Die Laugwitz-Debatte gewinnt zur Buchmesse an Fahrt

Aus der Spur

5. Oktober 2018
von Torsten Casimir
Die Spitze der Holtzbrinck Buchverlage wollte Barbara Laugwitz bei Rowohlt halten. Man hatte Pläne für ein friedliches Miteinander unter dem neuen Verleger Florian Illies. Aber dann, so schreibt es Macmillan-Chef John Sargent an die Belegschaft in Reinbek, "the train has come off the tracks". Vor Beginn der Buchmesse gibt es weitere Einzelheiten zu dem Unglück.

Das öffentliche Reden über Rowohlt, Barbara Laugwitz und Joerg Pfuhl schwillt vor den Messetagen weiter an:

  • Fünf Wochen nach dem rüden Rauswurf der verlegerischen Rowohlt-Geschäftsführerin beklagen viele Autoren des Hauses weiterhin einen Vertrauensbruch;
  • liegt der wahre Grund für das Zerwürfnis zwischen Laugwitz und dem CEO der Holtzbrinck-Buchverlage nach wie vor im Dunkeln;
  • hat ein Landgericht inzwischen seine Arbeit aufnehmen müssen, im heillosen Streit Recht zu sprechen;
  • werden erste Stimmen laut, die fordern, langsam möge mal Schluss sein mit dem Thema;
  • treten indes die Wörter confidential und internal bei Rowohlt in einen veränderten Funktionszusammenhang: Wenn sie über einem Dokument stehen, das im Unternehmen zirkuliert, erhöhen die beiden Wörter die Wahrscheinlichkeit, dass der Inhalt des Dokuments bald in der Zeitung steht.

Für Journalisten ist das eine komfortable Situation. Auch eine, die man in der auf unternehmerische Sprachkontrolle erpichten Buchbranche selten hat. Aber ist das ganze Theater immer noch angemessen, relevant und für irgendjemanden nützlich? Lässt sich die mediale Dauerbelichtung der Causa seriös begründen? Vor allem jene, die Barbara Laugwitz in der Schlammschlacht beistehen, meinen: ja. Auch ein nicht-parteiisches Argument wäre anzuführen. Immerhin entfalten die Geschichte und die mit ihr verbundenen Irrtümer eine gewisse Heuristik – Erkenntnisse, die aus dem Scheitern kommen. Die nächsten Top-Trennungen in der Branche, von wem und wo auch immer betrieben, dürften mit Blick auf die Frage, wieviel soziales Kapital vernichtet zu werden droht, umsichtiger ins Werk gesetzt werden. Deshalb muss worst practice genauso ausführlich erzählt werden wie best practice.

Auf Antrag des von Barbara Laugwitz mandatierten Rechtsanwalts Kai Zapfe erließ die 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin, weithin als Pressekammer bekannt, am 27. September eine einstweilige Verfügung (EV) gegen Joerg Pfuhl. Dem Holtzbrinck-Manager wird darin untersagt, weiter zu behaupten, bei der gegen Laugwitz angeblich verhängten Kontaktsperre zu Autoren und Mitarbeitern des Rowohlt-Verlags handele es sich um ein "Missverständnis".

Zapfe hatte zur Begründung seines erfolgreichen Antrags insbesondere eine E-Mail vom 28. August vorgelegt. In jener Mail macht Pfuhl Laugwitz darauf aufmerksam, was sich aus der dienstvertraglichen Weitergeltung der Verschwiegenheitspflicht im Zusammenhang mit der soeben ausgesprochenen, sofortigen Freistellung für sie ergibt. Insbesondere wird festgestellt, dass Kontakt zu Führungskräften, Mitarbeitern und Autoren nur in Absprache mit Pfuhl zulässig sei; ebenso, dass das Betreten des Rowohlt-Bungalows in Reinbek Pfuhls Zustimmung bedürfe; zudem, dass Laptop und Schlüssel abzugeben seien. Diese als vertraulich deklarierte Mail, von der jetzt zahlreiche Autoren des Hauses behaupten, sie liege ihnen vor (wie gesagt: confidential), war dem Landgericht Grund genug, die einstweilige Verfügung gegen Pfuhl ohne mündliche Verhandlung zu erlassen. Pfuhl wurde sie am 28. September, also Freitag vergangener Woche zugestellt, wovon öffentlich erst einmal niemand Kenntnis erlangte.

