Lieblingsbuchhandlung: Steffen Mensching über Leselust in Eisenach

Im Schatten der Wartburg

6. Dezember 2018
von Börsenblatt
Ist Steffen Mensching in Eisenach, dann schaut er gern bei Leselust vorbei. Warum? Das verrät der Autor in unserer Serie über Lieblingsbuchhandlungen.

Ein Autor, der in einer Kleinstadt lebt und arbeitet und auch noch Bücher verkaufen will, wäre klug beraten, die lokale Buchhandlung (wenn es sie noch gibt) zu seinem Liebling zu erklären. Aber Liebe sollte stets selbstlos und frei von Erwartung sein. Deshalb mögen mir die fleißigen Rudolstädter Buchhändlerinnen, die Teil einer kostbaren Kette mit mythologischem Namen sind, vergeben, wenn ich den Einmannbetrieb Leselust in Eisenach zu meinem Favoriten wähle.

Der dortige Buchhändler – ein Bartträger um die 40, der aussieht, als wäre er dem Jahr 1975 entsprungen – kennt mich nicht oder hat mich nie erkannt, jedenfalls stehen wir in keinem anderem Verhältnis als dem geschäftlichen. Er ist Verkäufer, ich bin Kunde. Wann immer ich in ­Eisenach bin, besuche ich seinen Laden.

Der Geschäftsraum ist überschaubar, etwa 50 Quadratmeter, eine Lesestube, in höhliges Dämmerlicht getaucht. Es gibt keine Möbel zum Verweilen, keinen Wasserspender, keine Zeitungen, keine DVDs, es gibt nur Bücher, nein, besser noch, "gute Bücher", das verheißt ein Spruch neben der Eingangstür, eine Losung, die Werbung und Abschreckung zugleich sein könnte.

Der Händler nimmt die Maxime ernst, beschränkt sein Angebot nicht auf die Titel, die alljährlich zu den Messen in Leipzig oder Frankfurt am Mainstream auf diverse Listen platziert werden. Er bietet auch diese, die wirklichen und vermeintlichen Bestseller, aber eben nicht nur, er hält Außenseiter vor, Abseitiges, Titel, die er gelesen hat und, wenn sich die Lektüre lohnte, empfiehlt. Da ich in den vergangenen Jahren nur selten Belletristik in die Hand nahm, waren seine Anregungen bei mir meist verlorene Liebesmüh. Auch ist der Mann ein sensibler Zeitgenosse, er weiß, wen er in ein Gespräch verwickeln kann und bei wem man es besser sein lässt (ein Talent, das den begabten Verkäufer ausmacht).

Ich gehöre – ich gebe es freiweg zu – zu den Kunden, die selbst entdecken wollen. Deshalb hasse ich es, wenn Bücher eingeschweißt sind und man die Anfangssätze nicht lesen kann. Denn, seien wir doch mal ehrlich, meist weiß man nach dem ers­ten Satz, ob einen ein Buch ansprechen wird oder nicht.

Leselust bietet Philosophie, Geschichte, sogar Lyrik und – ein weiterer Beweis echter Buchkultur – ein reiches, vielfältiges, aufregendes Angebot an Kinderbüchern. An einem Glückstag kaufte ich dort Stian Holes wunderbare Ge­schichte "Garmans Geheimnis". Später folgten die witzigen "Kaspar"-Romane von Mikael Engström und die pädagogisch unkorrekte "Doktor Proktor"-Serie von Jo Nesbø. Großartige Geschenke, die ich, wie es sich gehört, sämtlichst bar bezahlte. Ich danke im Namen meines Sohns und in meinem eigenen. Gute Bücher vorzulesen ist ein Riesenspaß, so wie es eine elende Qual ist, dies mit Texten tun zu müssen, die einen langweilen. Leselust oder Lesefrust, das ist die allabendliche Frage.

Wenn man die Leselust am Markplatz von Eisenach verlässt, steht man gewissermaßen im Schatten der Wartburg. Ein Ort, der für die deutsche Sprache und Literatur derart prägend war, verdient eine Buchhandlung von Format – mit Geist, Kontur und Eigensinn. Eisenach hat sie.

Steffen Mensching, 1958 in Ostberlin geboren, ist Intendant am Theater Rudolstadt. Er debütierte 1979 mit einem Gedichtband, dem etliche weitere folgten. Bei Aufbau erschienen später die Romane "Jacobs Leiter" (2003) und "Lustigs Flucht" (2005). Sein jüngster Roman, "Schermanns Augen", ist im Juli bei Wallstein erschienen.