Wie Verlage das Umsatzplus der unabhängigen Buchhandlungen sehen

Geburtshelfer

22. November 2018
von Börsenblatt
Unabhängige Buchhändler helfen den Novitäten in die Welt. Und fahren aktuell ein Umsatzplus ein – anders als die Filialisten. Hat der Lauf der "Indies" Folgen für Marketing und Vertrieb der Verlage? Sollte er welche haben? Einschätzungen.

In einem Interview über Vorteile des Lesens hat die Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg soeben behauptet, ein Buch ohne Leser sei gar keins. Erst durch seine Leser fange es überhaupt an zu leben. Wenn das stimmt, wären Buchhändlerinnen gleichsam die Hebammen, die mit ihrer mäeutischen Kunst ein Buch und seine Geschichte zur Welt, sprich: zum Leser bringen. Welch schöne Vorstellung – die Buchhandlung als Kreißsaal des Leselebens.

Marktforscher aus Baden-Baden, nennen wir sie Birth Control, belegen uns, dass es im Geschäft des Zusammenbringens von Büchern und denen, die sie lesen wollen, enorme Unterschiede gibt. Allen voran der unabhängige Sortimentsbuchhandel verkauft famos. Aber was bekommt er dafür? Begründet seine besondere Leistung eine Vorzugsbehandlung durch die Verlage? Für welche Teile eines Programms sind den Verlagen die »Indies« noch der wichtigste Handelspartner? Welche Unterstützung lassen sie ihnen zukommen? Wie fließen Informationen über die Bücher? Lässt man die Kleinen in Ruhe mit den Unmengen an kopierter, austauschbarer, entbehrlicher Produktion? Verschont man sie mit dem hundertsten Katzentitel oder Hundeschmöker? Entpflichtet man sie vom Einkauf der x-ten Novität, deren Cover eine Frau in Lang, auf ein Schloss zugehend, zeigt?

Wir haben Vertriebsprofis gefragt, wie sie ihr Verhältnis zum inhabergeführten Buchhandel sehen. Wie es scheint, läuft die Geschichte in den meisten Fällen immer noch auf eine Lovestory hinaus, höchst individuell, kein Genre für "me too".

Das sind die Zahlen von Media Control
+ 0,5 %

Das ist die Umsatzbilanz der unabhängigen Sortimente für die Zeit vom 1. Januar bis zum 28. Oktober (Sonderauswertung von Media Control).

– 5,2 %

So schneiden die Filialisten im Vergleich zum ­Vorjahreszeitraum ab.

+ 0,3 %

melden die Indies bei der Belletristik, dem steht ein Minus von 4,7 Prozent bei den Filialisten gegenüber.

+ 2,9 %

nahmen die unabhängigen Sortimente mit Kinder- und Jugendbüchern ein. Bei den Filialisten ging der Umsatz mit dieser Warengruppe um 2,9 Prozent zurück.

Platz 1

der Indie-Bestseller belegt im Oktober "Mittagsstunde" von Dörte Hansen (Penguin), bei den Filialisten führt Helmut Köhlers "Bürgerliches Gesetzbuch" (dtv) die Top 10 an. Fazit aus den beiden Charts: Unabhängige Sortimente verkaufen mehr Belletristik und mehr Hardcover.

Alle Zahlen finden Sie hier, die Top 10 hier.

Sabine Bischoff, Geschäftsführerin Vertrieb und Marketing, S. Fischer Verlage

"Mich haben die Zahlen von Media Control beeindruckt, aber nicht überrascht, sondern in unseren Beobachtungen bestätigt. Für die guten Daten aus dem unabhängigen Sortiment gibt es mehrere Erklärungen.

Bei der Frequenzschwäche in den Innenstädten gewinnen im Wettbewerb diejenigen Händler, die Stammkunden haben und es schaffen, diese an sich zu binden. Da leisten viele kleinere Sortimenter allerbeste Arbeit. Sie haben in den letzten Jahren enorm in die Kundenbindung investiert. Auch Filialisten beraten ihre Kunden professionell und leidenschaftlich, aber aus strukturellen Gründen schaffen große Händler das nicht in der gleichen Individualität.