Kenntnis erlangte die Öffentlichkeit zunächst von einem weiteren offenen Brief der Rowohlt-Autoren, den die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung druckte. Darin wird Pfuhl harsch angegangen: Sein "Gerede vom ,Missverständnis‘" stelle für sie, die Schriftsteller, lediglich den Versuch dar, "Barbara Laugwitz weiter zu diskreditieren. Zu diesem Zweck haben Sie nicht gescheut, uns, den Autoren des Rowohlt-Verlages, ins Gesicht zu lügen." Das Aufmerken des Publikums war abermals beträchtlich. Erst am Abend des darauffolgenden Montags kam in der Redaktion des Börsenblatts per E-Mail die Pressemitteilung der Kanzlei Zapfe Legal an, mit der über die Entscheidung der Berliner Richter informiert wurde. Damit erhielt der schrille Vorwurf der Lüge, wie es scheinen musste – und scheinen sollte –, zeitnah rechtliche Unterfütterung. Eine von den Pfuhl-Anwälten bei Gericht hinterlegte Schutzschrift gegen die drohende EV hatte die Berliner Richter nicht davon abgebracht, zunächst ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

Wiederum tags drauf reagierte Rowohlt mit einer Pressemitteilung unter der Überschrift "Einstweilige Verfügung gegen Holtzbrinck-Manager nicht rechtskräftig". Nun ist eine einstweilige Verfügung tatsächlich einstweilig, also ein vorläufiger, dem Antragsteller vom Gericht gegebener Rechtsschutz, wie ihn die Zivilprozessordnung vorsieht. Dagegen kann der Antragsgegner Widerspruch einlegen, was Pfuhl umgehend tat. Noch einmal betonte er, was bereits mehrfach öffentlich zu lesen war: Die Unternehmensleitung habe "bereits vor Wochen gegenüber Frau Laugwitz deutlich gemacht, dass diese Regelung in keiner Weise als generelles Kontaktverbot mit den Autoren des Verlags gedacht war". Darüber, ergänzen andere, sei Laugwitz sowohl mündlich als auch schriftlich informiert worden. Pfuhl äußerte sich auf Anfrage zuversichtlich, die EV wieder aus der Welt zu schaffen – und damit den sehr belastenden Vorwurf der Lüge. Das Landgericht muss den Sachverhalt nun in einer mündlichen Verhandlung erneut prüfen und entscheiden.

Wenn man sich in den Holtzbrinck-Verlagen nach Einschätzungen des Vorgangs umhört, fallen Begriffe wie Inszenierung, Orchestrierung und koordinierte Kommunikation seitens der Laugwitz-Fraktion. Dass Gerichtsbeschluss und Autorenbrief rein zufällig in dieser zeitlichen Nähe und Reihenfolge bekannt wurden, glaubt keiner so recht.

Unterdessen herrscht auf dem Markt des Handels mit Versionen zu diesem außergewöhnlichen Trennungsdrama Hochbetrieb. Mal geht es dabei um Deutungshoheit, mal um Schadensbegrenzung.

Um mit letzterer zu beginnen: Anfang der Woche meldete sich John Sargent aus New York mit einem eindringlichen (selbstredend vertraulichen) Brief an alle Mitarbeiter des Rowohlt-Verlags. Der Chef der Holtzbrinck Publishing Group, dem Dach der deutschen Holtzbrinck-Buchverlage, macht in seiner Botschaft eingangs klar, welch große Stücke er auf Barbara Laugwitz halte (mit der er während ihrer Jahre als Verlegerin von Rowohlt, wie mehrere Kollegen bestätigen, eng und gut zusammengearbeitet haben soll). Im Zuge des "management change" sei es die große Hoffnung der Holtzbrinck-Führung gewesen, gemeinsam mit Pfuhl, dem designierten neuen Verleger Florian Illies und der als Verlegerin soeben abgesetzten Laugwitz zu einer Verabredung zu kommen, wie man künftig in veränderter Konstellation zusammenarbeiten könne. Andere Quellen berichten (wie alles, was man hört und hören soll, derzeit nur in "Off-Gesprächen") sogar von Details eines angeblichen Angebots an Laugwitz, von Berlin aus in Teilzeit Autoren weiterhin zu betreuen. Unüblich sind solche Vereinbarungen nicht, erst recht im Fall Laugwitz würden sie – einen gewissen Mindestfrieden unter den Beteiligten vorausgesetzt – helfen können, die Gefahr von Abwanderungen entgeisterter Autoren zu bannen. Aber an der in Parenthese genannten Voraussetzung mangelt es mittlerweile sehr.

