Die Sonntagsfrage

"Wie ist das Leben als Chef, Herr Mayer?"

5. Januar 2019
von Börsenblatt
Der "BuchMarkt"-Kolumnist und Buchhändler Matthias Mayer hat im Sommer die Buchhandlung Borchers in Langenselbold von seiner ehemaligen Chefin übernommen. Wie macht sich "Herrn Mayers Buchladen"? Und wie ist es, der Chef der ehemaligen Chefin zu sein?

Chef zu sein ist genau wie vorher

Ich habe eine laufende Buchhandlung mit festem Kundenstamm übernommen, also ein gemachtes Nest, das sich bereits als Treffpunkt für Vögel, äh, Kunden etabliert hat. Die Kunden sind dieselben, die Arbeiten und Routinen sind dieselben. Ich könnte alles so lassen, wie es ist, und würde dabei nichts falsch machen. Ich muss immer noch morgens Wareneingang, mittags Pause und abends Kasse machen und dann einfach heimgehen.

Chef zu sein, ist anders als je zuvor

Das "einfach heimgehen" habe ich sehr voreilig hingeschrieben, denn in Wahrheit ist nichts mehr so wie vorher. Der Wareneingang morgens und die Kasse abends machen nun doppelten Spaß, weil es meine Waren und meine Einnahmen sind. Die Mittagspause lasse ich dafür gerne mal ausfallen, dann habe ich noch mehr Spaß am Stück. Und abends bleibe ich oft einfach im Laden, damit der Spaß gar nicht mehr aufhört.

Herrje, ich weiß gar nicht, wann die vorherige Chefin das alles erledigt hat: Schaufenster werden alt, Rechnungen werden fällig, und dauernd muss man mit einem riesigen, überdimensionalen Prömpel die vielen Vertreter aus dem Laden schaffen, die ohne Termine kommen. Und gerade, wenn ich neue Ware auslege, kommt noch neuere Ware. Sofern ich lerne, sie regelmäßig zu bestellen. Neulich fragte ich die alte Chefin, wann denn die Weihnachtswaren kommen, und sie sagte mir "sobald Du welche bestellst."

Und so kriege ich eine Vorstellung von der einen Chef-Aufgabe, die ich am meisten unterschätzt hatte: Den Laden nicht im Kopf mit heim zu nehmen und dennoch irgendwann heimzugehen. (Das und die Invenur.)

Chef der Chefin zu sein, ist sehr lustig

Ich beschäftige die ehemalige Inhaberin nun als Aushilfe weiter. Das ist lustig, denn so einfach macht man als Ex-Chefin keine innere Vollbremsung. Sie macht immer viel mehr als sie soll und schämt sich dann. Außerdem demütigt sie mich, indem sie als Angestellte viel besser ist als ich es je war. Aber ich beklage mich nicht. Das wäre Jammern auf hohem Niveau, denn natürlich kennt die Ex-Chefin alle Abläufe und braucht keine Anweisungen. Dass ich trotzdem welche geben muss, muss ich eben lernen. Ich habe durchaus ein halbes Jahr Zeit und etliche Folgen Traumschiff gebraucht, bis ich mich zur schroffen, aber klaren Anweisung eines Kapitäns durchringen konnte. Außerdem demütige ich sie, indem ich der originellere Geschäftsführer sein will: Mein Sortiment ist originell, meine Werbemaßnahmen sind originell, sogar meine Auffassung von Buchhaltung und Sorgfalt sind originell. Zumindest darin habe ich mich nicht verändert: All meine Schwächen habe ich behalten, aber ich trage sie nun wie eine Auszeichnung. Denn jetzt bin ich die Chefin.

Und Danke, der Laden läuft gut. Solange Brüssel keinen Mist mit der Preisbindung baut, bleiben wir kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen eine ernste Gefahr für den bösen Riesen aus Seattle.