Analyse zur KNV-Insolvenz von Torsten Casimir

Mehr Drama geht nicht

14. Februar 2019
von Börsenblatt
Too big to fail? Diese berühmte These von einer Systemrelevanz, die supergroßen Unternehmen selbst noch im Scheitern das Überleben sichert, ist heute fraglicher geworden. KNV ist insolvent.

Ob der wichtigste Buchlogistiker im deutschsprachigen Raum seinen Geschäftsbetrieb fortführen kann, hängt nun an der Einschätzung eines Insolvenzverwalters, den es noch nicht gibt. Mehr Drama geht nicht.

Keiner ist nicht betroffen. Die Mitarbeiter der Unternehmensgruppe bangen um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze. Die Geschäftsführung hat, so scheint es jedenfalls, bis zuletzt an einen rettenden Investor geglaubt, der am späten Dienstagabend dann doch den Bartleby gab: Ich möchte lieber nicht. Wie tief die Enttäuschung darüber bei dem geschäftsführenden Gesellschafter Oliver Voerster und seinen Mitstreitern sitzt, mag man sich kaum vorstellen.

Die Lieferanten werden, was ihre offenen Posten bei KNV anlangt, nun ebenfalls zittern. Bis wohin tritt ihr Warenkreditversicherer ein? Und was ist mit Verlagen, die gar keine Versicherung haben? Wahrscheinlich liegt genau hier für die Branche der Hase im Pfeffer: Wie wirkt sich der viele Millionen schwere Liquiditätsentzug aus? Man darf mutmaßen, dass die konzerngebundenen Verlagsgruppen aufgrund ihrer Finanzstärke damit besser werden umgehen können als manche kleine Verlage, die jetzt erst einmal auf ihren Außenständen sitzen bleiben.

Viele der unzähligen unabhängigen Buchhandlungen, die KNV als erstes Barsortiment nutzen, können sich bisher auch dank der intensiven Serviceleistungen der Stuttgart-Erfurter noch in der Zone der Wirtschaftlichkeit halten. Was passiert in dieser kleinteiligen Struktur, wenn die Rationalisierungseffekte des Barsortiments entfallen würden? Und was passiert – nur mal so fantasiert –, wenn Thalia im Verein mit der Mayerschen sich ein eigenes Barsortiment hinstellt? (Das Gerücht, dass die Hagener zu den Interessenten an einem Einstieg bei KNV gehört haben sollen, machte seit langem die Runde; auch noch, als in den Erzählungen der besser Informierten Amazon schon wieder keine Karten mehr im Spiel hatte.)

Selbst im Wettbewerb des Zwischenbuchhandels dürften die Sorgen über die Nachricht aus Stuttgart überwiegen, denn das Volumen, das KNV zuletzt bewegt hat, übersteigt die freien Kapazitäten bei Libri, Umbreit und in den Auslieferungen. Auf dieser Ebene zeigt sich die Systemrelevanz von KNV besonders deutlich. Voersters damals unglückliche Ansage „2 plus 4“, womit er prognostizieren wollte, dass in mittlerer Frist nur zwei Barsortimente am Markt bestehen können, droht sich plötzlich – bittere Pointe – als falsch zutreffend zu erweisen.

Wobei: Von „plötzlich“ kann, was die finanzielle Schieflage des Logistikriesen betrifft, nicht die Rede sein. Bereits die beiden jüngsten veröffentlichten Konzernabschlüsse ließen ihre Leser in einen Abgrund blicken. 2015 haben die Stuttgarter einen Fehlbetrag von mehr als 41 Millionen Euro erwirtschaftet, im Jahr drauf immerhin noch knappe minus 18 Millionen Euro. Mit 180 Millionen Euro stand man schon Ende 2016 bei den Banken in der Kreide. Eine entsprechende Zinsbelastung von jährlich mehr als zehn Millionen Euro fraß jeden positiven Ergebnis-Euro auf. Das Unternehmen war, was die Finanzierung seines Erfurter 150-Millionen-Projekts anlangt, in eine Teufelsspirale geraten: Es verfehlte die Ziele der Banken, bekam dafür Strafzinsen aufgebrummt, woraufhin es die nächsten Ziele abermals verfehlte. Ein Übriges trugen andauernde Schwierigkeiten zur Misere bei, die man mit der logistischen und technischen Komplexität in Erfurt hatte und die allen KNV-Kunden viel Geduld abverlangten – eine Geduld, die einige nicht aufzubringen bereit waren und stattdessen den Dienstleister wechselten. Oft läuft das so: Zur Vorgeschichte von Insolvenzen gehören handwerkliche Probleme.

Was nun? Zunächst kann man das heute von KNV gemeldete „überraschende Scheitern der Verhandlungen mit einem Investor“ probehalber auch als dessen genaues Gegenteil lesen: als einen für solche Fälle typischen taktischen Spielzug in einer Verhandlung, bei der interessierte Investoren die für sie günstigen Effekte eines Insolvenzverfahrens einkalkulieren. Womöglich werden Filetstücke der KNV-Gruppe nun herausgelöst zu haben sein. Denkbar, dass die Attraktivität des Barsortiments von einem potenziellen Käufer deutlich höher veranschlagt wird als der Wert etwa von Koch, Neff & Oetinger, der Verlagsauslieferung.

Möglich auch, dass die Krise von KNV branchenweit eine kreative Debatte über die Frage auslöst, welche Logistik für das Buch eigentlich die vernünftigste wäre. Braucht man denn wirklich, koste es, was es wolle, für alles und jedes die Über-Nacht-Auslieferung? Entstünden tatsächlich gravierende Probleme in der Lieferkette, wenn ein Teil der bisherigen Barsortiments-Volumina künftig in den Bereich der Auslieferungen überginge? Und wäre für die Auslieferungen (die das Volumen ja ohnehin bewegen, aber dann eben nicht mehr in relativ wenigen großen Sendungen an die Barsortimente, sondern in vielen kleinen an den Handel) ihr logistischer Mehraufwand durch eine kluge Anpassung des Rabattwesens finanziell darstellbar?

Der 14. Februar 2019 kann in die Geschichte der Buchbranche als Tag 1 einer Phase eingehen, in der es für das Gesamtsystem von erhöhtem Vorteil werden wird, Prozesse unvoreingenommen neu zu denken.


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