Saraiva und Livraria Cultura unter Insolvenzschutz

Filialistenbeben in Brasilien

17. Januar 2019
von Börsenblatt
Dem brasilianischen Buchmarkt droht der Kollaps. Die beiden größten Buchhandelsketten Saraiva und Livraria Cultura haben Insolvenzschutz beantragt. Ob ihre Sanierungskonzepte aufgehen, ist ungewiss.
Saraiva und Livraria Cultura kontrollieren etwa 40 Prozent des Buchgeschäfts

Brasilien, das noch vor wenigen Jahren als hoffnungsvoller Kandidat für den ökonomischen Aufstieg eines Schwellenlands galt, durchläuft derzeit die schlimmste Wirtschaftsrezession seit Jahrzehnten. Schwindende Kaufkraft, sinkende Preise und eine vor allem in den Jahren 2015 und 2016 hohe Inflationsrate (acht bis neun Prozent) machen dem Handel schwer zu schaffen. Im November erwischte es die beiden umsatzstärksten Buchhandelsketten im Lande, Saraiva und Livraria Cultura, die insgesamt etwa 40 Prozent des Buchgeschäfts in Brasilien kontrollieren.

Sanierung in Eigenregie

Bereits im Oktober 2018 hatte Saraiva angekündigt, 20 seiner landesweit 114 Filialen zu schließen. Ende November beantragte Saraiva ein Insolvenzschutzverfahren nach dem Vorbild des "Chapter 11"-Verfahrens im US-Recht. Das Pendant im deutschen Insolvenzrecht ist das sogenannte Schutzschirmverfahren, bei dem ein Unternehmen mit eigenständiger Geschäftsführung – unter Aufsicht eines vom Gericht bestellten Sachwalters – die Überschuldung oder drohende Zahlungsunfähigkeit abwenden kann.

Livraria Cultura (18 Filialen), die 1947 von der deutschen Emigrantin Eva Herz gegründete Buchhandelskette, gab Ende Dezember 2018 ihren Sanierungsplan öffentlich bekannt. Er beinhaltet nicht nur die Streichung von Stellen, sondern sieht auch erhebliche Nachlässe der Gläubiger vor. Kern des Plans ist der Abbau der inzwischen auf 285 Millionen Real (rund 67 Millionen Euro) aufgelaufenen Schulden. Konkurrent Saraiva wird sein Sanierungskonzept erst in Kürze bekannt geben.

Rettung ungewiss: Stimmen die Gläubiger der Entschuldung zu?

Ob Saraiva und Livraria Cultura gerettet werden können, ist noch offen. Ricardo Costa, CEO des Datendienstleisters Metabooks Brazil (eine Tochter von MVB und Frankfurter Buchmesse), hält es für verfrüht, die Unternehmen für gesichert zu erklären. Zuerst müssten die Verlage und anderen Gläubiger den Sanierungsplänen der Filialisten zustimmen. Costa hält es daher für möglich, dass noch weitere Filialen geschlossen werden.

Die Hoffnung, das Insolvenzschutzverfahren könne die Unternehmen retten, dämpft der brasilianische Branchenberater und Unternehmer Bruno Mendes: "Nur 23 Prozent der Unternehmen, die den Weg des Insolvenzschutzes gegangen sind, konnten ihre Schulden erfolgreich ablösen. Dies allein zeigt, welche Herausforderung Cultura und Saraiva vor sich haben." Mendes ist davon überzeugt, dass das Geschäftsmodell der beiden Ketten nicht funktioniert und sie andere Wege finden müssten, um Bücher zu verkaufen. Andernfalls könnten Verlage die Belieferung einstellen – was die Rettung vereiteln könnte.

Verlage in Bedrängnis: Schuldennachlass von bis zu 70 Prozent?

Ein Knackpunkt der Sanierung dürfte die Forderung der Buchhandelsunternehmen sein, dass die Gläubigerverlage Schuldennachlässe zwischen 40 und 70 Prozent gewähren sollen. Zugleich sehe der Plan von Cultura vor, die Rückzahlungen je nach Höhe der Gläubigerforderung über einen Zeitraum von bis zu ­14 Jahren zu strecken, so Costa. Im Zuge der Sanierung sollen natürlich auch Verwaltung und Managementstrukturen gestrafft werden. Da die Verlage über die Gläubigerregelung wenig erfreut sein dürften, werden die beiden Buchhändler künftig die Ware sofort bei Lieferung bezahlen müssen, meint Bruno Mendes.

