Siv Bublitz und Jörg Bong zur Situation bei S. Fischer

"Unser Kern ist literarisch"

3. April 2019
von Börsenblatt
Anfang Juni reicht Jörg Bong den Stab der verlegerischen Geschäftsführung der S. Fischer Verlage an Siv Bublitz weiter. Im Interview mit Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir sprechen die beiden über ihre Zusammenarbeit, den Wechsel und die künftige Verlagsstrategie. "Unser erstes Interesse muss es sein, großartige Bücher zu machen und dafür dann möglichst viele Leser zu finden", so Bublitz.

Nach 22 Jahren bei S. Fischer, die letzten vier als CEO, verlassen Sie den Verlag. Warum?
Jörg Bong (JB): Ich habe es immer als ein großes Privileg und Glück empfunden, für S. Fischer zu arbeiten. Jetzt habe ich mich entschlossen, mich erst einmal eine Zeitlang vor allem dem Schreiben zu widmen. Da sind meine bretonischen Kriminalromane, und sicherlich kommen noch andere Ideen hinzu.

Bisher taten Sie das parallel: die Verlage führen und beim Schwesterverlag Bestseller schreiben. Wollen Sie die Krimis künftig in kürzerer Folge bringen?
JB: Nein, das ist überhaupt kein Motiv für mich. Ich freue mich auf einen anderen Rhythmus in meinem Leben, einen anderen Modus, ein anderes Tempo, dem ich folgen will – und das nach einer sehr langen, wunderbaren Zeit hier im Verlag. Darum ging es mir. − S. Fischer hat die schöne Eigenschaft, Menschen dauerhaft an sich zu binden. Meine 22 Jahre bedeuten da gar keinen außergewöhnlichen Zeitraum. Denken Sie an unsere großartige Verlegerin, Monika Schoeller.

Sie sind ein beneidenswert freier Mann, Ihre eigenen Buchverkäufe haben Sie aus der Erwerbspflicht längst entlassen. Warum auch sollten Sie sich den Tort antun, in schwierigen Zeiten weiter auf rotgefärbte Excel-Tabellen zu schauen?

JB: Es mag altmodisch klingen: Ich liebe den Verlag und meine Arbeit hier. Dazu gehören auch Tabellen − jedweder Art. − Ihre Frage nach der Erwerbspflicht hätte ich mir öfters schon stellen können. Aber das Verlegen war für mich immer der wunderbarste Beruf, den ich mir vorstellen konnte. Wir Verlagsleute sind mit Bewusstseinsarbeit befasst, wir beschäftigen uns mit der Welt. S. Fischer bedeutet ein ganz spezifisches Projekt: ein kulturelles, künstlerisches wie eben auch ein gesellschaftliches. Wir folgen einem Ethos. Wir suchen konsequent die Gegenwart: im Sachbuch kritisch, aufklärerisch und rigoros demokratisch, im Erzählenden mit großen Stimmen der deutschsprachigen und internationalen Literatur. − Deswegen ist mir meine Entscheidung sehr schwer gefallen.

Frau Bublitz, verstehen Sie Ihren Noch-CEO? Eigentlich hat er sich selbst doch gerade eine flammende Anti-Abschiedsrede gehalten.

Siv Bublitz (SB): Ich bin sehr froh, dass ich die letzten anderthalb Jahre hier mit Jörg Bong gemeinsam arbeiten konnte. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, die Autorinnen und Autoren kennenzulernen, die Kollegen, ein Gefühl für das Haus zu bekommen, festzustellen, woher wir kommen, und gemeinsam zu schauen, wohin wir aufbrechen wollen.

Wohin brechen Sie auf?
SB: Thomas Mann hat Samuel Fischer mal einen "Unternehmer des Kommenden" genannt. Ich finde, das ist eine schöne Definition für einen Verleger. Bücher sind immer eine Vielfalt von Blicken auf die Welt. Die Geschichte der S. Fischer Verlage zeigt das auf exemplarische Weise. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam aus dieser Vielstimmigkeit eine Perspektive zu entwickeln darauf, wohin wir uns bewegen.

JB: Und für unsere verlegerische Kernaufgabe, die Bücher zu den Menschen zu bringen, sie ihnen, so Samuel Fischers Worte, im besten Sinne ‘aufzudrängen’, ist die Situation anspruchsvoller geworden. Wir haben all die schönen Bücher, und jetzt sind wir verpflichtet, die Frage der Vermittlung neu zu beantworten: Wie kommen diese Bücher zu den Menschen? Das steht für alle, auch für uns, gegenwärtig im Zentrum des Überlegens. Wir müssen doppelt und dreifach klug sein, agil, elastisch. Das ist die Herausforderung: die Bücher mit List und Findigkeit in die Welt zu bringen.

