Martina Bergmann über Sortimentsgestaltung ohne Warenwirtschaft

Man nehme. Über den Handwerksbuchhandel

13. Februar 2019
von Börsenblatt
Buchhandel ohne Warenwirtschaft macht viel Arbeit, hat aber auch Vorteile: Wo nichts im Computer steht, muss man ans Regal, meint Martina Bergmann. Dort entdeckt die Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen eine Renaissance von Mundorgel, Kartenmesser und Co.

Als ich nach zehn Jahren anderer Tätigkeiten wieder in den Buchhandel kam, waren die Computer jetzt auch da. Nein, falsch. Es hatte Computer schon früher gegeben, hellgraue, große Kästen mit dunklem Bildschirm und dieser eckigen Schrift. Man gebrauchte sie, um von den Disketten Informationen zu übernehmen. Es gab komplizierte Verfahren, welche Tasten zu drücken waren und welche unbedingt nicht, um dies oder das nachzuschauen. Es war nicht sehr schwierig, mit dem Kopf schneller zu arbeiten als so ein Technikfossil - zumal in einer kleinen Stadt in Ostwestfalen. Ich behielt das bei, auch in der Universität. Falsch, wie ich bei meiner Rückkehr in den Buchhandel lernte. Es gab jetzt lauter neue Begriffe: Stammdaten. Kennzahlen. Hitlisten. Meldebestände. Als Verb: Einpflegen. Nachhalten. Es hatte immer mit Ordnung zu tun. Es musste sein, hörte ich.

Der Buchhandel sei in einer schwierigen Marktlage, und man müsse sich nun anders organisieren. Überhaupt: Organisieren. Ich hörte das und verstand auch, was ich zu tun hatte. Ich hatte in der Zwischenzeit lauter Fächer studiert, zu denen auch langweilige Arbeiten gehörten - Fotokopieren beispielsweise. Studenten der Philologien verbrachten viel Zeit am Kopierer, und Buchhändler bearbeiteten Datenbanken und die Warenwirtschaft. Soweit die neueste Zeit. Es erwies sich schnell, dass ich immer noch besser verkaufen als verwalten konnte. Zu Deutsch: Ich räume nicht gern auf. Daran hat sich bis heute nichts verändert. Der Buchladen ist voll, und die Lagerhaltung besteht darin, durch Verkauf entstehende Lücken mit neuer Ware zu füllen. So weit so gut oder auch nicht. Das Verfahren hat jedenfalls einen Vorteil, über den ich berichten möchte.

Man ist im Wortsinn nah bei den Büchern. Wo nichts im Computer steht, muss man ans Regal. Logisch. Muss die Bände in die Hand nehmen, sieht, was schnell vergilbt, sieht, wo Kunden sich stark betätigt haben und welche Abteilungen sie rundheraus nicht interessieren. Neben der Ausbreitung von Quasi-Klopapier im Taschenbuch-Segment fällt mir in letzter Zeit auf, dass die altmodischen Abteilungen sich reger Nachfrage erfreuen. Kleine Wörterbücher, Wanderkarten, Balladenbücher und Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums. Die Mundorgel! In der Kochbuchabteilung eine Handreichung zum Soßenbinden, Kartoffel- und Suppenrezepte, Blechkuchen. Vogelhäuser bauen und betreiben, mit dem Taschenmesser schnitzen, seinen Kompass gebrauchen und in freier Natur übernachten. Ich dachte erst, das seien Erscheinungen dieses merkwürdig rückwärtsgewandten Zeitgeists, Buch gewordene Abbildungen einer Innerlichkeit, von der ich nicht weiß, ob ich sie heilsam oder gefährlich finde. Aber das stimmt nur halb.

Ja, manche Themen haben eine Renaissance vor eben diesem Hintergrund. Das zeigt sich aber mehr bei den schönen Umsätzen mit prächtigen Büchern. Wer es Retro mag, hat das Geld dafür locker. Die anderen, kleinen alten Warengruppen sind kaufmännisch eher unerheblich. Die Mundorgel kostet drei Euro fünfzig, Maria Thuns Aussaattage sind für neun Euro erhältlich. Herrnhuter Losungen für vier Euro neunzig und die Irischen Segenssprüche als Lesezeichenkalender für drei oder vier Euro. Zu meinem Erstaunen sind es oft diese kleinen Artikel, für die die Kunden eine Buchhandlung aufsuchen. Ich habe eine Weile überprüft, ob Amazon sie liefert und wenn ja, ob portofrei. Doch da war kein Muster zu erkennen, daran liegt es eher nicht. Kunden sagten, auf Nachfrage, sie fänden schön, dass es all das wieder gibt. Die kleinen Gegenstände des Buchhandels, all die Notenpapiere und Kartenmesser und was uns sonst zugeschrieben wird. Mein zaghafter Einwand, ich hätte nie aufgehört, mich damit zu bevorraten, wird meistens überhört. Nein, nein, behaupten die Kunden, nein, es gibt ja endlich wieder diesen klassischen Buchhandel, und den finden sie gut. Ich schweige in solchen Situationen und denke still, dass ich einfach nie aufgehört habe, allenfalls mäßig aufzuräumen und im Kopf zu bewahren, wofür sich Kunden interessieren. Das ist keine antidigitale Haltung, beileibe nicht. Aber dahinter steht das grundsätzliche Selbstvertrauen in Kopf und Hände. Wie bei Doktor Oetker: Man nehme und rühre, und am Ende wird's ein guter Kuchen oder Bücherladen.

Martina Bergmann (40) lebt in ihrer Heimat, in Borgholzhausen. Sie arbeitet als Buchhändlerin, Veregerin und Autorin. Sie ist Verlagsbuchhändlerin und Geisteswissenschaftlerin und schreibt gerade an ihrer Abschlussarbeit in Geschichte. Ihr erster Roman "Mein Leben mit Martha" erscheint am 22. Februar im Eisele Verlag.

Ein Interview zum Roman mit Martina Bergmann und Julia Eisele lesen Sie hier!



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