Gastland Schweiz auf der Jugendbuchmesse in Bologna

Den Röstigraben überbrücken

4. April 2019
von Stefan Hauck
Gestern Abend ist in Bologna die 56. Internationale Jugendbuchmesse zu Ende gegangen, deren Ehrengast die Schweiz war: Streiflichter aus vier Messetagen, von Buchstabenkunst über 50 Buchhändler-Azubis und bis zur Swiss-Pop-up-Party.

Den Besuchern wurde schon gleich hinter der Ticketkontrolle klar, wer in diesem Jahr Gastland der Fiera del Libro per Ragazzi war: 26 große Buchstaben stachen ins Auge, die alle etwas mit der Schweiz zu tun hatten. Für jeden Buchstaben des Alphabets stand ein Wort, das ein Illustrator grafisch umgesetzt hatte. "Wir haben Begriffe gesucht, die zur Schweiz passen, aber mit einem Augenzwinkern", erläutert der langjährige Atlantis-Verlagsleiter Hans ten Doornkaat, der die Ausstellung mit kuratiert hat. So reicht dieses grafische "ABCH" von Apfel und Edelweiss über Observation bis Winter und Zoo, die Illustratoren kommen proportional aus allen vier Sprachgebieten der Schweiz.

Was sich in der seit Dezember 2017 dauernden Vorbereitungsarbeit gezeigt hat: "Der Röstigraben ist deutlich wahrnehmbar; die Mentalität und der Illustrationsstil sind sehr unterschiedlich", so der Befund von SBVV-Messeleiterin Myriam Lang, die mit SBVV-Geschäftsführer Dani Landolf die Projektleitung des Gastlandauftritts innehat. "Die Tessiner Verlage orientieren sich am italienischen Markt, die Westschweizer am französischen und die Deutschschweizer am deutschsprachigen Markt", ergänzt ten Doornkaat. "Auf Comic-Elemente etwa reagiert man im deutschsprachigen Bereich deutlich abwehrender als im französischsprachigen." De facto, so hat sich gezeigt, ist der innerschweizerische Austausch gering. So hat nun der Gastlandauftritt in Bologna "bewirkt, dass man sich untereinander erst einmal richtig wahrnimmt", sagt Lang. Und wenn man beobachtet, wie neugierig die Künstler hier miteinander agieren, dann ist die Chance groß, dass der Auftritt innerschweizerisch einen spürbaren Nachhall hat.

50 Buchhändler-Azubis in Bologna

Bei den Buchhändlern hat er das auf jeden Fall. Denn der SBVV hat einen klugen Schachzug getan und alle 50 Buchhändler-Azubis im 2. Lehrjahr nach Bologna eingeladen. Die arbeiteten am Stand, bei Veranstaltungen und Events mit, hatten Zeit, mit den Illustratoren und Autoren zu reden (allein von den 26 Buchstaben-Illustratoren waren 23 in Bologna): "Hier erleben sie, wie begeisternd die Arbeit mit Kinderbüchern ist, sie erleben die Zeichner,  Verlagsmitarbeiter und viele weitere kreative Köpfe - das wirkt nach", ist sich NordSüd-Verlagsleiter Herwig Bitsche sicher, dass das Engagement der 50 eine sehr gute Investition in die Zukunft ist. Der Trubel ist groß, "es sind sogar viele Buchhändler und Büchereimitarbeiter aus der Schweiz hierher gekommen", hat ten Doornkaat beobachtet.

Kinderbuch stabilster Umsatzbringer

Für den Buchhandel in der Schweiz sei das Kinderbuch der stabilste Umsatzbringer, erläutert Myriam Lang vom SBVV, "sein Anteil am Gesamtmarkt ist in den vergangenen sieben Jahren kontinuierlich von 13,5 auf 16,8 Prozent gestiegen". Die drei größten Kinderbuchverlage (NordSüd, La Joie de lire und Atlantis/Orell Füssli) veröffentlichen durchschnittlich je zwischen 30 und 45 Kinderbücher pro Jahr. Die erstgenannten machen rund 20 Prozent ihres Umsatzes in der Schweiz, der letztgenannte rund 30 Prozent – der überwiegende Umsatz jedoch wird im deutsch- bzw. französischsprachigen Ausland gemacht. Auch Verlage wie Diogenes mit Schwerpunkt Belletristik pflegen ein Kinderbuchprogramm, dessen Umsatz 6,4 Prozent vom Gesamtprogramm ausmacht und der nur zu 3,7 Prozent in der Schweiz generiert wird. Um von konkreten Zahlen zu reden: NordSüd etwa hat von Marcus Pfisters "Regenbogenfisch" weltweit mehr als 30 Millionen Exemplare verkauft und von Hans de Beers "Kleinem Eisbär" mehr als acht Millionen, wie Verlagsleiter Herwig Bitsche bilanziert.

Auch wenn es dem wachsenden Kinderbuchmarkt besser gehe als dem belletristischen Markt, so führe der hohe Anspruch an die herstellerische Qualität zu Preisen, die es im Ausland schwer haben, differenziert Hans ten Doornkaat. "Diese Problematik wird beim Bilderbuch noch offensichtlicher, weil hier ein optimaler Vierfarbendruck unabdingbar ist, Werke für Kinder aber günstig sein sollen und Buchhandelsketten Mainstream bevorzugen." Auch wenn die Schweiz mehr kleinere und mittelständische Buchhandlungen als Deutschland hätten, sei es so einfach schwer, experimentellere Titel unterzubringen.

Neuentdeckte Liebe

Die allerdings sind an den Ständen in Bologna zum Glück zuhauf zu sehen, allein am 100 Quadratmeter großen Gemeinschaftstand zeigen 26 zumeist deutschsprachige Verlage Beachtliches. Für den Illustratorennachwuchs wird immer wieder angeboten, dessen Mappen durchzuschauen und Tipps zur Weiterentwicklung zu geben. Aber auch in der Bologneser Innenstadt haben die Schweizer ein Feuerwerk an Veranstaltungen und Workshops gezündet; "das war für mich eine wahnsinnige Freude, wenn ich bei 100 Kindern sehe, wie sie gespannt Germano Zullo und Albertine lauschen, oder gemeinsam mit Hannes Binder Illustrationen kratzen, oder ein Claudia de Weck-Krokodil zeichnen", sagt Dani Landolf vom SBVV und spricht von seiner "neuentdeckten" Liebe zum Kinderbuch.

Swiss-Pop-up-Party

Die Schweizer hatten in der Innenstadt ein beachtliches Programm zusammengestellt vom Kinderkino bis zur Nacht der Erzähler und überraschten mit einem "fliegenden Apéro", wenn die Verleger nach Messeende auf die Busse in die Stadt warten. Und mit der Swiss-Pop-up-Party in einer Location der Universität im historischen Zentrum - bis nach Mitternacht wurde hier über das Kinderbuch, Bedingungen und Produktionen gesprochen, über neue Ideen und ganz persönliche Erfahrungen. Die Jugendbuchbranche zusammenbringen - das können sie, die Schweizer.