Edizioni-e/o-Verlegerin Eva Ferri im Interview

"Elena schreibt immer"

6. Dezember 2018
von Börsenblatt
Die Bücher von Elena Ferrante haben die familiengeführten Edizioni e/o groß gemacht. Eva Ferri, Publishing Director bei e/o, spricht mit Nicola Bardola über die Erfolge ihres Unternehmens, die Konzentration im italienischen Buchmarkt, den Einfluss Amazons und die Rolle der Independents.

Geht es dem italienischen Buchmarkt schlecht?
In Italien beklagen wir uns immer über alles. Es ist offensichtlich, dass der Buchmarkt im vergangenen Jahrzehnt Einbrüche zu verzeichnen hatte. Auch die großen Bestseller verkaufen sich nicht mehr so wie früher. Zudem kam es hier mit der Geburt von "Mondazzoli" – dem Zusammenschluss von Mondadori und Rizzoli – und weiteren Verlagen wie La Nave di Teseo zu tiefgreifenden Veränderungen der Verlagslandschaft. Es gab den Konflikt zwischen dem Salone del Libro di Torino und der neuen Fiera in Mailand Rho. Schließlich gab es auch noch eine Konzentration im Zwischenbuch­handel, als die PDE (Promozione Distribuzione Editoriale) von Mes­saggerie gekauft wurde.

Wie schätzen Sie die Lage der unabhängigen Verlage in Italien ein?
Trotz aller Veränderungen haben sich die Independents gut geschlagen. Nebst außerordentlich guten Verlagsprogrammen wie von Sellerio haben in den letzten Jahren dynamische und kreative Verlage wie NN Editore von Eugenia Dubini, Iperborea, Gallucci und andere von sich reden gemacht. Es sind immer noch oft die kleinen und mittleren Verlage, die sehr effizient arbeiten.

Sollte es einen Verlagspreis nach deutschem Vorbild geben?
Klar, staatliche Preise wären hier auch hilfreich, aber nicht so sehr als direkte Unterstützung, die stets die Gefahr mit sich bringt, die politische Unabhängigkeit zu gefährden. Wünschenswert wären eher Entlastungen steuerlicher Art. Und mehr Literaturpreise würden auch nicht schaden! Auszeichnungen für unabhängige Verleger und für ihre Bücher, denen es nur selten gelingt, auf die Shortlists der großen nationalen Literaturpreise zu kommen.

Bis vor etwa sieben Jahren war e/o ein mittelgroßer Verlag. Nun sind die Umsätze stark gestiegen. Wie haben Sie auf dieses Wachstum reagiert?
Wir sind ein mittelgroßer Verlag geblieben und wollten schon immer das Handwerkliche bewahren, das den Mittelpunkt unserer Arbeit ausmacht. Wir haben versucht, uns vom Erfolg der vergangenen Jahre nicht berauschen zu lassen. Aber natürlich gab es Veränderungen. Beispielsweise haben wir kürzlich Emanuela Anechoum verpflichtet, eine hervorragende Rights Managerin, die sich um den Rechte­verkauf unserer drei Verlage kümmern wird: Edizioni e/o, Europa Editions US und Europa Editions UK. Zudem haben wir in Großbritannien Christopher Potter angestellt, eine Legende der britischen Verlagswelt. Er wird für uns Autoren akquirieren und unseren englischen Ableger leiten. Zudem haben wir die kleine Buchhandlung Otherwise in Rom in der Nähe der Piazza Navona für englischsprachige Bücher eröffnet.

Die Edizioni e/o liegen im Clinch mit Amazon. Bleiben Sie standhaft?
Ja. Vor einem Jahr haben wir einer überhöhten Rabattforderung Amazons eine Absage erteilt. Amazon hat daraufhin keine Bücher mehr von e/o gekauft. Sie verkauften unsere Titel nur noch über Amazon-Marketplace, nicht mehr direkt. Dann haben sie teilweise nachgegeben und haben wieder angefangen, unsere Bücher zu den früheren Konditionen einzukaufen. Wir verfolgen weiterhin eine Politik, die es vermeidet, Amazon zu "helfen", weil wir glauben, dass Amazon bereits einen zu großen Vorsprung auf seine Mitbewerber hat. Jeden Tag gefährdet Amazon das Überleben stationärer Buchhandlungen, die für uns aber von allergrößter Wichtigkeit sind und bleiben.