Hat Ihnen in den vergangenen Jahren dieser Teil der Arbeit, der sich in Zahlen abbildet und nicht in Feuilletons, noch Freude gemacht?
JB: Unbedingt! Wenn man an die Idee glaubt, dass man all die fabelhaften Bücher nicht nur hier im Regal haben will, sondern bei den Hunderttausenden Lesern, dann muss man mit derselben Hingabe und Leidenschaft, wie wir sie für die Programme zeigen, alles tun, damit die Vermittlung auch gelingt. Dazu gehört etwa, sich über SEO-Kriterien den Kopf zu zerbrechen, über das neue Pondus-System, und so weiter. Klar, das ist eine andere Art des Arbeitens, aber sie gehört zentral zur verlegerischen Verantwortung.

SB: Ich finde aus unserer Perspektive interessant, was für paradoxe Entwicklungen sich gerade ergeben. Wir erleben, dass aufgrund der Digitalisierung die Bedeutung des Buches als Objekt, seine Gestaltung und Anmutung, viel wichtiger wird. Wir spüren als deutliche Gegenentwicklung zur Nutzung der Sozialen Medien und des Virtuellen, dass Veranstaltungen bedeutsamer werden. Das alles ist sehr inspirierend, und wir können es im Verlag gut aufnehmen und gemeinsam mit unseren Autorinnen und Autoren zu etwas Neuem verarbeiten.

Sie machen tolle Bücher, aber zuletzt wurden Sie vom Bestsellerglück im Stich gelassen. Was tun, dass sich dieses Glück wieder verlässlicher einstellt?
SB: Bestseller können immer nur das Ergebnis sein, nie das Ziel. Unser erstes Interesse muss es auch in Zukunft sein, großartige Bücher zu machen und dafür dann möglichst viele Leser zu finden. Indem wir das so klug anstellen, wie wir können, werden sich Bestsellererfolge einstellen. Natürlich ist uns das Ökonomische wichtig, um die Unabhängigkeit unseres Verlags zu sichern. Aber ich glaube nicht, dass man sinnvoll an Verlagsarbeit herangehen kann, indem man sagt: So, ich plane jetzt am Reißbrett mal einen Bestseller.

Markus Dohle von Penguin Random House hat just das Gegenteil vorgeführt am Beispiel von Michelle Obamas "Becoming".
JB: Man kann dem Glück nur die möglichst angenehmste Lagerstätte bereiten, damit es sich bei einem niederlässt und nicht woanders. Wobei dieses 'die angenehmste Lagerstätte bereiten' viel Arbeit bedeutet. Wir haben deshalb den Verlag Anfang der Nullerjahre neu aufgestellt und hatten in den folgenden anderthalb Jahrzehnten enorme Steigerungen, in den Umsätzen wie auch in den Ergebnissen. Die Prämisse für alles, was wir literarisch machen, war und ist bei S. Fischer immer eine ökonomische Stärke, Subsistenz, wenn Sie so wollen, Autarkie. Das haben wir über eine lange Zeit kontinuierlich umsetzen können. Erst 2017 war dann ein für uns wirtschaftlich schwieriges Jahr.

Auch, weil teure Wetten geplatzt sind?
SB: Das ist das Risiko beim Wetten. Ich möchte das Ökonomische gar nicht kleinreden. Aber ich halte das Wetten auf große Bestseller für einen Kardinalfehler. Ich glaube, dass Erfolg sich einstellt, wenn man etwas zu sagen und zu publizieren hat und das dann mit aller Emphase, aller Kraft und Kreativität tut. Irgendetwas einzukaufen und alles auf eine Karte, auf den einen Titel zu setzen, ist bestimmt nicht zielführend. Wir müssen von der Identität des Verlages ausgehen. Wir machen in den S. Fischer Verlagen auch tolle Unterhaltungsbücher, aber unser Kern ist literarisch. Entscheidend ist, dass wir unsere Arbeit aus unserer programmatischen Identität entwickeln.

Welche Rolle spielt für Sie die Geschichte von S. Fischer?
SB: Eine zentrale Rolle. Wir sind – und das ist ein unglaublicher Glücksfall gerade in der deutschen Verlagsgeschichte – heute nur zwei Handschläge vom Verlagsgründer entfernt. Die Autoren, mit denen Samuel Fischer sein Haus erfolgreich gemacht hat – Thomas Mann, George Bernard Shaw, Schnitzler, Hofmannsthal, Ibsen, Hauptmann – waren sehr unterschiedlich, aber eins hat sie alle geeint: ihre entschiedene Zeitgenossenschaft. Sie alle waren große Stimmen ihrer Zeit. Und sie waren erfolgreich,weil ihre Literatur zu den Lesern sprach. Von diesem Motiv her zu denken und in die Zukunft zu gehen, ist mein Anliegen.

