Karin Plötz empfiehlt Fußball-Bücher

Kabinengeflüster

5. April 2019
von Börsenblatt
Die LitCam-Direktorin Karin Plötz stellt jeden Monat ein aktuelles Fußball-Buch vor. Diesmal geht es Pit Gottschalk, der seine verrückten Erlebnisse als Fußballreporter schildert.

Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten plus der fast üblichen Nachspielzeit von circa drei Minuten, ein Team hat 11 Spieler und der Ball ist rund. Aber ansonsten hat sich die Welt des Fußballs und insbesondere die Fußballberichterstattung in den letzten Jahren radikal verändert.

Die News werden immer schneller und richtige Hintergrundrecherche seltener. Während die Reporter früher noch mit den Fußballprofis, z.B. der Nationalmannschaft, im gleichen Hotel übernachteten und es an der Hotelbar auch mal zu interessanten "Hintergrundgesprächen" kam, finden heute sogar Trainings hinter "verschlossenen Türen" statt.

Der bekannte Sportjournalist Pit Gottschalk hat jetzt über seine fast 30-jährige Sportreporterlaufbahn ein Buch geschrieben. Es ist keine Biografie, sondern eher eine Liebeserklärung an seinen Beruf, erzählt in 26 interessanten kleinen Geschichten.

Mir ist Pit Gottschalk hauptsächlich durch die TV-Sendung "Doppelpass, der Sport 1 Fußballtalk" aufgefallen. Und genau das beschreibt er in einer seiner Geschichten: 1978 war er zum ersten Mal beim "Doppelpass" dabei und nach seinem Auftritt im Fernsehen begrüßte ihn der Herr am Empfang bei seinem damaligen Arbeitgeber Axel Springer sofort mit Namen. Pit Gottschalk, obwohl der schreibenden Zunft zugehörig, hält den TV-Auftritt vor einem Millionenpublikum für notwendig, um nicht nur die Bekanntheit zu steigern, sondern auch zu zeigen, dass hinter seinen Reportagen auch ein kompetenter Kopf steckt.

Aber nicht nur Kompetenz, sondern auch Einfallsreichtum machen den Erfolg aus. Als Reporter der "Münchner Abendzeitung" gab sich Gottschalk als Eismann aus und konnte damit in die Umkleidekabine von Henry Maske gelangen und ihn als einziger Reporter nach seinem WM-Sieg am 20. März 1993 erleben. Zu den Geschichten über amüsante Interview-Termine mit Recep Erdoğan oder Diego Maradona kommen auch solche, die die Schwierigkeit eines Reporters zeigen, wenn ihm jemand sympathisch ist und er neutral über ihn berichten muss. In diesem Fall ging es um Boris Becker.

Der Buchtitel "Kabinengeflüster" spielt bei der ersten Geschichte indirekt eine Rolle. Das Ende von Thomas Tuchel beim BVB und die damit einhergehende schlechte Darstellung des BVB-Geschäftsführers Watzke zeigen die Auswirkungen einer oberflächlichen Berichterstattung. Hintergrund war der dramatische Anschlag auf den BVB-Bus vor dem Champions League-Spiel in Dortmund gegen Monaco, durch den Marc Bartra verletzt wurde. Der Nachholtermin gleich am nächsten Tag sorgte bei vielen für Irritation und ließ Watzke als kalten Apparatschik erscheinen.

Gottschalk berichtet aus dem direkten Umfeld der Mannschaft, dass vor dem Spiel Tränen in der Umkleidekabine flossen, da viele Spieler von den Ereignissen sehr mitgenommen waren. Tuchel habe nicht erkennen lassen, dass er die Spielansetzung missbilligte. Eher sei er gut gestimmt gewesen und habe beim Hinausgehen bezüglich der Bedenken der Spieler Reus und Castro geraunt: "Und mit diesen Weicheiern soll ich die Bayern schlagen?" In der Öffentlichkeit stellte sich Tuchel allerdings gegen die Entscheidung Watzkes. "Wir hatten das Gefühl behandelt zu werden, als wäre eine Bierdose an den Bus geflogen".

Statt einen Moment innezuhalten und das Geschehen zu reflektieren, sprangen viele Sportreporter auf den nimmermüden Strom aus Posts und Tweets mit flotten Sprüchen und markanten Live-Ausschnitten auf und zementierten so ein fälschliches Bild der Vorkommnisse.

Gottschalk, der seinen Beruf auch heute noch liebt und mit viel Engagement dabei ist, macht den Jugendlichen, die jetzt den Beruf ausüben möchten, Mut. Das Buch zeigt, wie erfüllend der Beruf des Sportredakteurs sein kann. Voraussetzungen sind aber auch viel Basiswissen und Recherche. Und vor allem geht es nicht nur um Nachrichten, sondern auch um Wahrheit.

Gottschalk will jetzt beweisen, dass er auch in den sozialen Medien mit guten und ehrlichen Beiträgen erfolgreich sein kann. Er ist überzeugt, dass eine gute Reputation sich früher oder später auch bezahlt macht.  

Ich denke, das könnte klappen. Das Buch ist auf jeden Fall ehrlich und amüsant und der Leser kann sowohl verrückte Anekdoten als auch ernste Geschichten aus dem Leben eines Sportredakteurs nachlesen.

Bibliografie

Pit Gottschalk:
"Kabinengeflüster. Meine verrückten Erlebnisse als Fußballreporter"
Klarext Verlag
144 S., 14,95 Euro
ISBN: 978-3-8375-2023-1