Wiebke Schleser über Genderfragen

Blau, rosa, kunterbunt

7. Februar 2019
von Börsenblatt
Kinder- und Jugendbücher sollen Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern vermitteln, eine verzwickte Sache: Wiebke Schleser über Genderdebatten im Laden – und Ideale im Wettstreit mit der Wirklichkeit.

Berlin ist ein Schmelztiegel jeglicher Lebensformen und Lebenswelten – und für den Stadtteil, in dem ich seit 2009 eine Buchhandlung betreibe, gilt das erst recht. Pankower Eltern sind interessiert, weltoffen, haben ein ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen, zeigen deutlich ihre kritische Sicht auf die Dinge – und gleichzeitig ihr Bedürfnis nach Verankerung und Zugehörigkeit, Ordnung und Balance.

Genau an diesem Punkt treffen sich die Bedürfnisse und Erwartungen an das Kinderbuch, entstehen Gespräche im Laden. Das macht es für mich als Buchhändlerin spannend, aber nicht immer leicht. Rede ich mit Kolleginnen in anderen Städten und Gegenden, wird immer wieder deutlich: Berlin ist Berlin. Manche Diskussionen, die ich hier in Pankow erlebe, führen sie gar nicht – dafür andere, die für uns in Berlin wiederum eine viel kleinere Rolle spielen.

Ein Bereich, für den dies sicher gilt, ist der gesamte Komplex um die Geschlechtergerechtigkeit, "Gender", "sexuelle Identität", "Vielfalt als Normalität". Eltern, aber auch Institutionen kommen zu uns mit der Frage, wo sie diese Themen im Kinder- und Jugendbuch finden, hoffen, dass wir ihnen weiterhelfen, Bücher dazu vorrätig haben und sie beraten können.  

Blau und Rosa – beides gibt es bei uns im Laden. Unsere Erfahrung ist: Nur weil ein Cover etwas suggeriert, muss es der Inhalt noch lange nicht hergeben! Da wir fast alle Bücher kennen, die wir anbieten, können wir entsprechend reagieren.  

Im BuchSegler gibt es keine klassische Einteilung der Genres, sondern eine zarte Orientierung für das Alter, eine intuitive Führung im Raum. Die Idee ist stets, sich treiben zu lassen und dabei auch Bücher zu finden, von denen man nicht wusste, dass man diese unbedingt lesen möchte. Uns geht es darum, Bücher vorzustellen und mit unseren Kunden ins Gespräch zu kommen. Wichtig ist für uns dabei, eine möglichst große Bandbreite an Kinderbüchern – zum großen Teil auch frontal – zu zeigen, damit Kinder ihren eigenen Geschmack und ihre Vorlieben herausfinden können. Die Welt ist bunt: So sehen wir das, und so sehen es auch viele unserer Kunden.

Alles gut also? Leider nein. Ein Problem taucht immer wieder auf, hartnäckig: Es gibt eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Eltern beziehungsweise der erwachsenen Buchkäufer, welche Lebenswirklichkeit Bücher beim Thema Geschlechtergerechtigkeit darstellen sollen – und wie Kinder diese Wirklichkeit im Alltag dann tatsächlich wahrnehmen. Im Alltag sehen sie nur sehr selten eine Straßenbauerin, eine Feuerwehrfrau schon eher und eine DHL-Fahrerin ebenso. Andererseits gibt es eine Handvoll Entbindungspfleger (die männliche Berufsbezeichnung für Hebammen) und deutlich mehr Lehrerinnen als Lehrer an den Grundschulen. Wie können wir als Buchhändler da vermitteln? Schwierig.

Wir alle leben in den verschiedensten Lebensformen – diese Haltung empfinde ich als selbstverständlich, doch so denkt natürlich nicht jeder. Auch verändern sich die Rollen von Frau und Mann noch einmal, wenn Kinder die Beziehung bereichern: Zuvor gleichberechtigt, unabhängig, rutschen wir aus den verschiedensten Gründen in alte klassische Rollen unserer Eltern und Großeltern. Das wollen wir nicht, kämpfen deshalb um das Austarieren unserer Wünsche und um Gleichberechtigung, sind damit vielleicht auch überfordert – und erhoffen uns dann, dass es im Kinderbuch Klarheit gibt ...

Mehr zum Thema finden Sie im aktuellen Börsenblatt Spezial Kinder- und Jugendbuch.