Die Marktforschung zeigt denn auch, dass insbesondere höherpreisige, beratungsintensive Bücher von den kleinen und mittleren Händlern besser verkauft werden als von den Filialisten. Diese vielen Buchhandlungen da draußen haben den Vorteil, dass sie aus der Perspektive ihrer Kunden für etwas stehen: dass sie vor Ort als literarische Buchhändler eine Marke sind. Und sie haben unschlagbar gute Personenkenntnis über ihr Publikum und können deshalb auch sehr persönlich empfehlen.

Was unsere eigenen Zahlen angeht, haben wir bei den Fi­lialisten die höchsten Marktanteile im Bestsellergeschäft. Der kleinere, unabhängige Buchhandel zeigt seine Stärke dagegen bei den literarischen, besonderen, auch höherpreisigen Titeln. Da spielt das klassische 'Lieblingsbuch der Buchhändler' wirklich noch eine entscheidende Rolle. Sie entdecken Titel für sich und empfehlen die dann auch, unabhängig vom Marketing der Verlage. Bei solchen Titeln liegt der Marktanteil des unabhängigen Sortiments zum Teil durchaus um zehn Prozent höher als bei den Großen.

Unsere Vertreter besuchen den Handel nach wie vor flächendeckend, sie sind in vielen kleinen und mittleren Buchhandlungen seit vielen Jahren persönlich bekannt. Auf dieser Basis wächst Vertrauen, und dann lassen sich individuell zugeschnittene Verabredun­gen treffen. Gerade in diesem Jahr beschäftigen wir uns wieder sehr intensiv und ausführlich damit, weitere Konzepte zu entwickeln. Hierbei sollen die Unabhängigen nicht nur möglichst viel von uns einkaufen, sondern möglichst das für sie Richtige. Dabei können wir ihnen helfen. Allein mit den Großen würden wir Verlage nicht überleben."

Andreas Horn, Marketing- und Vertriebsleitung Westend Verlag 
 
"Generell funktioniert der aktive Verkaufsprozess bei den Indies anders, die bevorzugt auch komplexere Themen einkaufen und diese in Beratungsgesprächen zu vermitteln versuchen. Filialisten ordern oft klare Genretitel, und Stapelware muss von ­allein funktionieren. Heute kommen ja Kunden häufiger mit sehr konkreten Buch- und Titelwünschen in den Laden, was zu einem veränderten Orderverhalten geführt hat: Der klassische Reiseauftrag ist kleiner geworden, es gibt eine große Vorsicht beim Titeleinkauf, weil man erst einmal schaut, was der Kunde will. Wenn man aber nicht schon die Themen offensiv anbietet, weiß der Kunde natürlich auch nicht, worauf er neugierig werden kann.

'Schnauze, Alexa!', unser Amazon-Buch, wird von den Indies sehr gut angenommen, während sie beim politischen Sachbuch zögerlicher sind – die meisten Buchhändlerinnen mögen lieber Belletris­tik."

Reinhold Joppich, heute Vertriebsleiter beim Secession Verlag, früher lange Vertriebschef von Kiepenheuer & Witsch  

"Für mich sind die Media-Control-Ergebnisse, dass die unabhängigen Sortimente besser abschneiden als die Filialisten, nicht verwunderlich. Letztlich muss der Verkauf eines Buchs immer intensiv vor Ort betreut werden, und das können inhabergeführte Buchhandlungen nun mal gut. Ich erinnere mich aus meinen KiWi-Zeiten daran, dass kleinere Buchhandlungen einen anspruchsvolleren Titel je 50 Mal verkauft haben, während ich von einem Filialisten von 3.000 Exemplaren 2.900 wieder zurückbekommen habe.

