Wie Lektorat, Vertrieb & Co. zusammen auf Krimis aufmerksam machen

Begehrter Stoff

30. August 2018
von Sabine Schmidt
Mit vereinten Kräften in die Charts: Lektorat und Marketing, Vertrieb und Presse arbeiten eng zusammen, um Krimis und Thriller an den Leser zu bringen. Drei Beispiele. 

Netflix, Fernsehen & Co bieten reichlich Gelegenheit, sich zu begeistern, zu gruseln, zu unterhalten – die wachsende multimediale Angebotspalette an Krimis macht es schwieriger, Spannungsliteratur an den Leser zu bringen. Eine Antwort der Verlage: Sie intensivieren die Zusammenarbeit zwischen den hauseigenen Abteilungen, nicht zuletzt zwischen Lektorat und Marketing.

Das gilt insbesondere für Krimi-Spitzentitel, für die in großen Kampagnen geworben wird, in kleinerem Rahmen aber auch für alle anderen Bücher: wenn es um die Covergestaltung geht, Vorschautexte oder Veranstaltungen. Die Hauptrolle spielt zwar nach wie vor der Text, die Frage der Vermarktbarkeit jedoch steht schon zu Beginn an seiner Seite.

"Bei Spitzentiteln lesen die anderen Abteilungen oft schon im Akquiseprozess mit und geben Feedback in Sachen Verkäuflichkeit, Zielgruppe, Vergleichstitel, Marktsituation", erläutert Piper-Programmleiterin Andrea Müller. Das dient dazu, im Verlag frühzeitig Begeisterung für wichtige Bücher zu wecken. Es gibt aber noch einen zweiten Punkt: Im Rahmen einer Auktion können so bereits Marketing- und Verkaufsüberlegungen gegenüber dem Rechtegeber präsentiert werden. "Die Frage, wie ein Verlag den betreffenden Stoff positionieren will, in welchem Format und mit welchen begleitenden Maßnahmen, spielt in Auktionen um ein begehrtes Buchprojekt oft eine entscheidende Rolle."

Jessica Fellowes' "Die Schwestern von Mitford Manor" ist einer der Spitzentitel im Herbstprogramm von Pendo: ein Krimi, der im England der 20er Jahre spielt, am 4. September erscheint und schon seit Akquise eng von allen Abteilungen des Hauses begleitet wird.

"Für das Marketing nutzen wir die thematisch ausgerichteten Krimikanäle", erklärt Marketingleiterin Astrid Böhmisch. "Neben der Zielgruppenansprache brauchen wir bei großen Titeln aber unbedingt auch reichweitenstarke Medien." Sie arbeitet mit auflagenstarken Print­titeln und kann parallel dazu "in einer breit angelegten Onlinekampagne die Kanäle je nach Zielgruppen orchestrieren, Hand in Hand mit den Aktivitäten der Vertriebskollegen".

Dabei ist natürlich der Krimi der Stoff, aus dem das Marketing sich Anregungen holt. Bei Jessica Fellowes baut Piper auf das Revival der Golden Twenties nicht nur in der Literatur, sondern auch im Kino, im Fernsehen und als Inneneinrichtungstrend: "Wir arbeiten mit Bloggern zusammen und planen mit einem exklusiven Video eine Buchvorstellung im Stil der 20er Jahre auf dem Kanal einer bekannten Booktuberin", so Böhmisch.

Zimmersuche und ein Mord, damit beginnt Andreas Winkelmanns Thriller "Das Haus der Mädchen", Ende Juni bei Rowohlt herausgekommen. Auf dem Cover ist nur der Name Winkelmann, ohne Vornamen, zu lesen – und Blut auf einem Klingelschild zu sehen. Die Planungen für einen spannenden Marktauftritt begannen schon ein Jahr vor dem Erscheinungstermin. Damals kamen Rowohlt-Vertreter aus Lektorat, Marketing und Vertrieb mit dem Autor zusammen, um die Kampagne für das neue Buch zu planen. "Unser Konzept geht auf", freut sich Taschenbuch-Programmleiterin Sünje Redies. Winkelmanns neuer Thriller hat es nicht nur bis auf Platz 4 der Taschenbuch-Bestseller­liste geschafft. "Wir haben auch unser Ziel erreicht, neue Leser zu gewinnen."

