Kommentar von Torsten Casimir zum Umbau bei Random House

Verleger in Verlegenheit

8. November 2018
von Börsenblatt
Die Demission von Frank Sambeth bei Random House überrascht alle. Man dachte, mit dem Ausscheiden der Vertriebsgeschäftsführerin Annette Beetz vor wenigen Tagen sei zur wirtschaftlichen Misere der Verlagsgruppe die Schuldfrage, zumindest symbolisch und vorläufig, geklärt worden. Aber ein Teil zwei folgte heute Mittag. Spektakulär genug, um mal von einer breaking news zu sprechen.

Das Spiel "Wir vertreiben den Vertriebler" spielt die Buchbranche derzeit mit besonderer Hingabe. Das verwundert kaum, in einem Jahr wachsender Verhaltensunsicherheiten und gruseliger Excel-Tabellen: Wenn es schlecht läuft, liegt das an Vertrieb und Marketing. Also an der Marktseite eines Unternehmens, während die Produktseite, die Lektorate und Programmleitungen, öffentlich kaum in der Kritik stehen. Der Abgang des CEO zeigt nun aber: In München (und New York und Gütersloh) greift die Analyse tiefer.

Die Ära Sambeth steht nach außen für digitale Transformation, Innovation, Prozessverbesserungen, (branchen-)politisches Engagement und den massiven Umbau der Architektur in der größten deutschen Publikumsverlagsgruppe. Die sechs Jahre unter seiner Führung stehen jedoch nicht für eine intellektuelle Repräsentation des Hauses oder eine markante Teilnahme an den wichtigen gesellschaftlichen Debatten. Das war zu Zeiten des Vorgängers Joerg Pfuhl nicht anders, aber anders waren damals die organisatorischen Verhältnisse in der Führungsspitze des Unternehmens: drei Geschäftsführer mit jeweils spezifischen Verantwortlichkeiten, ein Verleger, eine Verkäuferin, ein Kaufmann. Random House heute mit seinen 45 Verlagen wurde bis eben von einer Crew aus vier(!) verlegerischen Geschäftsführern, einem Finanzchef, einer Vertriebschefin und dem CEO präsidiert. Das ist Handballmannschaftsstärke.

Die Konstruktion hatte nicht nur Vorteile. Unter den Verlegern und Verlegerinnen entwickelte sich Wettbewerb bis hinein in die Abgrenzung der Produktportfolios. Insider spötteln schon mal über MeToo-Produkte aus den eigenen Wortwerkstätten. Die Konkurrenz erzeugte neben reichlich Dynamik auch recht unterschiedliche Erfolgsbilanzen. Prima steht der Bereich Goldmann da, weniger prima Heyne, noch weniger prima Blanvalet. Nach allem, was aus gelegentlichen Gesprächen mit Münchnern zu hören ist, haperte es in jüngerer Zeit vor allem an einem klugen Ineinandergreifen verlegerischer Produktion und ihrer Vermarktung.

Diese Schwäche wird der neue CEO Thomas Rathnow beheben müssen. Allerdings fehlt ihm an Tag 1 als Vorsitzendem der jetzt etwas kleineren Geschäftsführung die Vertriebs- und Marketingexpertise an Bord. Insofern bergen die jüngsten Revirements kein so kleines fachliches Risiko. Ohne eine gut ausgetüftelte Produkt-Markt-Strategie, ohne engen Dialog zwischen den Funktionsbereichen, ohne eine Kultur ehrlichen, kollegialen Streitens werden noch so ambitionierte Verleger und noch so virtuose Vermarkter Mühe haben voranzukommen.

Auch das Thema Innovation und Investition in Technologie muss in München an Tempo gewinnen. Womöglich rächt es sich – wie andernorts auch –, dass die Zeiten größeren Wohlstands nicht entschieden genug dazu genutzt wurden, verfügbare Mittel für die Zukunftssicherung aufzuwenden. Rathnow, der studierte Germanist, Amerikanist, Soziologe und gelernte Feuilleton-Redakteur, wird sich hier ebenfalls rasch Fachleute hinzuholen müssen.

Interessant liest sich die Begründung von Markus Dohle, dem Chairman Penguin Random House und Bertelsmann-Vorstand: Dohle betont, Verlage würden ihre Zukunft am besten meistern, wenn sie sich klar "auf ihre Kernkompetenz konzentrieren, um die besten Autoren und Geschichten mit immer mehr Lesern zu verbinden". Das brauche Leidenschaft und "intellektuelle Schärfe", die er, Dohle, an Rathnow besonders schätze.

Deutschlands größter Produzent von Belletristik und Sachbuch setzt also wieder auf die guten alten Tugenden des Verlegens. Das beeindruckt und erfreut. Denn es stimmt ja auch. Aber Dohles Diagnose ist eben nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte: Metadaten, gute digitale Prozesse, zielgruppengenaues Marketing. Und wieder zunehmende Wertschätzung des unabhängigen Sortimentsbuchhandels, der die Bücher sichtbar hält wie kein zweiter Vertriebskanal. Wenn sie denn gut gemacht sind und nicht verwechselbar.


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