Thalia stellte in Hagen sein neues Ladenkonzept vor

"Der Buchhandel muss lauter werden"

22. November 2018
von Sabine Schmidt
Bühne frei für Thalias neues Ladenkonzept: CEO Michael Busch stellte es in der Filiale in Hagen vor. Zugleich warb er für die Kampagne "Welt, bleib wach" – und für einen Schulterschluss der Branche.

Dafür, dass es ums Buch ging und damit auch um stark gesunkene Leserzahlen sowie die rückläufige Frequenz in den Innenstädten, war die Stimmung überraschend fröhlich. Erleichterung lag spürbar in der Luft, weil alles rechtzeitig fertig geworden war und gut geklappt hatte: Die Neugestaltung der Thalia-Filiale am Hagener Firmensitz war fast bis zum Schluss bei laufendem Betrieb erfolgt. Nur während der letzten drei Tage blieb das Geschäft geschlossen, die raumhohen Glasfenster waren zugeklebt.

Jetzt aber, nur wenige Tage nachdem Hugendubel in München sein neues Konzept vorgestellt hatte, präsentierte sich Thalia mit einer hellen, aufgeräumt und einladend wirkenden Buchhandlung den Gästen, die am Abend vor der Wiedereröffnung eingeladen waren.

Erleichterung lag in der Luft, aber mehr noch: Die Begeisterung von Filialleiterin Gabriele Förster und ihren 32 Mitarbeitern. Begeisterung nicht nur über den neu gestalteten Laden, sondern auch über das neue Konzept, das ganz im Sinn der Mitarbeiter ist. Mit ihm besinnt sich Thalia auf den Kern des Buchhandels – auf das, was vermutlich mit dazu beigetragen hat, dass die unabhängigen Sortimente 2018 bis jetzt ein leichtes Umsatzplus, die Filialisten dagegen ein Minus im stationären Geschäft verbuchen mussten.

Beraten: Das ist das Zauberwort insbesondere der kleinen und mittleren Buchhandlungen. "Ein akzentuiertes und kuratiertes Angebot": Das ist jetzt auch der Kern von Thalias neuem Konzept. "Dabei spielt eine zentrale Rolle, dass die Mitarbeiter in Eigenregie Thementische gestalten", erklärte Agnes Wieland, Direktorin Vertrieb West. Sie war gemeinsam mit Bereichsleiterin Andrea Geiger eingesprungen, um Pressevertretern die neu gestaltete Buchhandlung zu präsentieren.


Persönliche Lektüretipps

Die Thementische erstellen die Mitarbeiter selbstständig: Sie denken sich die Stichworte aus und präsentieren ihre Tipps. "Mit Romanen in die Welt" heißt es hier. Im ersten Stock in der Reiseabteilung lädt ein Tisch mit seinen Büchern zu einem Weihnachtsbesuch nach New York ein. Oder ebenfalls oben, in der Kinderabteilung, wo es Spielraum für den Lesenachwuchs gibt, haben die Buchhändler unter anderem Kinder-Klassiker und Weihnachtstitel zusammengestellt.

Nicht nur Thalia-Mitarbeiter wählen aus, sondern auch Autoren. Auf einem Tisch warten Thriller des Publikumslieblings Sebastian Fitzek auf Thalia-Kunden, daneben Tipps des Autors zu Büchern anderer. Auf einem anderen Tisch sind Bücher, die H. P. Kerkeling ausgesucht hat. Mutige Kunden können zu "Blind Dates" greifen: Bereits verpackte Überraschungstitel, die lediglich mit einem Hinweis versehen sind, etwa "Ein beeindruckender Roman über Rassismus". Und auch die Stiftung Lesen ist mit ihren Empfehlungen für Vorlesestoff deutlich sichtbar vertreten.

In drei der 280 Filialen testet Thalia das neue Konzept: in der 1.400 Quadratmeter großen Buchhandlung in der Hagener Fußgängerzone, auf 800 Quadratmetern in dem Einkaufszentrum Düsseldorf Arcaden und in Leipzig auf 300 Quadratmetern – und auch dort werden die „Lieblingsbuchhändler“ in Szene gesetzt mit Fotos und Lektüretipps: „Lieblingsbuchhändler“ sind Vielleser, denen die Kunden analog und online folgen können.


Lesekultur im Rampenlicht

Personalisieren und beraten: Bei dem neuen Konzept geht es um das, was Buchhandel im besten Fall sein kann – und um das, womit der stationäre Buchhandel gegenüber dem Online-Geschäft punkten kann. Das zielt auf das direkte Kundengeschäft. CEO Michael Busch geht es aber um sehr viel mehr – deshalb wurde das neue Konzept in großem Rahmen vorgestellt und gefeiert. Dazu gehörte ein launiges Grußwort von Oberbürgermeister Erik O. Schulz. Ebenso waren Vertreter der Thalia-Eigentümer-Familien in die Elberfelder Straße gekommen: Douglas-Aufsichtsratsvorsitzender Henning Kreke und Verleger Manuel Herder.

Bevor es ernst wurde, hörten sie aber erst einmal amüsantes Geplänkel zwischen den beiden Rednern. Der Oberbürgermeister beklagte sich, dass er nach langen Arbeitstagen über dem jüngsten Buch Navid Kermanis einschlafe, obwohl er es interessant finde. Busch empfahl daraufhin ausgerechnet "Fifty Shades of Grey" als Abendlektüre.

Dann aber kam der Thalia-CEO zu dem, worum es ihm vor allem geht: Thalia will nicht nur in Filialen buchhändlerische Kompetenz zeigen, sondern nach außen Flagge. Dafür steht der neue Slogan: "Welt, bleib wach". Dazu gehören Sprüche, mit denen Thalia für das Lesen wirbt. "Donald Trump liest nicht" – dafür aber hoffentlich der Rest der Welt, das ist die Hoffnung. Im Netz wurden diese Sprüche jedenfalls schon zwei Millionen Mal geklickt, so Busch: Die Einladung zum Lesen, mit der es ihm um Entschleunigung geht, Tiefgang, differenzierte Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen.

Es ist eine Offensive, die den Buchhandelskunden meint – aber auch die Branche. Wie es Thalia gelungen sei, viele deutsche Buchhändler über den Tolino in Sachen E-Book zusammenzubringen und so ein starkes Gegengewicht zu Amazons Kindle zu schaffen, hofft Busch auch jetzt auf einen Schulterschluss: auf ein gemeinsames Engagement für Leseförderung und dafür, dass die Branche ihre Zurückhaltung aufgibt und das zeigt, was sie ist: ein enorm wichtiges Moment der Demokratie, weil sie Stoff zum Innehalten, Reflektieren, Differenzieren bietet. "Der Buchhandel muss lauter werden", wünscht sich Busch.

Die Türen für einen Zusammenschluss stehen offen – diese Erfahrung hat er gleich mit den ersten Versuchen gemacht: "Die Mayersche und Osiander haben sofort zugesagt, als ich mit ihnen über gemeinsame Radiospots gesprochen habe."

Die werden demnächst zu hören sein. Ab heute schon können die Kunden, die gestern neugierig in die erleuchtete Buchhandlung schauten und hineinwollten, das neue Konzept testen. Ebenso steht Buschs Charmeoffensive in Richtung Branche: Sich gemeinsam für Lesekultur zu engagieren, sich auch in gesellschaftspolitische Debatten einzumischen, deutlich Stellung zu beziehen.