Marketingleiterin Marle Scheither ­erklärt, was von ihrer Seite hinter der großen Kampagne steht: "Diejenigen, die Andreas Winkelmann bereits kannten, lieben ihn und warteten sehnlichst auf Nachschub. Das hat uns aber nicht ge­reicht – wir haben viel mehr Potenzial gesehen." Dank der intensiven Zusammenarbeit mit dem Lektorat gab es Material genug, um den Start des aktuellen Thrillers ganz detailliert vorzubereiten. "Marketing und Vertrieb konnten mit Zahlen untermauern, welche Stoffe ankommen, welche Vertriebskanäle besonders gut funktionieren und welche noch nicht ausgeschöpft sind." Die Marktanalysen beider Abteilungen sowie die inhaltliche Einschätzung des Lektorats führten auch zu dem Schluss, dass eine Taschenbuchausgabe mehr Potenzial hat als eine Klappenbroschur. "Ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man den richtigen Autor mit einem tollen Stoff, ergänzt durch das bestmögliche Marketing, sehr weit bringen kann", so Sünje Redies.

Für Onlinewerbung nutzt Rowohlt vor allem Facebook, Instagram und YouTube. "Besonders bei Winkelmanns neuem Titel waren wir hier sehr erfolgreich", resümiert Scheither. "Ausgangspunkt war, dass wir gemeinsam mit einer Agentur eine besondere Ansprache entwickelt haben – im Hinblick auf Menschen, die nicht in erster Linie auf der Suche nach einem Thriller sind, aber grundsätzlich Bücher, und vor allem Krimis, lesen." Zum Einsatz kamen besonders gestaltete Werbemittel: beispielsweise Carousel Ads bei Facebook, bei denen bis zu zehn Bilder oder Videos nacheinander abgespielt werden, ein 360-Grad-Bild sowie ein (ziemlich blutiges) Video.

Zur Online- kam noch eine sogenannte Out-of-Home-Kampagne mit Großflächenplakaten und Infoscreens hinzu. Mehr noch, "Winkelmanns Thriller bot Stoff für Guerilla-Marketing", so Scheither: An Laternen, Ampeln, Stromkästen klebten in einigen Großstädten Abreißzettel mit einer Wohnungsanzeige und blutigem Handabdruck.

"Walter muss weg", da ist man sich bei Kiepenheuer & Witsch einig, aber: Thomas muss rein. Gemeint ist Thomas Raab, und rein soll er ins Rampenlicht mit seinem neuen Krimi – ein Buch, von dem Lektor Jan Valk ebenso überzeugt ist wie Marketingleiterin Gaby Callenberg. Bisher war Raab mit seinen Geschichten um Möbelrestaurator Willibald Adrian Metzger besonders in Österreich sehr erfolgreich, zuletzt erschienen sie bei Droemer-Knaur. Jetzt aber geht Raab mit seiner neuen Serie um Hannelore Huber, kurz: die Huberin, nach Köln. "Die Geschichten sind Kriminalfälle, aber keine Whodunits", erklärt Callenberg. "Das Besondere sind der Dorfkosmos, die skurrilen Figuren und, wie gewohnt bei Thomas Raab, der schwarze Humor."

Los ging es mit der Zusammenarbeit zwischen Lektorat und Marketing ein Dreivierteljahr vor dem Erscheinungstermin am 7. September: "mit der gemeinsamen Entscheidung für den Wiener Autor und seine neue Serie", so Callenberg. Der Startschuss für das Marketing fiel dann im Juni mit Branchenwerbung. Im Anschluss ging ein Vorab-Leseexemplar in den Buchhandel und an die Medien – mit einem Steckbrief der Huberin.

Für die Presse wurde Schnitzel nach original österreichischen Rezepten bei drei Lunch-Terminen serviert. Zum Werbematerial gehört außerdem ein Film, in dem der Autor in die neue Serie einführt. Und ab Mitte August konnte man das Buch auf vorablesen.de bewerten.

Die laute Werbetrommel kommt damit auch bei stilleren Krimis zum Einsatz, die nicht von Action und Blutvergießen leben. Alle Kanäle werden genutzt – wobei sich die Kunst in den Feinheiten zeigt. Geht es doch darum, das Besondere an Raabs Geschichte hervorzuheben: das Regionale, Kauzige, Begrenzte – "und zugleich zu zeigen", so Valk, "wie er mit sprachlichen Mitteln diese Enge auf eigene Weise hinter sich lässt". Doch nicht nur für Raabs Krimi gilt: Eine gute Story macht noch keinen Bestseller. Dafür braucht sie eine professionelle Kamapagne.