Über denn Sinn von Arbeit als Selbstzweck

Überflüssig

8. November 2018
von Börsenblatt
Statt die wichtigen Berufe anständig zu entlohnen, erschafft die Wirtschaft immer öfter sinnlose Verwaltungstätigkeiten. Diese "Bullshit-Jobs" knöpft sich Bestsellerautor David Graeber in seinem neuen Buch vor.

Krankenschwestern, Müllmänner, Automechaniker – was würde passieren, wenn es sie von heute auf morgen nicht mehr gäbe? David Graeber hat keine Zweifel: "Die Folgen wären sofort spürbar und katastrophal."

Trotzdem verdient man in diesen Berufen vergleichsweise wenig. Anders als die Heerscharen an Private-Equity-Managern, Lobbyisten, Public-Relations-Forschern, Versicherungsfachleuten oder Rechtsberatern, deren Beitrag zu einer funk­tionierenden Gesellschaft eher überschaubar ist. "Offensichtlich gilt die Regel, dass eine Arbeit umso schlechter bezahlt wird, je offensichtlicher sie anderen Menschen nützt", folgert Graeber scharfzüngig in seinem Buch "Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit" (Klett-Cotta, 464 S., 26 Euro).

Ein Bullshit-Job ist laut Graeber "eine Form der Beschäftigung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder schädlich ist, dass selbst der Beschäftigte ihre Existenz nicht rechtfertigen kann". Berufe ohne Daseinsberechtigung, die nur der Adminis­tration dienen, erschaffen von einer globalen Elite, um die Macht des Finanzkapitals aufrechtzuerhalten.

Nach dem Vorwort könnte man das Buch zuklappen und Graeber als Verschwörungstheoretiker abtun. Doch wer ihn kennt, weiß, dass der Anthropologe und Anarchist seine Gedanken glücklicherweise fundiert und behutsam auffächert.

Der Ursprung der von ihm kritisierten "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" liegt in mehreren Irrtümern, die im Lauf der Jahrhunderte entstanden sind: Etwa, dass "bezahlte Arbeit für das Werden eines erwachsenen Menschen unentbehrlich sei" oder dass "man die Zeit anderer Menschen kaufen könne".

Beim Stand der heutigen Automatisierung müsste niemand mehr Vollzeit arbeiten, so Graeber. Wenige Stunden pro Tag würden reichen, so wie es einst John Maynard Keynes im Angesicht des technischen Fortschritts vorausgesagt hatte. Doch wir arbeiten immer mehr, zumindest wirkt es so. In Wahrheit geht ein Großteil der Zeit dafür drauf, "zu organisieren, an Motiva­tionsseminaren teilzunehmen, Facebook-Profile zu aktualisieren oder Fernsehserien herunterzuladen", meint Graeber.

Zugleich kürzen Konzerne Stellen meist genau dort, wo Menschen "tatsächlich Dinge herstellen, transportieren, reparieren". Entstehen neue Positio­nen, dann nur Bullshit-Jobs, vor allem im Personalwesen oder bei endlosen Subunternehmer-Ketten. Graeber liefert haarsträubende Beispiele aus der angewandten Bullshit-Realität, wie jenes von der Bundeswehr, wo der Umzug eines Mitarbeiters in ein anderes Büro einen Rattenschwanz an Dienstleis­terstunden, Formularen und Kosten nach sich zieht. Dabei könnte der Soldat seinen Computer einfach selbst ausstöpseln und zwei Türen weiter tragen.

Vorgänge wie dieser entwürdigen alle Beteiligten, glaubt Graeber, der sich auch selbst kritisch hinterfragt: Wofür braucht man einen Anthropologen? Mit seinem Buch will er eine Debatte anstoßen. "Wir sind zu einer Zivilisation geworden, die auf Arbeit basiert – und zwar nicht einmal auf produktiver Arbeit, sondern auf Arbeit als Selbstzweck und Sinnträger. (...) Insbesondere in Europa und Nordamerika führen Heerscharen von Menschen während ihres ganzen Berufslebens Tätigkeiten aus, von denen sie insgeheim glauben, dass sie nicht ausgeführt werden müssten. Aus dieser Situation erwächst ein weitreichender moralischer und geistiger Schaden. Er ist eine Narbe, die sich quer über unsere kollektive Seele zieht."