Constanze Kleis übt sich in weihnachtlicher Vorfreude

Seht, die gute Zeit ist nah ...

6. September 2018
von Börsenblatt
Die Verlage scheinen auf philippinische Verhältnisse zu spekulieren. Dort feiert man vier Monate lang Weihnachten. Meint Kolumnistin Constanze Kleis, die sich schon mal in der Kunst der Vorfreude übt.

Dieses Jahr bricht alle Rekorde. Nicht nur, was den Tes­tosterongehalt der Weltpolitik oder die Dauerdürre anbelangt. Noch nie war schon so früh von Weihnachtsbüchern die Rede. Nicht bloß Verschwörungstheoretiker, also Menschen, die glauben, die Mondlandung sei nur vorgetäuscht, könnten da zwischen allen drei Phänomenen einen Zusammenhang sehen. Möglicherweise brauchen wir ja gerade wegen der fortlaufenden Hitze die Aussicht auf kühlere Zeiten, auf den tröstlichen Rückzug vor den Trumps dieser Welt unter den Tannenbaum? Sind wir viel lieber bei "Wünsch dir was!" als bei "So isses!"?

Auffällig ist jedenfalls, dass die neuen Bücher zum Fest sogar noch früher in den Läden sind als Lebkuchen, Christstollen und Spekulatius. Während halb Deutschland noch irgendwo am Strand oder an einem Badesee liegt, sollen wir etwa schon "Weihnachtlich backen mit weniger Kohlehydraten" (Edition Michael Fischer) oder Adventskalender unter fachlicher Anleitung basteln ("Mein DIY Adventskalender. Hyggelige Weihnacht", Lingen Verlag) oder uns von Petra Hartliebs "Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung" (DuMont) schon im September in Stimmung bringen lassen.

Überhaupt scheinen die Verlage auf philippinische Verhältnisse zu spekulieren. Dort feiert man vier Monate lang, von September bis Januar, Weihnachten. Und tatsächlich wäre die Ausweitung von Christmas auf die benachbarten Jahreszeiten ja ein enormer Absatzturbo. Man stelle sich nur vor: "Gebrauchsanweisung für Weihnachten" (Piper) als Strandlektüre! Befeuert von einem zweiten Weihnachtswunder: dass das Fest auf dem Buchmarkt nicht nur immer früher dran ist, sondern alle Jahre wieder ein so großes Thema.

Ich meine, schließlich haben die Christen seit dem Jahr 336 am 25. Dezember einen kirchlichen Feiertag auf dem Zettel, seit dem 16. Jahrhundert kommt das Christkind, seit dem 17. Jahrhundert sitzen wir unter einem kerzengeschmückten Weihnachtsbaum. Nur Sex, Krieg und Essen hatten wir vermutlich häufiger als die Gelegenheit, Christi Geburt zu feiern. Einerseits. Andererseits weiß laut einer Umfrage jeder zehnte Deutsche nicht, weshalb wir eigentlich am Heiligen Abend zusammenkommen, Geschenke austauschen und uns was Hübsches anziehen. Und vermutlich denken ebenso viele, dass es damals die Scheinwerfer des Coca-Cola-Lasters waren, die den Heiligen drei Königen (oder waren es vier?) den Weg nach Bethlehem wiesen.

Doch es sind nicht die Weihnachtsignoranten, für die der Buchmarkt unverdrossen immer neue Varianten auf das ewig gleiche Thema herausbringt. Mit Weihnachten verhält es sich im Gegenteil wie mit Fußball: Man muss schon ein großer Fan sein, um immer noch mehr wissen zu wollen und die Bereitschaft mitzubringen, sich auch vom Altbekannten noch überraschen zu lassen. An den Tischen, auf denen sich jetzt langsam schon die Weihnachtslektüre stapelt, findet sich ja außerdem auch etwas, das zunehmend seltener wird: Vorfreude. Auf Schnee im Winter, auf die perfekte Familienidylle, auf vorbildlich ent­spannte und voll achtsame Adventswochen, auf Männer, die schon seit Mai eine fantastische Geschenkidee haben und nicht erst am 24. Dezember kaufen, was beim Kaffeeröster noch übrig ist, vor allem aber natürlich auf Frieden auf Erden.

Mit ziemlicher Sicherheit wird das auch dieses Jahr wieder alles nichts werden. Aber das schöne an Weihnachtsbüchern im Spätsommer ist ja am Ende: Je früher die auf dem Markt sind, umso länger können wir von unserer Hoffnung zehren und umso später werden wir unsere Weihnachtsillusionen beerdigen.