Deniz Yücel auf der Frankfurter Buchmesse

"Die Solidarität hat mir Kraft gegeben"

12. Oktober 2018
von Börsenblatt
Minutenlanger Applaus für Deniz Yücel: Der "Welt"-Journalist, der ein Jahr lang wegen angeblicher "Terrorpropaganda" in der Türkei in Untersuchungshaft saß, war am Freitag auf der Buchmesse zu Gast. Der Frankfurt Pavilion auf der Agora musste zwischenzeitlich wegen Überfüllung geschlossen werden – weil so viele Besucher kamen, um Yücel zu sehen und mit ihrem Beifall auch seine Freiheit zu feiern.

"Ich bin froh, dass Du heute leibhaftig hier bei uns sitzt": Moderatorin Eva Kücük sprach aus, was viele dachten. Yücel, deutscher Staatsbürger, war im Februar 2018 nach zähem diplomatischen Ringen freigekommen. Den Zuhörern auf der Buchmesse lieferte er zunächst ein Update zum  Gerichtsverfahren, das in der Türkei gegen ihn anhängig ist. Ein ganzes Jahr habe er allein auf seine Anklageschrift warten müssen – der am Ende nur acht längst erschienene Artikel aus der "Welt" und eine Telefonliste mit Verbindungsdaten angefügt worden seien. Im Dezember soll der Prozess fortgesetzt werden.

Wegen seiner politisch motivierten Verhaftung hat Yücel, zusammen mit mehreren anderen betroffenen Kollegen, ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt (mehr dazu hier). Doch die Mühlen der Justiz mahlen offenbar auch hier langsam: Erst in zwei Fällen gebe es ein Urteil, kritisierte Yücel.

"Die Türkei wirft dem Ausland Zückerchen hin"

Dass sich viele in Deutschland mit der Kampagne #FreeDeniz für ihn eingesetzt haben, darunter Menschen, die ihn gar nicht kennen – dafür bedankte sich Yücel in Frankfurt: "So viele haben sich solidarisch erklärt, das hat mir riesige Kraft gegeben."

Sein Rat an alle, die sich für  verfolgte Journalisten und Autoren einsetzen wollen: "Das wichtigste, noch vor Appellen an die Bundesregierung: Helfen Sie mit, dass diese Menschen nicht vergessen werden. Schreiben Sie Briefe, lesen Sie ihre Bücher." Besonders ans Herz legte Yücel dem Publikum "Ich werde die Welt nie wiedersehen" von Ahmet Altan, in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Buch enthält Texte aus dem Gefängnis.

Ob Asli Erdogan oder Deniz Yücel: In der jüngsten Zeit hat die Türkei einige inhaftierte Autoren mit bekannterem Namen freigelassen. Yücel sieht dabei durchaus einen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage des Landes: "Man will das Thema gerne abräumen. Dafür wirft man dem Ausland Zückerchen hin."

Das sei zwar grundsätzlich positiv zu bewerten – doch die grundsätzliche Gefahr für die Meinungsfreiheit sei damit noch lange nicht aufgehoben, warnte Yücel: "Jeder riskiert, in der Türkei inhaftiert zu werden, selbst wenn er aus Deutschland Kritisches auf Facebook postet", so Yücel in Anspielung auf den aktuellen Fall eines Hamburger EDV-Ingenieurs.  

Letztlich, so Yücels Sorge, werde Staatspräsident Erdogan zu immer härteren Maßnahmen greifen müssen, um an der Macht zu bleiben: "Er weiß: Wenn ihm das nicht gelingt, dann winkt ihm kein ruhiger Lebensabend irgendwo am Mittelmeer, sondern der Ort, an dem ich in Isolationshaft war. In der Türkei ist schon viel kaputt gemacht worden – und es wird noch mehr kaputt gehen, bis diese Gangster endlich verschwinden."

"Jedes einzelne Schicksal zählt"

Mit Yücel auf dem Podium: Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, der sich seit Jahren mit der Kampagne "Für das Wort und die Freiheit" für verfolgte Autoren stark macht und auch die Aktion #FreeDeniz unterstützt hat. "Jedes einzelne Schicksal zählt", machte Skipis deutlich: "Von inhaftierten Autoren hören wir immer wieder: Vergesst uns nicht, erinnert an uns."

2016, als sich Deutschland als Ehrengast der Istanbuler Buchmesse präsentierte, organisierte der Börsenverein zum Beispiel eine Mahnwache vor dem Gefängnis, in dem die Autorin Asli Erdogan einsaß, die inzwischen im Frankfurter Exil lebt.

Er hätte sich gewünscht, so Skipis, dass von den vielen deutschen Verlegern damals in Istanbul mehr als nur drei zur Mahnwache gekommen wären. Zivilcourage sei jetzt gefragt: "Es darf keine Ruhe einkehren. Wenn Menschenrechte verletzt werden, müssen wir die Stimme erheben." Zum einen, weil es ohne Meinungs- und Publikationsfreiheit auch keine Buchbranche gebe, zum anderen, weil der Börsenverein durch seine Zusammenarbeit mit dem NS-Regime auch eine historische Verantwortung trage.

Gibt es einen konkreten Hebel, um die aktuelle Lage in der Türkei zu verändern? Deniz Yücels Antwort fiel dabei klar aus: Wirtschaftlicher Druck, der jedoch ausbleibe. "Unterschriften aller Literaturnobelpreisträger der letzten Jahrzehnte haben weniger Wirkung als eine sanfter formulierte Protestanzeige, geschaltet von Siemens, Bosch oder Boss."

Zu stürzen sei Erdogans Regime zwar sicher nicht von außen – aber es dürfe zumindest nicht aufgrund wirtschaftlicher Interessen in Deutschland gestützt werden.