Eröffnungs-PK der Frankfurter Buchmesse

"Man darf einfach nicht schweigen"

9. Oktober 2018
von Matthias Glatthor
Am Vormittag wurde die 70. Frankfurter Buchmesse (10.−14. Oktober) von Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller und Messedirektor Juergen Boos eröffnet − als Gastrednerin sprach die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, die alle Zuhörer mit einem kämpferischen Vortrag in ihren Bann zog.

Die Eröffnungs-Pressekonferenz fand im neuen, bis auf den letzten Platz gefüllten neuen Frankfurt Pavilion auf der Agora im Messegelände statt (so wurde den Anwesenden ein erster Einbick gewährt; die offizielle Eröffnung des Pavilions mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier folgt am 10. Oktober). Das helle, mit Zeltplane bespannte Holzgerippe erinnerte an einen Schiffsbauch. Der Pavilion soll mit zahlreichen Veranstaltungen als "Dreh- und Angelpunkt der Messe" dienen, "den Kontakt zwischen Verlagen, Autoren und Lesern intensivieren", wie Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, ausführte. Buchmesse und Börsenverein wollen in diesem Jahr insbesondere ein Zeichen für Menschenrechte setzen, wie Boos und zuvor Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller in ihren Begrüßungen betonten − mit der Kampagne "On The Same Page" begehen sie zusammen mit Partnern das 70. Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

"Wir wollen der Diskriminierung etwas entgegenstellen", so Juergen Boos, der den Dialog propagiert. Die Frankfurter Buchmesse sei ein Ort der Freiheit, wo Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um ihre Stimme einzubringen. Aber: "Positionen, die Freiheit aufs Spiel setzen, treten wir sofort entgegen". Dafür setze sich die Buchmesse weltweit ein. Boos verwies weiter darauf, dass die Buchmesse immer mehr mit Themenfeldern arbeite, die "als Magnete fungieren" − er nennt die Gourmet Gallery, die Kids Stage, den Wissenschaftsbereich und als Beispiel für die internationale Vielfalt etwa den Afrika-Schwerpunkt (mit der Bühne "Lettres d'Afrique"). Hier sind 34 Austeller aus 19 Ländern vertreten, die Boos, der sich freut, "dass wir so etwas wieder haben", alle aufzählt. Insgesamt sei die Ausstellerzahl (7.500) um fast 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, so Boos, "getrieben vor allem durch internationale Kunden".

"Wir wollen die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen"

Zuvor hatte Heinrich Riethmüller sich dem Thema Menschenrechte und Meinungsfreiheit gewidmet, warnte vor einseitiger Stigmatisierung, die oft benutzt würde, um Menschen die Freiheit und Würde zu nehmen. Er zitierte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, und formulierte zur Ausrichtung der 70. Frankfurter Buchmesse: "Wir wollen die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen". Denn fast überall sei zu beobachten, dass die Menschenrechte verletzt werden − nicht nur in der Türkei (dort seien allerdings die meisten Kultur- und Medienschaffenden weltweit inhaftiert). Riethmüller forderte, dass alle inhaftierten Autoren, Journalisten, Verleger, Kulturschaffenden und anderen politisch Gefangenen in der Türkei – und weltweit – umgehend freigelassen werden. "Die Verfolgung von kritischen Stimmen und Andersdenkenden muss ein Ende haben.“ Die Buchbranche wolle für friedliches Zusammenleben im großen Maßstab werben. "Sie werden dem Thema Menschenrechte jeden Tag auf der Frankfurter Buchmesse begegnen", so Riethmüller.

Ein weiterer Aspekt seiner Rede war die Käuferstudie und die Reaktionen darauf in der Buchbranche. In der Buchbranche sei derzeit eine Art Aufbruchsstimmung zu verspüren, so Riethmüller: "Ob kleine oder große Buchhandlung, Publikums- oder Fachverlag, die Branche arbeitet in allen Bereichen daran, das Buch wieder stärker zu den Menschen zu bringen, ihnen mehr Kontaktpunkte zu Büchern und mehr Orientierung zu bieten." Der Markt 2018 liege aktuell einschließlich September mit  minus 1,1 Prozent leicht unter dem Vorjahr. Man sei aber optimistisch, durch ein gutes Herbst- und Weihnachtsgeschäft noch ein ausgeglichenes Jahresergebnis zu erreichen.

"Man darf einfach nicht schweigen"

Höhepunkt der Veranstaltung war die kämpferische Rede der charismatischen, nigerianischen Autorin und Feministin (2012 erschien ihr "We should All be Feminists") Chimamanda Ngozi Adichie, die zwischen den USA und ihrem Heimatland hin und her pendelt − das zeigte auch das Blitzlichtgewitter danach. Sie schilderte wie sie Diskriminierung persönlich als Frau (am Beispiel ihrer früheren Kirche in Nigeria, wo ihr der Zutritt wegen zu kurzer Ärmel verwehrt wurde) und wegen ihrer Hautfarbe erfahren hat ("in Amerika wurde ich etwas Neues − ich wurde schwarz"). "Man darf einfach nicht schweigen", begründete sie ihren unermüdlichen Einsatz für die Gleichstellung der Frauen. In einer Gesellschaft zu leben, in der alle gleich sind, sei ein Gewinn. Die Welt werde jedoch derzeit immer dunkler, das mächtigste Land der Welt sei in Dunkelheit, dem müsse man entgegentreten, zeigen was eine Lüge ist. Dafür sei Mut erforderlich. "Wir brauchen mehr Geschichten, die offenkundig politisch sind", so die preisgkrönte Autorin. Frauen seien immer noch unsichtbar, es sei an der Zeit hervorzutreten, so der Appell der Autorin − die auch sagte: "Literatur ist meine Religion", ihr Mittel, um für ihre Überzeugungen zu kämpfen. "Literatur ist wichtig. Ich lese, um an Schönheit und Leiden erinnert zu werden", fährt sie fort. Lektüre biete insofern nützliche Lektionen. Adichie verabschiedete sich unter stürmischem Beifall − um gleich zum Frankfurter Flughafen zu eilen und nach London zu fliegen. Dort wird sie heute Abend mit dem PEN Pinter Prize 2018 ausgezeichnet.

Die Frankfurter Buchmesse findet vom 10. bis 14. Oktober statt, an den ersten drei Tagen ist sie für Fachbesucher geöffnet, am Samstag und Sonntag dann auch für das allgemeine Publikum. Heinrich Riethmüller lud ein, viele spannende Geschichten in Büchern und aus der Branche zu entdecken.