Mein Vorschlag wäre ja, 50 Prozent der Werbekostenzuschüsse, die wir an Filialis­ten zahlen, in WKZ für kleinere und mittlere Buchhandlungen umzuwandeln. Wir brauchen generell sympathischere Konditionenmodelle für Indies. Beim Secession Verlag wollen wir jetzt den Kontakt zum inhabergeführten Buchhandel intensivieren – auch, indem wir die Indies in bestimmten Regio­nen zu abendlichen Treffen einladen und unseren Verlag vorstellen."

Urban van Melis, kaufmännischer Geschäftsführer des Ravensburger Buchverlags

"Welcher Titel wo läuft, hängt am Ende doch vom ­Engagement der einzelnen Buchhändlerin ab: Es gibt wunderbare Sortimenterin­nen in kleineren Buchhandlungen, und es gibt auch tolle Zentral­einkäuferinnen, die Mut für ungewöhnlichere ­Titel zeigen. Tendenziell gehen All-Age-­Titel mehr bei den Filialisten und literarische Titel über­proportional bei den Indies. Bei Werbemaßnahmen achten wir sehr darauf, was für welche Betriebsgröße passt. Gerade bei unserem 'Wieso? Weshalb? Warum?'-Jubiläum haben wir beispielsweise viele Ak­tionen mit Blick auf die un­abhängigen Buchhandlungen konzipiert."

Thilo Schmid, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing bei der Verlagsgruppe Oetinger

"Nach rund 500 Schließungen und dem Verlust von mehr als 100.000 Quadratmetern Buchverkaufsfläche vor allem bei Filialisten nehme ich ein erfreuliches (Wieder-)Erstarken der unabhängigen Buchhandlungen wahr, das ist auch das Ergebnis meiner letzten Storecheck-Tour. Ich erlebe Buchhändler, die sich nicht länger vom Zeitgeist treiben lassen, sondern ihn in ihrer Region mit viel Engagement prägen. Und damit erfolgreich sind. Gleichzeitig sehe ich aber, wie sich auch die Filialisten neu erfinden und nach vielerlei Optimierungen wieder persönlicher werden.

Die Media-Control-Auswertungen überraschen mich nicht. Wir sehen, dass es bei beiden Vertriebskanälen Stärken und Schwächen gibt – und auch, dass es Bücher gibt, die der eine mit seiner jeweiligen Klaviatur anders 'spielen' kann als der andere. Im Moment sehe ich aber eine erfreuliche Steigerung bei beiden Kanälen. Aus meiner Sicht sind unsere Vertreter maßgeblich an der positiven Entwicklung beteiligt, sie sind die Schnittstellen- und Informationsmanager, die die Buchhandlungen und ihre Bedürfnisse und Erwartungen bestens kennen. Wir kommunizieren aber auch deutlich, wo wir Unterstützung benötigen und wo wir Potenziale ausgemacht haben, die noch zu heben sind.

Wir schauen gemeinsam, wie wir Zielgruppen erreichen können, und bieten Marketingmaßnahmen für den unabhängigen Buchhandel, etwa ein individualisierbares Shop-in-Shop-Modell oder das neue Schwedenhaus für Pappen und Bilderbücher. Und wir versuchen mit Aktio­nen wie dem Frequenzaward und der Leseratten-Aktion mit der LG Buch, kleine Beiträge zum Gesamtbild der Unabhängigen zu leisten."

Imke Schuster, Vertriebs- und Marketingleitung, DuMont

"Ich habe nie daran geglaubt, dass das unabhängige Sortiment an Relevanz verliert. In den vergangenen Jahren hat sich im Sortimentsbuchhandel viel getan. Es gab viel Aufbruch, Erneuerung, auch Neugründungen. In den Läden wird hoch engagiert und professionell gearbeitet. Wir sehen eine Menge guter Ideen bei den Unabhängigen, wie sie ihre Kunden am besten erreichen und ansprechen.

Was mich noch mehr als die Umsatzzahlen von Media Control beeindruckt, ist die Liste der Jahres-Top-Ten im Vergleich Unabhängige zu Filialisten. Die ergibt schon ein starkes Bild bei den kleineren Händlern: der hohe Hard­cover-Belletristik-Anteil, die im Schnitt höheren Preise. Solche Listen hätte ich gern regelmäßig.

