Interview mit Tim Leberecht

Mehr Romantik ins Business!

16. Januar 2019
von Börsenblatt
Eine "Brandrede gegen die Herrschaft des Effizienten" erwartet die Tagungsgäste der IG Belletristik und Sachbuch Ende Januar in München. Autor Tim Leberecht liefert hier schon mal einen Vorgeschmack.

Business-Romantiker – was steckt dahinter?
Business-Romantiker sind Romantiker, deren Wirkungsraum die Wirtschaft ist. Business-Romantiker wissen, dass die empirisch messbare Wahrheit nicht die alleinige Wahrheit ist.

Was macht diese Spezies im Geschäftsleben anders?
In der Wirtschaft gibt es den Pragmatiker, der den praktischen Nutzen über alles stellt. Und es gibt den Zyniker, dem es nur auf das Ergebnis ankommt. Für den Romantiker ist nicht nur das Ziel wichtig, sondern auch der Weg.

Wie wird man Business-Romantiker?
Dafür habe ich in meinem Buch zwölf Regeln aufgestellt, 'Finde Großes im Kleinen' lautet eine, eine andere 'Sei ein Fremder'. Umwege gehen, Unnötiges tun, Emotionen zulassen, verletzlich sein – unter Effizienzgesichtspunkten sind das keine Optionen.

"Leide ein bisschen" lautet eine weitere Regel. Was soll das bringen?
Zur Leidenschaft gehört leiden. Man muss sich dem Irrglauben widersetzen, alles bequem und auf dem schnellsten Weg erreichen zu müssen. Die besten Ideen entstehen oft durch Langeweile, Extraverausgabungen oder Schmerz.

Die Buchbranche dürfte voller ­Business-Romantiker sein. Was können Sie denen Neues erzählen?
'Alles Romantiker hier' – das habe ich tatsächlich bei meiner ersten Begegnung mit der Buchbranche gedacht. Deshalb haben wir uns auch so gut verstanden. Ob ich denen etwas Neues erzählen kann? Wer weiß. Von André Gide ist überliefert: "Alles ist schon einmal gesagt worden, aber da niemand zuhört, muss man es immer von Neuem sagen." Ich werde also eine Brandrede gegen die Herrschaft des Effizienten halten.

Die Umsätze wachsen für die meisten Verlage gerade nicht in den Himmel. Schlecht für Romantik, oder?
Es ist natürlich schwieriger, in einer solchen Situation für Romantik zu plädieren. Das radikale – und zerstörische – Effizienzdenken setzt ja immer dann ein, wenn es nicht gut läuft. Langfristig betrachtet sind aber gerade dann zündende Ideen nötig. Wir dürfen auch nicht vergessen, welchen Preis wir für Dauereffezienz und Wachstum bezahlen: 86 Prozent der Deutschen klagen über Stress am Arbeitsplatz, ­4,6 Millionen leiden an Angststörungen.

Ihr Buch ist 2015 erschienen. Hat sich die Unternehmenskultur dank der Generation Y seither nicht schon ziemlich verändert?
Ja, Social Impact spielt eine Rolle, es wird nach dem Sinn gesucht, 'Purpose' und 'Passion' ziehen in die Berufswelt ein. Was mich daran stört, ist, dass es letztlich doch immer nur um die Steigerung der Produktivität geht, nach dem Motto 'Purpose steigert Performance'. Romantik ist viel radikaler. Es geht darum, Momente zu schaffen, die mehrdeutig sind, schöne Momente, die uns eine Ahnung davon geben, wie man anders leben, jemand anders sein könnte.
 
Gehören solche Gedanken nicht eher in die Freizeit?
Niemand sollte zur Selbstverwirklichung im Beruf gezwungen werden. Andererseits: Wir verbringen als Wissensarbeiter 75 Prozent unserer wachen Stunden am Arbeitsplatz. Da ist es schon sinnvoll, die besonderen Momente auch dort zu suchen.

Welches Buchprojekt haben Sie aktuell in Arbeit?
Ich versuche mich an einer etwas anderen Perspektive zur Digitalisierung in Deutschland.

Tagung der IG Belletristik und Sachbuch

Die Interessengruppe Belletristik und Sachbuch im Börsenverein kommt am 24. Januar im Literaturhaus in München zusammen. Gastredner sind Thomas Krüger, Präsident der Bundes­zentrale für politische Bildung, Tim Leberecht, Berater und Autor, Benjamin Talin, Digitalexperte.

Anmeldung und Programm.