Gibt es Veränderungen in der ­Programmpolitik? Und wollen Sie künftig mehr italienische Autoren veröffentlichen?
Wir kaufen Lizenzen ein wie bisher, mit Leidenschaft und oft aus literarischen Bereichen, die wenig beachtet werden. Vom Hype um überhöhte Vorschüsse, um »das Buch der Messe«, lassen wir uns nicht anstecken. e/o ist vor bald 40 Jahren als Verlag entstanden, der Prosa aus anderen Regionen in italienischer Übersetzung anbietet. Ein Großteil unserer Backlist besteht aus Büchern aus aller Welt: Japan, dem Mittleren Osten, Südostasien, Frankreich, Südamerika und so weiter. Italienische Bücher machen nur einen ganz kleinen Teil unseres Gesamtprogramms aus. Wir veröffentlichen etwa sechs bis sieben italienische Bücher im Jahr. Ich glaube nicht, dass dieser Anteil wachsen wird. Sollten wir aber nächstes Jahr 30 außerordentlich gute italienische Autoren finden, die bei uns veröffentlichen wollen, dann werden wir sie veröffentlichen!

Können Sie beim Lizenzhandel jetzt um "garantierte Bestseller" mitbieten?
Ich glaube ganz und gar nicht an "garantierte Bestseller". Niemand glaubt mehr daran. Klar gibt es Käufe mit hohen Vorauszahlungen – manchmal aus Prestigegründen. Aber oft werden die Investitionen nicht wieder eingespielt. Die Märkte sind sehr verschieden. Es fällt schwer, vorauszusagen, was wo funktionieren wird. Wenn man es wüsste, gäbe es nicht so viele Bücher und so viele Verleger! Ich vertraue viel mehr auf Erfolge, die von unten her mit Hingabe, Intuition und Leidenschaft aufgebaut werden. Ich vertraue der Empfehlung eines guten ausländischen Verlegers, eines Agenten, eines Autors. Wenn jemand überzeugt ist, dass man bei der Veröffentlichung eines Buchs gute Arbeit leisten wird, wird er keine astronomischen Vorschüsse fordern. Er setzt auf andere Leistungen. Zum Glück haben wir bei Verlagen und Agenten im Ausland einen guten Ruf.

Suhrkamp hat in Deutschland damit begonnen, auch die ersten drei Romane von Elena Ferrante neu zu veröffentlichen. Hat die Tetralogie "Meine geniale Freundin" den Blick auf Autorin und Werk verändert?
Die Veröffentlichungshistorie Elena Ferrantes in Deutschland war bis zum Beginn der Tetralogie kompliziert. Ihre früheren Bücher waren mit wenig Erfolg bei verschiedenen Verlegern erschienen. In anderen Ländern war das anders. Suhrkamp hat jetzt mit "Meine geniale Freundin" eine hervorragende Arbeit geleistet, auch im Hinblick auf die sehr gute Übersetzungsleistung und die sehr gelungenen Umschläge. Mit derselben Aufmerksamkeit veröffentlicht Suhrkamp nun die Backlist Elena Ferrantes. Ganz allgemein haben die ersten drei Romane weltweit sehr vom Erfolg der Tetralogie profitiert. Sowohl in Italien als auch in den USA waren sie aber schon lange vor Veröffentlichung der Tetralogie Bestseller. Elena Ferrante hat mit Erfolg schon Anfang der 1990er Jahre angefangen zu veröffentlichen. Ihre Geschichte hat einen langen Atem. "Meine geniale Freundin" ist kein Instant-Bestseller.

Und Elena Ferrante? Schreibt sie einen neuen Roman?
Elena schreibt immer. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann!

Eva Ferri (30), die Tochter der Verlagsgründer Sandra Ozzola und Sandro Ferri, ist seit Kurzem Publishing Director der Edizioni e/o in Rom. Seit 1992 erscheinen die Bücher der Schriftstellerin Elena Ferrante in dem italienischen Verlag.

 Nicola Bardola, freier Mitarbeiter des Börsenblatts, veröffentlicht im März 2019 bei Reclam das Buch "Elena Ferrante – meine geniale Autorin" (ca. 280 S., ca. 24 €). Er studierte Germanistik, italienische Literatur und Philosophie und ist Autor mehrerer Biografien und Romane.