Sargent lässt in seiner Mail dann eine Metapher folgen, die den Schaden gut beschreibt, aber nichts erklärt: "Since then, the train has come off the tracks." Schließlich tut der Top-Manager, was sein Job ist, er richtet den Blick nach vorn mit zwei Vorschlägen, die bereits Ende August eine exzellente Idee gewesen wären: "Erstens müssen wir Barbaras Leistungen feiern und würdigen, was sie über viele Jahre für Rowohlt getan hat." Er, Sargent, habe bei Laugwitz um Verzeihung dafür gebeten, wie schlecht die Dinge in den vergangenen Wochen gelaufen seien. "Und zweitens müssen wir Florian als den neuen Rowohlt-Verleger willkommen heißen." Illies verdiene "alle unsere Unterstützung" zu seinem Start.

Joerg Pfuhl, alarmiert durch die anhaltende Unruhe in Reihen der Schriftsteller, aber auch entsetzt über einige stark herabsetzende Formulierungen im jüngsten offenen Brief, ging diese Woche ebenfalls in die Offensive. In einem Schreiben an die Autorinnen und Autoren des Verlags bat er zunächst um Verständnis dafür, dass er zu der Entlassung von Barbara Laugwitz Dritten gegenüber nichts Konkretes sagen könne; es handele sich um eine Vertragsangelegenheit, "die natürlich in höchstem Maße persönlich ist". Dann versicherte Pfuhl den Autoren, dass das bewährte Prinzip der verlegerischen Unabhängigkeit von Rowohlt auch unter dem neuen Verleger Illies seitens der Holtzbrinck-Führung weiter gepflegt werde. Und er machte den Autoren das Angebot zu einem "konstruktiven Dialog" und persönlichen Gesprächen. Einige Autoren, hört man, haben Pfuhls Angebot bereits angenommen und sich gemeldet. Es wird miteinander, nicht übereinander geredet.

Die Betonung der auch in Zukunft geltenden verlegerischen Unabhängigkeit von Rowohlt schien geboten. Denn im Ringen um die Deutungshoheit des schwer zu Deutenden gibt es ein völlig anderes Erzählangebot hinsichtlich der Frage, welcher Konflikt zwischen Laugwitz und Pfuhl am Ende eine solche Kraft entfalten konnte, dass seit Wochen ein Rosenkrieg toben kann. Die Erzählung geht so: Pfuhl sei vom Eigentümer Stefan von Holtzbrinck vor zwei Jahren zum CEO der deutschen Buchverlage berufen worden mit dem Auftrag, ein traditionelles Defizit der Gruppe auszugleichen: den im Vergleich mit Random House hohen Luxus der Dezentralität. Während über Synergien bei Themen wie Herstellung, Vertrieb, Marketing schon lange geredet werde, habe Pfuhl nun die Tabuzone betreten – mit der Idee, auch die Programmgestaltung bei S. Fischer, Kiepenheuer & Witsch, Droemer-Knaur und Rowohlt zu poolen, indem er eine Art Programmkonferenz zu etablieren versuchte. Dagegen sei Laugwitz, die lieber entschlossen dealt als lang zu debattieren (beispielsweise handstreichartig und angeblich ohne Manuskriptsichtung den Enthüllungsmegaseller "Fire and Fury" bei Michael Wolffs Agenten Andrew Wylie für Reinbek eingekauft haben soll), im Board der Holtzbrinck-Buchverlage laut Sturm gelaufen. So laut, wohl auch so provozierend, bis das Fass schließlich überlief.

Mit seinem Kommentar zu dieser Variante der Geschichte lässt sich Joerg Pfuhl ohne Zögern zitieren: "Das ist kompletter Unsinn. Es gab und es gibt keinerlei Planung, innerhalb der Holtzbrinck-Gruppe eine wie auch immer koordinierte Programmarbeit oder gar einen zentralisierten Programmeinkauf herbeizuführen", versichert der CEO. Dezentrale Arbeit sei „unser historischer Wettbewerbsvorteil“ seit jeher, den werde man nicht preisgeben. Wettstreit zwischen den Verlagsstandorten Reinbek (ab Frühjahr Hamburg), Köln, Frankfurt und München in Programmfragen sei und bleibe ausdrücklich gewünscht.

