Bundespräsident eröffnet Frankfurt Pavilion

Identität im Übergang

10. Oktober 2018
von Börsenblatt
Ein Ort der Debatte und der Gesprächskultur – das soll der Frankfurt Pavilion sein, das neue Wahrzeichen der Frankfurter Buchmesse. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam zur Eröffnung und diskutierte mit der Autorin Ivana Sajko (Kroatien) und dem Schriftsteller Stefan Hertmans (Belgien).      

Was beschäftigt einen Bundespräsidenten heute am meisten? Für Frank-Walter Steinmeier ist es der ambivalente Zustand von Demokratie und Gesellschaft, ist es das Verblassen der Werte, auf die sich unser freiheitliches Gemeinwesen stützt - und ist es die steigende Faszination des Autoritären in Europa.

Das Staatsoberhaupt, das zur Eröffnung des neuen Frankfurt Pavilion gekommen war, um mit dem Schriftsteller und Lyriker Stefan Hertmans (Belgien) und der Autorin und Theaterregisseurin Ivana Sajko (Kroatien) über die "Verteidigung der Freiheit in turbulenten Zeiten" zu diskutieren, outete sich zunächst als Messe-"Methusalem", der schon als Student in den 70er Jahren zur Buchmesse gepilgert sei. Diese habe "nichts von ihrem Reiz und ihrer Notwendigkeit" verloren.

Ein dringendes Anliegen ist es Steinmeier, den "Dialog über den Zustand von Demokratie und Gesellschaft wieder zustande zu bringen". Das ist gerade im 70. Jahr der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte unverzichtbar. Diese Erklärung sei ein Referenzpunkt, auf den man sich immer beziehen müsse - gerade im Austausch mit autoritären Systemen. Der Bundespräsident erinnerte hier an seine jüngste Begegnung mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. "Ein Leben frei von Furcht, gleiche Würde und gleiche Rechte für alle" – dies sei auch eine Lehre aus dem beispiellosen Zivilisationsbruch, den Deutschland im 20. Jahrhundert begangen habe. Dabei stünden die Menschenrechte immer in einem Spannungsverhältnis zwischen "Sollensnorm und Istzustand". Journalistenmorde in Europa zeigten, wie bedroht die Pressefreiheit sei. 

Für Ivana Sajko muss der gesellschaftliche Dialog bei den Menschen ansetzen, bei ihren Ängsten und Enttäuschungen. "Die Literatur gibt diesen Geschichten eine Stimme", so Sajko. Sie kann aber ebenso zeigen, was geschieht, wenn Tabus gebrochen und Menschenrechte verletzt werden.

Von der Konfrontation zur Begegnungskultur

Stefan Hertmans, dessen Fluchtgeschichte "Die Fremde" 2017 erschienen ist, attestiert Europa eine paradoxe, ambivalente Verfassung. Einerseits wolle man Europa verteidigen, andererseits trete man aber die Aufklärung mit Füßen. Europa hadere mit seiner Identität: Während Populisten den "Rückzug in feste Identitäten" predigten, nähmen Menschen an vielen Stellen in Europa eine Übergangsidentität an. Man wisse aber noch nicht, wie Europa aussehen möchte. Wichtig sei es, den Weg aus der Konfrontation in eine Begegnungskultur zu finden.

Angst vor einer zu hohen Veränderungsgeschwindigkeit verunsichert viele Menschen in Europa. Literatur könne diese Veränderungsprozesse thematisieren, das Misstrauen der Menschen in die Institutionen artikulieren (das besonders in Osteuropa groß ist), so Sajko. Literatur habe die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen, die sonst nicht gehört würden. Politik hingegen müsse generalisieren, meinte Steinmeier.

Der Bundespräsident warnte davor, angesichts des Bedrohungsszenarios ("Da weht eine neue Faszination des Autoritären") den Blick auf die Realität zu verlieren. Es gebe eine Normalität, die sich nicht täglich in den Medien abbilde. Hunderttausende von Ehrenamtlichen sorgten dafür, dass die meisten Menschen gern in Deutschland leben. Und obwohl viele Menschen über Europa schimpften, wollten sie nicht in einem anderen Europa leben.