Debattenkultur in Deutschland

"Es brennt!"

22. März 2019
von Nils Kahlefendt
Diskurs statt Diskurs-Simulation: Ein prominent besetztes Podium ging in Leipzig der Frage nach, wie wir es mit der Debattenkultur im öffentlichen Raum halten.

Unter dem Motto „Extrem gut diskutieren“ ging das spannend Podium des in Leipzig parallel zur Buchmesse tagenden 7. Bibliothekskongresses der Frage nach, wie wir es mit der Debattenkultur im öffentlichen Raum halten und wie man mit extremen Positionen im demokratischen Diskurs umgehen sollte. Dabei müsste man derzeit leider eher von „Debattenunkultur“ sprechen – aber wie konnte es dazu kommen?

Philip Husemann von der Initiative offene Gesellschaft ist geneigt, von einem „medialen Burn-out“ zu sprechen, für ihn ähnelt der Kurznachrichtendienst Twitter inzwischen einem „schreienden Raum“, den man am liebsten fluchtartig verlassen möchte. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, kritisiert, dass die Politik nicht mehr Position bezieht. „Wenn einmal der Fraktionszwang aufgehoben wird, gilt das schon als Sternstunde des Parlaments.“ Aus der Enttäuschung darüber wachse Frust, „die Vereinfacher haben Konjunktur“. 

Woher der scheinbare Siegeszug der Debatten-Unkultur? „Wir haben den lautesten Meinungsmachern unhinterfragt Platz eingeräumt“, kritisiert die Autorin Nina George. „Wir finden Meinungsmacher toller als Diskursmacher“. Bekommt man diese Entwicklung gedreht? Der Börsenverein möchte in einer konzertierten Aktion Buchhandlungen als vorbildliche Orte der Debattenkultur sichtbar machen. Vor Ort soll zu gesellschaftlich relevanten Themen diskutiert werden.

„Der Buchhandel“, so Alexander Skipis, „verfügt über eine Infrastruktur, die in die Kapillaren der Gesellschaft geht“. Auch die Initiative offene Gesellschaft will die grassierende Diskurs-Simulation nicht unwidersprochen lassen und plant ebenfalls Aktionen: Mit der „offenen Gesellschaft in Bewegung“ sollen an elf Orten, quer durchs Land von Erfurt bis Bochum, Diskursräume geschaffen werden. Die Leitfrage „Welches Land wollen wir“ soll offen diskutiert werden. „Wir wollen nicht paternalistisch vorgeben, was man zu denken hat“, so Husemann. Die Initiative „Tisch raus!“ will den internetfreien Sonntag begleiten, so etwas wie digital Detox für alle.

Projekte hin, Projekte her: Alexander Skipis sieht angesichts der herrschenden Debatten-Unkultur die Demokratie in der Krise. „Angesichts des Abdriftens unserer politischen Systeme gilt es, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren. Es brennt!“ Für Philip Husemann stellt sich die Frage so: „Wie kann man die stille Mitte, die ‚Schläfer’ der Gesellschaft, aufrütteln?“