Große Verlage sitzen auf unbezahlten Rechnungen, auch Penguin Random House ist betroffen

Die Verlage geraten durch die Schieflage der großen Buchhändler natürlich auch in Bedrängnis. Einige große Verlage, zu denen etwa Companhia das Letras (70-prozentige Beteiligung von Penguin Random House) zählt, sitzen auf unbezahlten Rechnungen von teilweise mehr als 15 Millionen Real (rund ­3,5 Millionen Euro). Wenn diese nur zum Teil und schleppend zurückgezahlt werden, könnte dies auch einige Verlagshäuser in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Eine direkte Schuldenrückzahlung durch die beiden Buchhandelsketten wird allerdings kaum möglich sein: Das Barvermögen von Saraiva beträgt laut Costa ungefähr 300 Millionen Real (rund 70 Millionen Euro), das von Cultura etwa 100 Millionen Real – bei einem Schuldenstand von 285 Millionen Real.

Die Folgen der Insolvenzen

Die Gefahr ist allerdings noch erheblich größer, wie Luiz Schwarcz, CEO von Companhia das Letras, im Dezember 2018 in einem persönlich gehaltenen Beitrag auf dem Verlagsblog ("Cartas de amor aos livros" – "Liebesbriefe an Bücher") befürchtete: Die Verlage könnten 40 Prozent ihrer Einnahmen verlieren und dabei ein Loch hinterlassen, das die gesamte Verlagsindustrie Brasiliens verschlingen könnte. Vor allem kleineren und mittleren Verlagen könnten Liquiditätsengpässe drohen, wenn nach einer Insolvenz der beiden Großen nur noch 60 Prozent der Vertriebswege offenstünden. Auch Häuser, die bevorzugt Saraiva und Cultura beliefert haben, könnten in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, meint Mendes.

Hausgemachte Probleme: Haben sich die Geschäftsmodelle überlebt?

Bei einer genaueren Analyse der Marktsituation zeigt sich, dass nicht allein die Wirtschaftskrise die Notlage der beiden großen Buchhändler ausgelöst hat, sondern dass es auch hausgemachte Probleme gibt. Der brasilianische Verlegerverband SNEL (Sindicato Nacional dos Editores de Livros) hatte unlängst Zahlen von Nielsen BookScan Brazil gemeldet, denen zufolge der Umsatz im Buchhandel von Januar bis Oktober 2018 um 9,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen ist. Bücher werden also gekauft, vor allem in kleineren Buchhandlungen. "Kleinere Händler, Onlineshops und Nischenbuchhandlungen treten aus dem Schatten und kommen ans Licht", sagt Bruno Mendes. Eine Lösung für Saraiva und Cultura könnte es also sein, Ladenflächen zu schließen oder zu verkleinern.

Schon in den vergangenen Jahren lief bei Saraiva nicht alles rund. Der erst 2014 gegründete Flagship-Store von Saraiva im Einkaufszentrum Village Mall in Rio de Janeiro wurde nur ein Jahr nach der Eröffnung wieder geschlossen. Und die Kette Livraria Cultura, deren Filialen über das Buchgeschäft hinaus auch als Kulturzentren fungieren, wurde bis vor einigen Jahren noch vom Staat bezuschusst. Ohne diese Subvention dürfte der Kostendruck gestiegen sein.

Das Problem der beiden Insolvenzkandidaten ist demnach primär nicht die Marktschwäche, sondern ihr Geschäftsmodell. Auf vielen Großflächen hätten die Kunden das Gefühl, es nur mit Warenverkäufern zu tun zu haben. Was sie aber wollen, sind persönliche Beratung und individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Angebote.

Das sind Einsichten, die sich Filialisten auch in anderen Ländern zu eigen gemacht haben – ob in den USA oder jetzt in Deutschland, wo Thalia und Hugendubel ihre Ladenkonzepte erneuert haben und die Kunden stärker als bisher in den Mittelpunkt stellen.

Buchmarkt Brasilien: Daten und Umsatzentwicklung

Umsatz 2017: 1,7 Milliarden Real (rund 400 Millionen Euro); inflationsbereinigt plus 3,2 Prozent
Umsatz Januar – Oktober 2018: plus 9,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum

Top 3 Buchhandel (nach Umsatz):

  • Saraiva (114 Filialen, davon 20 geschlossen)
  • Livraria Cultura (18 Filialen)
  • Livraria Leitura (66 Filialen)