"On The Same Page": Interview mit Alexander Skipis und Juergen Boos

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9. August 2018
von Börsenblatt
Mit der Kampagne "On The Same Page" erinnern Börsenverein und Frankfurter Buchmesse an eine Errungenschaft: Vor 70 Jahren wurde die Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Was das mit der Branche zu tun hat, erklären Alexander Skipis und Juergen Boos im Interview.

70 Jahre Frankfurter Buchmesse – 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Warum passt das gut zusammen?
Juergen Boos: Als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 verabschiedet wurde, verständigten sich die unterzeichnenden Staaten auf eine gemeinsame Vision für die Welt. Heute, 70 Jahre später, sind die Menschenrechte in vielen Staaten Bestandteil der Verfassung. Dennoch erleben wir jeden Tag, wie wenig selbstverständlich ihre Einhaltung ist. Die erste Buchmesse in Frankfurt nach dem 2. Weltkrieg fand nur wenige Monate nach der Verabschiedung der UN-Charta statt, im September 1949. Seit ihren Anfängen ist die Frankfurter Buchmesse dem Pluralismus, der Meinungs- und Redefreiheit und der Freiheit des Publizierens verpflichtet. Das Recht auf freie Meinungsäußerung oder auch das Recht auf Bildung gehören zu unserer DNA, wie wir mit Alphabetisierungskampagnen oder dem Engagement beim Programm "Stadt der Zuflucht" auch ganz konkret zeigen. Im 70. Jahr erscheint es uns wichtiger denn je, mit der Kampagne "On The Same Page" ein Zeichen zu setzen.  

Die Stimmung im Land ist aufgeheizt, auch durch die Asyldebatte. Ist es an der Zeit, die Erklärung von 1948 mal wieder gründlicher zu lesen?
Alexander Skipis: Die Menschenrechte stehen mehr denn je weltweit, aber auch ganz nah bei uns unter Druck. Es täte uns allen gut, die Erklärung nicht nur zu lesen, sondern auch wieder mehr nach ihr zu handeln. Wir müssen stärker für unsere freiheitlichen Werte eintreten und auch die Zivilgesellschaft motivieren, sich für sie einzusetzen. Die Menschenrechte wirken nur, wenn wir sie in unserem Handeln bestätigen. Insbesondere der universelle Charakter, die Gültigkeit der Menschenrechte für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Glauben, scheint mir in Vergessenheit geraten zu sein. Wenn ein deutscher Innenminister witzelnd davon spricht, dass ausgerechnet an seinem 69. Geburtstag 69 Menschen abgeschoben werden, da kann es nicht schaden, an unsere Grundwerte deutlich zu erinnern.

"On The Same Page" heißt das Motto der Kampagne. Ist es wirklich Aufgabe des Börsenvereins und der Frankfurter Buchmesse, auf einer bestimmten Seite zu stehen?
Skipis: Ja, ganz klar, wenn es um die Seite geht, auf der die Menschenrechte geachtet und praktiziert werden. Dort, wo die Menschenrechte angegriffen, wo Menschen allein aufgrund ihres Glaubens oder wegen ihrer schriftstellerischen Tätigkeit vom Staat weggesperrt oder drangsaliert werden, da dürfen wir nicht wegschauen. Das gebietet schon die historische Verantwortung für das Verhalten des Börsenvereins und anderer Vertreter der Buchbranche in den Jahren 1933 bis 1945. Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist die Verbreitung des freien Wortes. Wir wollen einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen einer freien Gesellschaft mit unserer Arbeit leisten. Meinungsfreiheit ist die Grundlage unseres Schaffens. Wir erleben allerdings weltweit, dass Buchhändler inhaftiert, Verleger enteignet, Journalisten vertrieben werden. In solchen Fällen ist es nicht nur angebracht, dass wir unsere Stimme erheben, es ist unsere Pflicht.
Boos: Auf der weltgrößten Messe für Inhalte und Geschichten werden auch streitbare Positionen vorgetragen. Allerdings muss es dafür eine Grundlage geben, die klare Grenzen hat. Für uns sind die Menschenrechte diese Grundlage. Es ist schade, dass man dies heute besonders betonen muss. Daher laden wir alle ein, sich mit uns auf die Seite der Menschenrechte zu stellen.  

Auch Verlage und Buchhandlungen sollen sich einbringen. Was genau würden Sie sich da von den Branchenkollegen wünschen?
Skipis: Die Kampagne zahlt auf die ureigenen Ziele unserer Branche ein, Meinungs- und Informationsvielfalt zu fördern und die Selbstbestimmung eines jeden Menschen zu bestärken. Ich würde mich freuen, wenn Buchhandlungen und Verlage unter dem Dach der Kampagne eigene Aktionen entwickeln. Die Kampagne ist besonders kraftvoll, wenn sie möglichst viele und diverse Stimmen aus unserer Branche präsentiert und die Beschäftigung mit dem Thema über verschiedene Zugänge anregt. Zudem stellen wir Plakate und andere Werbemittel bereit und auch via Social Media können Verlage und Buchhandlungen Teil der Kampagne zum Jubiläum der Menschenrechte werden.
Boos: Darüber hinaus wollen wir alle Branchenkollegen ermutigen, auf der Frankfurter Buchmesse über Menschenrechte zu diskutieren: Was bedeutet Meinungsfreiheit im beruflichen Alltag des Verlegens und des Buchhandels? Wo findet sie ihre Grenzen? Das Veranstaltungsprogramm am Stand des Europäischen Fernsehkanals Arte wird am Messesamstag dem Thema Menschenrechte gewidmet sein. Auch auf der Weltempfang-Bühne sind zahlreiche Veranstaltungen geplant. Ich freue mich auf spannende Diskussionen im Oktober!

Menschenrechte sind universell. Aber sind sie auch zeitlos? Gibt es Rechte, die Sie in der Version von 1948 vermissen?
Boos: Vor 70 Jahren gab es noch kein Internet. Im 21. Jahrhundert hat die Digitalisierung unsere Gesellschaft und das Leben jedes Einzelnen grundlegend verändert. Die Datensammelwut mächtiger Unternehmen und einzelner Staaten nimmt beängstigende Züge an. Hier bieten sich meiner Meinung nach gute Ansätze für Diskussionen: Sollte der Schutz persönlicher Nutzerdaten ein Menschenrecht sein?
Skipis: Durch die Digitalisierung gewinnt auch das Recht auf geistiges Eigentum an Bedeutung. Die UN-Charta sieht den Schutz von Urhebern vor; die Umsetzung ist aber heute herausfordernder. Wie können wir sicherstellen, dass Autoren, Verleger und alle weiteren Urheber in Zeiten, in denen ihre Werke mit einem Klick kopiert werden können, ausreichend vor einer illegalen Verwertung geschützt werden? Nur gemeinsam im internationalen Austausch können wir Lösungen finden, damit aus Absichtserklärungen gelebte Praxis wird – Tag für Tag.