Didacta 2019

Digitalpakt rückt näher, Verlage stehen bereit

21. Februar 2019
von Börsenblatt
Gestern stimmte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat für einen Grundgesetzkompromiss, der digitale Investitionen des Bundes in Bildung erlaubt. Der Digitalpakt könnte jetzt Wirklichkeit werden, die Bildungsmedienanbieter sind vorbereitet. Impressionen von der Didacta in Köln.    

Ist der Weg für den Digitalpakt nun frei? Nach der gestrigen Einigung über die dafür notwendige Grundgesetzänderung im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag deutet alles darauf hin. Sollten Bundestag und Bundesrat dem erzielten Kompromiss zustimmen, kann der Bund die Länder künftig finanziell bei der Digitalisierung von Schulen unterstützen. [Update: Inzwischen hat auch der Bundestag der geplanten Grundgesetzänderung zugestimmt.] Für die Bildungsmedienanbieter auf der diesjährigen Didacta in Köln, und nicht nur für sie, ist das ein gutes Zeichen.

Der Vermittlungsausschuss war angerufen worden, weil fünf große Bundesländer, unter ihnen Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen, die bereits vom Bundestag verabschiedete Grundgesetzänderung abgelehnt hatten. Die Länder befürchteten eine Beschneidung ihrer Bildungshoheit durch zu weit reichende Kontrollbefugnisses des Bundes. Außerdem sollten sie bei künftigen Investitionen des Bundes zur Hälfte an der Finanzierung beteiligt werden. Wie mehrere Medien berichten, sei dieser Passus aus der Grundgesetzänderung gestrichen worden. Die Kontrollrechte des Bundes sollen sich auf die Anforderung von Unterlagen beschränken.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek kann nun – wenn der Bundesrat im März endgültig grünes Licht gibt – die fünf Milliarden Euro, die der Bund in den kommenden fünf Jahren den Ländern für die digitale Infrastruktur an Schulen zur Verfügung stellen will, auf den Weg bringen.

Arbeit am digitalen Ökosystem

Ungeachtet des möglichen Geldsegens, den Bildungsexperten ohnehin für nicht ausreichend halten, arbeiten die Bildungsmedienanbieter weiter an neuen digitalen Lösungen für die Schule. Die Phase der Einzellösungen ist vorbei, was jetzt in den Verlagen für Unterrichts- und Bildungsprozesse auf allen Stufen entwickelt wird, ist ein digitales Ökosystem, dass die unterschiedlichsten Phasen der Stoffvermittlung, der Unterrichtsgestaltung und des Lernens abbildet.

Standard in den Schulbuchverlagen sind inzwischen digitale Schulbücher, die Zusatzfunktionen für Lehrer enthalten oder in der Schülerversion zusätzliche Medien wie Podcasts oder Videos enthalten. Bei C. C. Buchner gibt es seit 2016 das Modell Click & Teach für Lehrer, das Zusatzfunktionen und -materialien für die Pädagogen enthält, die hinter Icons auf der Seite hinterlegt sind. Lehrer können beispielsweise Bilder oder Textteile schwarz abdecken und so den Schülern nur eine eingeschränkte Ansicht auf eine Aufgabe oder einen Erklärtext gewähren. Selbsterstellte Ergänzungsmaterialien können mit einem Aktentaschensymbol an passender Stelle der geöffneten Doppelseite zusätzlich platziert werden. Die digitale Schülerversion Click & Study enthält Medienangebote, die den Schulbuchtext anreichern.

Die BiBox (Bildungsbox) von Westermann bietet Lehrern ebenfalls eine breite Palette an Unterrichtsfunktionen. So kann ein Pädagoge einzelnen Schülern individuelle Aufgaben zuweisen und überprüfen, inwieweit sie erfolgreich sind. Schüler haben in der für sie ausgespielten Version der Unterrichtswerke die Möglichkeit, interaktive Übungen zu bearbeiten. Alle Texte in der BiBox sind inzwischen browserbasiert und in HTML programmiert.

