Interview mit dem Wirtschaftspsychologen Florian Becker

"Der Unternehmer erleidet den härtesten Treffer"

15. Februar 2019
von Börsenblatt
Eine Insolvenz trifft alle Beteiligten mit voller Wucht. Über den Makel des Scheiterns, die Verunsicherung im Unternehmen und die anspruchsvolle Aufgabe des Insolvenzverwalters spricht Wirtschaftspsychologe und Buchautor Florian Becker im Interview mit boersenblatt.net.

Mit einem traditionellen Familienunternehmen Insolvenz anmelden zu müssen: Was bedeutet das für den Unternehmer?
Das wird natürlich als Scheitern gesehen, was im Wirtschaftsleben eigentlich eine ganz normale Sache ist. Nur ist bei uns in Deutschland das Scheitern besonders negativ belegt und wird als Makel betrachtet. In meinen Augen ist diese Stigmatisierung ein gesellschaftliches Problem. In anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, gehört Scheitern schon fast dazu und die erfolgreichsten Menschen betonen immer wieder, wie und wo und wie oft sie gescheitert sind und was sie daraus gelernt haben. Für den Unternehmer, der sich mit Leib und Seele mit seinem Unternehmen identifiziert, geht natürlich ein großes Stück seiner Identität verloren – gerade wenn jemand ein Leben lang mit und in dem Unternehmen gelebt hat. Und er weiß natürlich auch, dass er etwas in den Sand gesetzt hat, für das Generationen der eigenen Familie vorher hart gearbeitet hatten.

KNV hat in Erfurt 150 Millionen Euro investiert. Ein zu großes Risiko sei das gewesen, sagen jetzt viele …
Risiken in Kauf zu nehmen, gehört zu den Aufgaben eines Unternehmers. Wenn ein Unternehmer kein Risiko eingeht, gewinnt er auch nichts. Manchmal muss man eben ein sehr hohes Risiko in Kauf nehmen und alles auf eine Karte setzen. Gerade in so disruptiven Zeiten, in denen neue Wettbewerber den Markt aufmischen und transformieren. Dann kann man viel gewinnen, aber eben auch viel verlieren. Im Familienunternehmen ist es ja oft so, dass jede Generation ihre Spuren hinterlassen möchte und das Unternehmen besser und größer machen möchte als die vorherige Generation. Das spielt bei solchen Entscheidungen natürlich auch eine Rolle. Auch dafür werden Risiken eingegangen.

Wie erleben die Mitarbeiter eine Insolvenz?
Eine Insolvenz kommt meist nicht von heute auf morgen. In der Regel gibt es vorher schon Gerüchte und es macht sich Verunsicherung breit. Man setzt zwar noch auf das Prinzip Hoffnung, aber der ein oder andere Mitarbeiter schaut sich schon nach einem neuen Job um. Das Commitment gegenüber dem Unternehmen kann darunter leiden, die Motivation sinken. Immerhin haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, Arbeitgeber zu wechseln, wenn es die Arbeitsmarktlage hergibt. Psychologisch gesehen erleidet der Unternehmer den härtesten Treffer, auch wenn sich das jetzt vielleicht für manche sonderbar anhören mag. Man sieht diese Menschen ja meist als reich an und sagt gerne Dinge wie "Jammern auf hohem Niveau". Aber der psychologische Stress und die Traumatisierung sind ganz oben sicher am härtesten.

Eine wichtige Aufgabe kommt dem Insolvenzverwalter zu. Was zeichnet einen guten Insolvenzverwalter aus?
Er sollte zunächst einmal eine ruhige Hand bewahren. Es ist eine sehr anspruchsvolle Art der Führung, die Verunsicherung muss gemildert und Perspektiven müssen aufgezeigt werden. Der Insolvenzverwalter kommt ja meistens nicht um fünf vor zwölf, sondern oft erst um fünf nach zwölf. Insofern muss er die negative Abwärtsspirale stoppen, auch psychologisch. Mitarbeiter sind verunsichert, verlieren den Glauben, konzentrieren sich nicht mehr auf ihre Aufgaben, sondern planen für sich selbst, die Besten gehen. Positive Dynamik erzeugen und auch versuchen, die Expertise im Unternehmen zu behalten – das sind schwere Herausforderungen. Fast jeder kann ein Unternehmen lenken, wenn der Laden läuft. Aber ein Unternehmen aus der Insolvenz zu führen, dazu braucht es schon besondere Fähigkeiten.

 

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