Andere, die in Holtzbrincks Diensten stehen, bestätigen Pfuhl in diesem Punkt. Dass der CEO die verlegerischen Geschäftsführer mit in sein Board holte, habe allein dem Ziel eines verbesserten Austauschs und einer Beschleunigung gruppenweiter Entscheidungen gedient (bei Themen wie zum Beispiel einer EDV-Angleichung in den Häusern). An ein verlegerisches Pooling sei nie gedacht worden. Zwar gelte es bei Holtzbrinck als offenes Geheimnis, dass der Eigentümer einst mit der Idee geliebäugelt habe, nach New Yorker Vorbild alle deutschen Buchverlage der Gruppe in Berlin zusammenzuführen. Aber ernsthaft sei in der Richtung nie etwas unternommen worden, und auch für die Zukunft stehe derlei nicht zur Debatte. Diesen Kulturkampf hätten die Föderalisten gewonnen.

Für Medienanfragen bisher nicht erreichbar bleibt die weibliche Hauptfigur des Dramas, Barbara Laugwitz. In der Branche macht derweil die Runde, dass es für die Gekündigte viel persönlichen, kollegialen Zuspruch gebe. Auch und gerade von Kolleginnen. So hat sich etwa eine Verlegerin aus dem süddeutschen Raum, die Laugwitz bisher persönlich kaum kannte, spontan gemeldet und ihre Solidarität mit der Gekündigten bekundet. Doppelte Message: Melde dich, wenn du Hilfe brauchst. Und zweitens: So wäre ein Unternehmen mit einem Mann nie und nimmer umgegangen. Ein Thema läuft also weiter mit, das früh in der Debatte die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek auf die Tagesordnung gesetzt hatte mit ihrem Befund, schon wieder sei „eine Frau rausgekippt worden wie Abfall“. Vielleicht vorschnell wurde Jelineks These mit Verweis auf die verlegerischen Führungsfrauen bei Droemer, S. Fischer und demnächst KiWi für unplausibel erklärt. Es lohnt ein zweites Nachdenken: Sich für die Handhabung von Vertragsangelegenheiten unter Gender-Aspekten zu interessieren, wirft mehr ab als zunächst gedacht. Widerspenstige Männer, sagt eine Kommentatorin, "haben Charakter", widerspenstige Frauen "sind schwierig". Für den Stil im Trennungsfall scheint der Unterschied erhebliche Folgen zu haben. In seiner aktuellen Wochenendbeilage Literatur  stellt das Handelsblatt den Laugwitz-Fall denn auch in einen Zusammenhang mit der MeToo-Debatte, bleibt aber vage: "Ob Diskriminierung hinter dem Rauswurf steht, darüber lässt sich nur spekulieren."

Erste Stimmen werden nun laut, die ein Ende des medialen Interesses am Thema verlangen. Edo Reents etwa, Leiter des "FAZ"-Feuilletons, beklagte in dieser Woche, dass ein von Schwatzhaftigkeit geprägter Literaturbetrieb "den Wert der Diskretion" nicht begreife. Sein der Form nach fürsorgliches Argument lautet, dass ein seitens der Autoren "nun schon fast penetrant angemeldeter Redebedarf" der Geschassten am Ende eher noch schaden könne. Nun meint Diskretion (spätestens seit Georg Simmels kluger Beschäftigung mit dem Begriff) den Respekt vor etwas, das der andere nicht mitteilen oder mitgeteilt haben möchte. Man findet aber nach dem Reinbeker Rauswurf von Barbara Laugwitz eine Menge Anhaltspunkte dafür, dass andere sehr viel mitteilen möchten – bloß eben nicht direkt, sondern lieber über Bande oder in Form von Off-Gesprächen.

Jedenfalls wird Reents‘ Einrede voraussichtlich nicht verhindern, dass am Wochenende der SPIEGEL abermals groß mit dem Thema kommt. Die Hamburger haben noch etwas gutzumachen. Mit ihrer frühen Hochglanz-Präsentation der Personalie Illies bei gleichzeitiger Herabsetzung der abservierten Vorgängerin hatten sie viele Menschen bei Rowohlt, die von der bloßen Nachricht schon irritiert genug waren, erst recht in Rage gegen die Verlagsspitze versetzt. Im Übrigen erhöht es den Nutzwert eines Nachrichtenmagazins, kurz vor der weltgrößten Buchmesse neuen Stoff für die abendlichen Empfänge abzuliefern.

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