Vor vier Jahren haben Sie, Herr Bong, dem Glück auch personell eine angenehme Lagerstätte bereiten wollen und die Führungscrew neu aufgestellt. Von den Vieren, die damals antraten, ist heute nur noch Sabine Bischoff übrig. Peter Sillem ging, Michael Justus, nun Sie selbst. Auch andere Führungskräfte haben das Haus verlassen. Was bedeuten diese Verluste für S. Fischer?
JB: Dass Peter Sillem ging, war natürlich ein großer Verlust. Aber Sie müssen auf die Lebensperspektiven schauen. Wir haben als Endzwanziger hier angefangen, waren eine verschworene Truppe. Ich kenne kaum einen anderen Verlag in Deutschland, der eine solche personelle Kontinuität hat wie wir in den letzten 20 Jahren. Dann entsteht irgendwann Bewegung, das ist der Lauf der Zeit, das kann gar nicht anders sein. Als wir Mitte 40 waren und immer noch hier, wurde das Schauen nach neuen, jüngeren Leuten bei S. Fischer ein dringendes Thema. Generationelle Homogenität muss sich irgendwann auflösen. Dass solche Veränderungsschübe diskontinuierlich auftreten, ist auch bei anderen Verlagen zu beobachten.

SB: Vielleicht hat die personelle Bewegung auch damit zu tun, dass die Arbeit im Verlag zum Großteil eine kreative ist. Deshalb denke ich, es ist kein Zufall, dass Kollegen, die viele Jahre in diesen Führungspositionen gearbeitet haben, irgendwann sagen: Ich möchte wieder kreativ tätig sein und nicht eine Abteilung leiten müssen. Eine wird dann Agentin, einer macht eine Galerie auf, ein anderer wendet sich ganz dem Schreiben zu. Ich kann solche Entscheidungen nach einer langen Zeit administrativer Verantwortung gut verstehen. Und man muss andererseits auch sehen: Sehr viele Kollegen, die schon lange bei S. Fischer arbeiten, sind noch hier und engagieren sich stark. Ein aktuelles Beispiel ist Alexander Roesler, der schon viele Jahre bei uns Programm macht und jetzt als Programmleiter Sachbuch Verantwortung übernimmt.

In welchem Verhältnis stehen bei S. Fischer Tradition und Erneuerung?
SB: Wenn man Samuel Fischer anschaut, würde ich sagen: Die Tradition hat hier immer etwas Innovatives. Auch 30 Jahre, nachdem er seinen Verlag gegründet hatte, war er offen und neugierig genug, Döblin zu entdecken, literarisch noch mal etwas Neues zu wagen. Er hat das sehr bewusst formuliert: "So muss ich doch versuchen, auch die Kunst der neuen Generation zu verstehen." Das war immer sein Credo. Es liegt tatsächlich in der Geschichte von S. Fischer, sich immer wieder zu verändern.

Herr Bong, als Sie Siv Bublitz nach Frankfurt holten, war es da bereits Ihr Plan, dass Sie selbst sich dann zurückziehen und ganz aufs Schreiben verlegen?
JB: Unsere Verlegerin Frau Schoeller und ich haben uns, als Peter Sillem ging, mit großer Akribie gefragt: Wen wollen wir finden? Wer verkörpert das, was wir hier brauchen, am besten? Wer verfügt über diese seltene, doppelte Fähigkeit, eine große Verlegerin zu sein und zugleich einen starken ökonomischen Antrieb zu haben? Und ja, es war damals schon unsere Perspektive, jemanden zu finden, der die S. Fischer Verlage dann bald als Ganzes leiten würde. Es war einer meiner schönsten Momente hier, dass ich Siv Bublitz dafür gewinnen konnte.

Hat der Autor Jean-Luc Bannalec in Ihnen also vor zwei Jahren auch schon die Fäden in der Hand gehalten?
JB: Sagen wir es so: Dieser Impuls, einmal ein Leben in einem anderen Rhythmus zu führen, zumindest für eine gewisse Zeit, der war vor zwei Jahren schon da. Die Perspektive gab es, nur den Zeitpunkt hatten wir noch nicht präzise bestimmt. Ich bleibe ja aber dem Haus verbunden und möchte heute gar nicht ausschließen, irgendwann auch wieder ins Verlagsgeschäft zurückzukehren.

War diese Perspektive für Sie entscheidend, um S. Fischer zuzusagen?
SB: Im Gegenteil: Für mich war gerade die Zusammenarbeit mit Jörg Bong ein wichtiges Motiv, zu S. Fischer zu kommen. Diese Zusammenarbeit hätte ich mir auch noch länger so vorstellen können. Mich motiviert die Gemeinsamkeit des Tuns. Mit Jörg noch einmal neue Seiten der Verlagsarbeit zu erkunden und neuen Fragen nachzugehen, das werde ich vermissen. Aber wir haben miteinander und mit den Kollegen schon einiges anstoßen können.

Zum Beispiel?
SB: Uns ist aufgefallen, dass wir eine stärkere Konzentration brauchen. Wir hatten zu viele Titel, das Programm war ein wenig diffus geworden. Wir müssen klarer und reduzierter werden. Deshalb haben wir jetzt nach gemeinsamer Diskussion mit den Kollegen entschieden, dass wir weniger Bücher verlegen wollen: ein Viertel weniger, die aber noch besser und intensiver. Und mit demselben Team. Seit dem vergangenen Herbst bringt uns diese Entscheidung programmatisch wie wirtschaftlich schon ein gutes Stück voran.