Wir bei DuMont kooperieren sehr eng mit dem unabhängigen Sortiment. Ich habe selbst 20 Jahre im Buchhandel gearbeitet. Mein Ansatz bei DuMont war von Anfang an: Ich mache jetzt im Verlag mal das, was ich als Buchhändlerin immer gut gefunden habe – und ich lasse das, was mich als Buchhändlerin immer gestört hat. So produzieren wir Werbemittel nur noch für unsere großen Autoren Murakami und Houelle­becq. Wenn Buchhändlerinnen sich melden und von anderen Büchern des Verlags begeistert sind, bieten wir ihnen individualisierbare Plakate an. Das bedeutet zwar kleinteilige Arbeit, aber weil sie mit Gesprächen verbunden ist, wirkt sie nachhaltig.

Überhaupt Gespräche! Ich glaube, da haben wir ein großes Thema für unsere Branche. Wir müssen mehr miteinander als übereinander reden. Verlage und Buchhandlungen wissen immer noch erschreckend wenig voneinander. Wenn wir Buchhändlerinnen nach ihrer Meinung zu unseren Titeln fragen, dann kommt häufig die Reaktion: »Ach wie schön, das interessiert Sie wirklich, was wir über Ihre Bücher denken!?« Jeder und jede, die uns etwas über eins unserer Bücher schreibt, bekommt eine persönliche Rückmeldung. Das gilt natürlich auch für alle, die bei den Filialisten auf der Fläche stehen und verkaufen. Das sind genauso tolle, engagierte Kolleginnen.

Wir haben in den vergangenen Jahren unseren Umsatzanteil im unabhängigen Sortimentsbuchhandel leicht ausgebaut. Er ist einer unserer wichtigsten Vertriebspartner."

Joachim Rau, Vertriebsleiter Gräfe und Unzer 
 
"Dass sich unabhängige Buchhandlungen besser entwickeln als Filialisten, kann ich nicht bestätigen – nicht für unsere Segmente: Reise und Ratgeber. Die Lage ist über alle Betriebsgrößen hinweg in etwa ähnlich, was die Umsätze und die gefragten Themen angeht. Klar würden wir gern mehr mit den Unabhängigen machen, kommen ihnen aus meiner Sicht da auch entgegen: Seit 2015 gibt es ein Partnerprogramm inklusive Category Management, das verlagsübergreifend ausgerichtet ist und auch Backlist-Titel berücksichtigt – bis jetzt machen für meinen Geschmack aber noch wenig Buchhandlungen mit. Außerdem haben wir in diesem Jahr bei unserem Leistungs- und Konditionenmodell die Hürden gesenkt und wollen 2019 in größerem Umfang flexible Warengruppen-Schulungen anbieten, direkt am Regal in der Buchhandlung."

Anke Hardt, Vertriebsleiterin dtv 
 
"Wir sind im unabhängigen Buchhandel traditionell fest verankert. Dass dieser für uns so wichtige Partner so gut abschneidet, hat uns ehrlich gefreut und unser Vertrauen in diesen ist groß.  Was sich auch darin zeigt, dass die Zahl der engagierten Buchhandlungen noch immer zunimmt. Zudem haben wir in den vergangenen Jahren unsere Beziehungen zu den Filialisten intensiviert, sodass wir im gesamten Buchhandel gut aufgestellt sind. Während der Service für die Großen aus dem Key-Account-Management heraus geleistet wird, wird der unabhängige Buchhandel sehr intensiv und individuell durch unseren Außendienst in Zusammenarbeit mit unserem  Innendienst betreut. Dafür sind für dtv in Deutschland zwölf Vertreter unterwegs, die immer wieder auch die Ideen der Buchhändlerinnen an den Verlag zurückmelden. Ob Klein oder Groß: Beim Thema Social Media wünschen sich übrigens gerade alle Unterstützung."