wartet im Buch.

So hoffen wir, dass mit Buchhandlungsoasen der Entspannung, innovativen Angeboten und Formaten Arbeitsplätze von morgen für uns Studierende von heute entstehen können.

Friedrich Figge ist Professor für Electronic Publishing und Multimedia an der HTWK Leipzig. (Co-Autoren: Hanna Flämig, Franziska Müller, Isabelle Noè, Miriam Pawellek, Juliane C. Winges)