Während die digitalen Unterrichtslösungen Click & Teach von Buchner und BiBox von Westermann dem Layout eines aufgeschlagenen Schulbuchs folgen, hat sich Cornelsen mit dem mBook von der „Doppelseiten“-Metapher verabschiedet. Das mBook, das in seiner Urfassung für den Geschichtsunterricht entwickelt wurde, funktioniert losgelöst vom Buchformat, ist wie eine App aufgebaut und lässt sich individuell konfigurieren. Inzwischen gibt es das Format für 14 Fächer, darunter alle Hauptfächer. Neben dieser reinen Online-Lösung gibt es aber nach wie vor bei Cornelsen gedruckte Lehrwerke mit einer layout-konformen digitalen Variante.

Der Ernst Klett Verlag hat in Köln erstmals seine neuen „eCourses“ vorgestellt, die ebenfalls nicht mehr seitengetreu Inhalte abbilden, sondern Inhalte wie in einer App darbieten. Ein visualisierter roter Faden führt durch die Unterrichtseinheiten, multimediale Begleitmaterialien, Lösungen und Tipps können immer dort aufgerufen werden, wo sie gerade gebraucht werden.

Für die berufliche Bildung hat Westermann das neue Lernportal GEORG entwickelt. Es verfügt nicht nur über zahlreiche Funktionen für Lernen und Prüfungsvorbereitung, sondern arbeitet auch mit interaktiven Videos, in denen Auszubildende beispielsweise lernen, wie man sich in der Kommunikation mit einem unzufriedenen Kunden richtig verhält. Das Angebot soll demnächst um Komponenten zu Deutsch als Zweitsprache ergänzt werden, um so das unterschiedliche Sprachniveau bei Auszubildenden berücksichtigen zu können.

Dass das Engagement der Bildungsverlage für digitale Unterrichtsmedien nicht umsonst ist, zeigt sich an der Nachfrage. Diese ist gerade im vergangenen Jahr bei vielen Verlagen signifikant gestiegen. Die Zahl der Lehrer, die digitale Lösungen für den Unterricht testen wollen, hat stark zugenommen. Und auch ohne Digitalpakt gibt es viele Schulen, die bereits über eine funktionierende IT-Infrastruktur verfügen.

IT-Wartung ist nicht Lehrersache

Doch wie soll die Infrastruktur überhaupt aussehen, und wer soll sich um sie kümmern? Bestimmt nicht die Lehrer, warnte Christoph Meinel, Professor für Informationstechnologie am Hasso Plattner Institut (HPI) bei einer Diskussion auf der Didacta. Es sei nicht Aufgabe von Pädagogen, Netzwerke und Rechner zu warten. Dafür würden Fachkräfte gebraucht, „kein Digitalhausmeister, sondern eher ein Chief Digital Officer für jede Schule, der auch strategisch über den Einsatz von Informationstechnologie nachdenkt“. Das HPI hat die sogenannte Schul-Cloud entwickelt, die Schulen weitgehend von eigener Infrastruktur befreit und zahlreiche Funktionen ermöglicht: die Administration, das Ablegen von Dokumenten, den Informationsaustausch unter Lehrern und Schülern sowie das Teilen von Materialien. Die Investitionen der Schule beschränkten sich dann auf einen BreitbandanschlussWLAN, die Wartung, und dann natürlich auf die Lizenzen für die Unterrichtsinhalte.

Das Schul-Cloud-Projekt des HPI wird derzeit an einigen Schulen erprobt und wissenschaftlich vom Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI) begleitet. Projektleiterin Annekatrin Bock schilderte in der Diskussion, wie der Einsatz digitaler Medien das Unterrichtsgeschehen verändert. Manchmal seien Lehrer im Unterricht noch überfordert. „Dann kann es dazu kommen, dass der Unterrichtsfluss gestört wird“, so Bock. Viel mehr wird aber davon abhängen, ob Lehrer generell dazu bereit sind, sich digitalen Medien im Unterricht zu öffnen. „Ich sehe da manchmal einen basisdemokratischen Ansatz in Schulen, der die Sache nicht befördert. Wenn 80 Prozent in einem Lehrerkollegium Nein sagen, dann findet kein digitaler Unterricht statt.“